23.03.2011

Ultrakalte Stereochemie

Perfekt ausgerichtete fermionische Moleküle wollen nicht chemisch reagieren.

Perfekt ausgerichtete fermionische Moleküle wollen nicht chemisch reagieren.

Bei der Kollision ultrakalter Moleküle laufen chemische Reaktionen ab, an denen nur wenige Quantenzustände beteiligt sind. Dadurch wird es möglich, den Einfluss von Quanteneffekten auf chemische Reaktionen zu beobachten und auszunutzen. So hat zum Beispiel der innere Quantenzustand von fermionischen Molekülen einen Einfluss darauf, wie sie miteinander kollidieren und dabei chemisch reagieren. Durch nahezu perfekte Kontrolle des Quantenzustands von polaren Molekülen kann man ihre relative Ausrichtung und damit ihre Reaktionswahrscheinlichkeit steuern, wie jetzt Experimente am JILA in Boulder zeigen.

Abb.: Drei Möglichkeiten für die Stereochemie: (1) Moleküle in unterschiedlichen internen Zuständen (rot und blau) unterliegen keiner Beschränkung und reagieren chemisch. (2) Identische Moleküle in unterschiedlichen Schwingungszuständen im Lichtpotential reagieren weniger gut. (3) Identische Moleküle im selben Oszillatorzustand stoßen sich stark ab und reagieren fast gar nicht. (Bild: M. H. G. de Miranda et al., Nat. Phys.)

Forscher um Deborah Jin und Silke Ospelkaus haben einige Tausend ultrakalte fermionische Kaliumrubidiummoleküle in einem harmonischen optischen Potential festgehalten, das die Form eines Pfannkuchens hatte und dadurch ihre Bewegungsfreiheit in einer Raumdimension stark einschränkte. Mit einem elektrischen Feld richteten sie die elektrischen Dipole der Moleküle senkrecht zur Ebene des Pfannkuchens aus. Die Bewegungsenergie der auf 800 nK abgekühlten Moleküle war so klein, dass ihre Bewegung senkrecht zur Pfannkuchenebene eingefroren war: Die Moleküle befanden sich im quantenmechanischen Grundzustand |0> des harmonischen Potentials. Durch parametrische Anregung konnten Moleküle in den Schwingungszustand |1> gebracht werden.

Auch den internen Quantenzustand der Moleküle konnten die Forscher kontrollieren. So gelang es ihnen, alle Moleküle in denselben internen Zustand zu bringen. Die Moleküle waren dann ununterscheidbare Fermionen. Aufgrund des Pauli-Prinzips musste bei einer Kollision zweier solcher Moleküle die Drehimpulsquantenzahl L=1 (oder ungerade) sein. Waren die Moleküle zudem auch im selben Schwingungszustand |0>, so musste die z-Komponente ihres Drehimpulses m=±1 sein, damit die Wellenfunktion des Molekülpaares ihr Vorzeichen wechselte, wenn die Moleküle vertauscht wurden. Demnach mussten die Moleküle mit nichtverschwindendem Drehimpuls Seite an Seite miteinander kollidieren. Das führte zu einer starken Abstoßung der beiden Dipole. Die Moleküle mussten eine hohe Energiebarriere überwinden, sodass die chemische Reaktion 2 KRb → K2 + Rb2 stark unterdrückt wurde.

Waren beide Schwingungszustände |0> und |1> mit Molekülen besetzt, so waren Kollisionen zwischen Molekülen in unterschiedlichen Schwingungszuständen möglich. In diesem Fall musste die z-Komponente des Bahndrehimpulses m=0 sein, damit die Wellenfunktion eines Molekülpaares die richtige Vertauschungssymmetrie hatte. Die Moleküle kollidierten dann zwar wiederum mit nichtverschwindendem Drehimpuls, aber diesmal lagen sie nicht neben- sondern hintereinander: K-Rb K-Rb. Die elektrischen Dipole zogen sich an, sodass die Moleküle nur die Zentrifugalbarriere überwinden mussten, die durch den nicht verschwindenden Drehimpuls verursacht wurde.

Schließlich wurde die Kontrolle der Moleküle ganz aufgegeben: Nun konnten auch Moleküle kollidieren, die sich in unterschiedlichen internen Zuständen befanden und somit unterscheiden ließen. Ihre Kollision unterlag keiner einschränkenden Symmetriebedingung mehr, sodass jetzt auch zentrale Stöße mit L=0 möglich waren, für die die Zentrifugalbarriere entfiel. Da die Dipole nun ihrer gegenseitigen Anziehung folgen konnten, kam es wesentlich häufiger zu einer chemischen Reaktion. Die Reaktionskonstante war etwa 100-mal größer als wenn sich die Moleküle im selben internen und Schwingungszustand befanden. Durch Quantensymmetrien und räumliche Beschränkung lässt also sich verhindern, dass ultrakalte fermionische Moleküle chemisch reagieren. So kann man auch an reaktionsfreudigen Molekülen ungestört Effekte der Vielteilchenphysik studieren.

Rainer Scharf

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