21.09.2009

Ultrakalte Atome zeigen itineranten Ferromagnetismus

Wechselwirkende Spins können sich auch ohne Kristallgitter ferromagnetisch ordnen

Wechselwirkende Spins können sich auch ohne Kristallgitter ferromagnetisch ordnen.

Der Ferromagnetismus ist ein alltägliches Phänomen, das man jedoch noch immer nicht vollständig erklären kann. In einem Ferromagneten ordnen sich ungepaarte Elektronenspins auch ohne äußeres Feld in eine gemeinsame Richtung. Werner Heisenberg hat dieses Verhalten auf die Austauschwechselwirkung zurückgeführt. Das Zusammenspiel von Pauli-Verbot und elektrostatischer Abstoßung sorgt dafür, dass in einem Kristallgitter die auf Nachbarplätzen sitzenden Elektronenspins ihre Energie verringern können, indem sie sich gleich ausrichten. Doch für den Ferromagnetismus von Eisen oder Nickel sind Spins verantwortlich, die sich frei im Kristallgitter umher bewegen. Diesen itineranten Ferromagnetismus haben Forscher am MIT jetzt mit Hilfe von ultrakalten Atomen untersucht.

 

Abb.: Das Absorptionsbild der Atomwolke bei 812 G zeigt einen der beiden Pseudospinzustände. Die ferromagnetische Ordnung lässt sich noch nicht direkt erkennen. (Bild: Gyu-Boong Jo et al.) 

Die Forscher um Gyu-Boong Jo und Wolfgang Ketterle haben deutliche Indizien dafür vorgelegt, dass in einem Gas aus freien Spins ferromagnetische Ordnung auftreten kann. Demnach wäre der Ferromagnetismus ein fundamentales Phänomen, für dessen Zustandekommen es weder eine Kristallstruktur noch Energiebänder bräuchte. Damit würde sich ein von Edmund Stoner 1938 aufgestelltes Modell des Ferromagnetismus in Grundzügen bestätigen. Stoner hatte vereinfachend angenommen, dass die einzelnen Elektronenspins einem kollektiven „Austauschfeld“ ausgesetzt sind, das die Austauschwechselwirkung mit den umgebenden Spins effektiv beschreibt. Das Experiment am MIT eröffnet nun die Möglichkeit, über die Mean-Field-Vorhersagen des Stoner-Modells hinauszugehen.

Was haben nun die MIT-Forscher gemacht? Zunächst haben sie ca. 1,3 Mio. fermionische Lithium-6-Atome in einer magneto-optischen Falle bei einer Temperatur von unter 1 µK festgehalten. Die Atome waren einem starken Magnetfeld von 590 G ausgesetzt und befanden sich mit gleicher Häufigkeit in den beiden niedrigsten Hyperfeinzuständen, die den beiden möglichen Einstellungen eines Pseudospins entsprachen. Da die Zahl der Atome in jedem der beiden Zustände erhalten blieb, konnten die Pseudospins nicht umklappen. Die Atome verhielten sich demnach wie ein freies, unmagnetisches Elektronengas in einem verschwindenden Magnetfeld.

Dann erhöhten die Forscher das reale Magnetfeld, dem die Lithiumatome ausgesetzt waren, und brachten die Atome knapp unterhalb einer Feshbach-Resonanz bei 834 G. Das hatte zur Folge, dass sich die Atome abstießen. Diese abstoßende Wechselwirkung entsprach der elektrostatischen Abstoßung der Elektronen in einem Ferromagneten. Da die fermionischen Lithium-6-Atome dem Pauli-Verbot unterlagen, bestand die Möglichkeit, dass sich bei hinreichend starker Abstoßung der Atome ihre Pseudospins ferromagnetisch ordneten. Da die Pseudospins nicht umklappen konnten, konnte sich die ferromagnetische Ordnung nur dadurch zeigen, dass sich in der Atomwolke Bereiche mit einheitlich ausgerichtetem Pseudospin bildeten.

Gyu-Boong Jo und seine Kollegen haben die gegenseitige Abstoßung der Atome stetig erhöht, indem sie die Atomwolke immer stärkeren Magnetfeldern ausgesetzt haben. Der entscheidende Parameter war dabei kFa, das Produkt aus dem Fermi-Impuls des Gases und der Streulänge, die mit der Stärke der Abstoßung zunahm. Sobald kFa auf etwa 2 angewachsen war, änderte die Atomwolke ihr Verhalten. Unterhalb von 2 waren durch Kollisionen immer wieder Atome aus der Wolke entwichen, doch oberhalb dieses Wertes gingen die Verluste stark zurück. Das spricht dafür, dass jedes Atom fast nur von Atomen mit derselben Spinrichtung umgeben war, mit denen es wegen des Pauli-Verbots nicht kollidieren konnte. Zudem zeigte die Atomwolke bei etwa demselben kritischen Wert für kFa eine deutliche Zunahme der kinetischen Energie und ein Maximum des Drucks. Der Theorie zufolge deutet auch dies auf einen Phasenübergang hin.

Leider ist es den Forschern noch nicht gelungen, die vermutlich in der Atomwolke auftretende ferromagnetische Ordnung auch direkt sichtbar zu machen. Das liegt wohl daran, dass die geordneten Bereiche zu klein waren. Die Forscher schätzen, dass die Domänen ca. 50 spinpolarisierte Atome enthielten und ein Volumen 5 µm3 hatten. Weitere Untersuchungen sollen hier Klärung bringen. Doch schon jetzt hat sich gezeigt, dass man mit ultrakalten Atomwolken aus fermionischen Atomen einzigartige Einblicke in den ferromagnetischen Phasenübergang gewinnen kann. Dadurch wird sich unser Verständnis dieses rätselhaften Alltagsphänomens weiter verbessern.

RAINER SCHARF


Weitere Infos

Weitere Literatur:

  • Wilhelm Zwerger: Itinerant Ferromagnetism with Ultracold Atoms. Science 325, 1507 (2009)
    dx.doi.org/10.1126/science.1179767
  • W. Ketterle, M. W. Zwierlein: Making, probing and understanding ultracold Fermi gases. In: Proceedings of the International School of Physics “Enrico Fermi,” Course CLXIV, Varenna, 20-30 June 2006, M. Inguscio, W. Ketterle, C. Salomon, Eds. (IOS Press, Amsterdam, 2008)
    arxiv.org/abs/0801.2500v1
  • Y. Shin et al.: Observation of Phase Separation in a Strongly-Interacting Imbalanced Fermi Gas. Phys. Rev. Lett. 97, 030401 (2006)
    dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.97.030401

 

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