23.11.2006

Ultraschnelle Elektronenmikroskopie in 4D

Ein revolutionäres Elektronenmikroskop erlaubt Schnappschüsse von extrem schnell ablaufenden Phasenübergängen.



Ein revolutionäres Elektronenmikroskop erlaubt Schnappschüsse von extrem schnell ablaufenden Phasenübergängen.

Für die Erforschung von chemischen Reaktionen mit ultrakurzen Laserpulsen wurde Ahmed Zewail 1999 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Jetzt haben er und seine Mitarbeiter am Caltech ein revolutionäres Elektronenmikroskop entwickelt, das Schnappschüsse mit extrem hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung macht. Was es leisten kann, hat es jetzt bei der Untersuchung eines extrem schnell ablaufenden Phasenübergangs gezeigt.

Das ultraschnelle Elektronenmikroskop (UEM) besteht aus einem herkömmlichen Transmissionselektronenmikroskop (TEM), in das an zwei Stellen ultrakurze Lichtpulse eines Titan-Saphir-Lasers eingeführt werden. Die 120 fs langen Pulse haben eine Wellenlänge von 776 nm und eine Wiederholungsrate von 80 MHz, d. h. zwischen zwei Pulsen vergehen 12,5 ns, also das 100.000-fache einer Pulslänge. Ein Teil des infraroten Laserlichts wird direkt auf die zu untersuchende Probe im TEM gelenkt, um sie optisch anzuregen und um mit jedem Lichtpuls einen definierten Zeitpunkt für die Untersuchungen festzulegen.

Das übrige Laserlicht wird zunächst in einem Bariumboratkristall frequenzverdoppelt. Die dabei entstehenden ultravioletten Lichtpulse werden anschließend auf die Fotokathode des TEM gestrahlt, aus der sie Elektronen herausschlagen. Die Lichtpulse mit einer Energie von etwa 500 pJ setzen jeweils nur ein oder wenige Elektronen frei, die dann als extrem kurzer Ladungspuls von der Optik des TEM auf die Probe gelenkt werden. Nach ihrer Wechselwirkung mit der Probe werden diese Elektronen von einer CCD-Kamera aufgefangen und zeitaufgelöst registriert. Aus vielen Pulsen kann man schließlich ein Beugungsbild oder eine mikroskopische Aufnahme der Probe gewinnen.

Da in jedem Puls nur sehr wenige Elektronen enthalten sind, stören sie sich auf ihrem Weg durch die Elektronenoptik kaum. Deshalb erreicht das UEM eine räumliche Auflösung von weniger als einem Nanometer. Da zudem die zeitliche Auflösung des UEM im Femtosekundenbereich liegt, können hoch auflösende „Movies“ von extrem schnellen molekularen Vorgängen hergestellt werden.

Welche Möglichkeiten das UEM eröffnet, zeigen die Forscher anhand des seit langem untersuchten Phasenübergangs von Vanadiumdioxid (VO 2). Bei einer Temperatur von ca. 67 °C geht VO 2 von einer tetragonalen, metallischen Hochtemperaturphase in eine monokline, nichtleitende Tieftemperaturphase über. Bei diesem Phasenübergang 1. Ordnung wird das Kristallgitter deformiert. Die Erhöhung der Gitterenergie wird dadurch wettgemacht, dass sich die elektronische Energie verringert: Es öffnet sich eine Bandlücke an der Fermi-Energie. Wie schnell sich die Atome dabei umordnen, konnten Zewail und seine Kollegen jetzt erstmals messen.

Zunächst erhöhten die Forscher die Temperatur einer ca. 200 nm dicken polykristallinen Schicht aus Vanadiumdioxid von 55 auf 70 °C, während sie die Schicht mit dem UEM abbildeten. Am Phasenübergang änderten die mikroskopischen Aufnahmen der ca. 100 nm großen Kristalle plötzlich ihre Helligkeit und ihre Schattierungen. Dann schalteten Zewail und seine Mitarbeiter das UEM um und nahmen Elektronenbeugungsbilder der polykristallinen Schicht auf, wobei sie die Temperatur bei 45 °C festhielten. Sie bestrahlten die Schicht mit Laserpulsen, denen jeweils in einem bestimmten Zeitabstand ein Elektronenpuls folgte. Auf diese Weise gewannen sie einen Schnappschuss. Anschließend erhöhten sie den Zeitabstand in Schritten von 100 fs, so dass mehrere Schnappschüsse entstanden, die ein Movie ergaben.

Mit zunehmendem Zeitabstand zwischen Licht- und Elektronenpuls ändert sich das Beugungsbild deutlich und es traten in ihm Strukturen auf, die für die monokline Tieftemperaturphase charakteristisch sind. Es zeigte sich, dass innerhalb von etwa 3,1 ps (also 3100 fs) ein Übergang von der Hoch- zur Tieftemperaturphase stattfand. In diesem Fall wurde der Phasenübergang nicht durch Wärme verursacht, sondern durch ein Zusammenspiel von optischen und elektronischen Anregungen. Dadurch kam das Vanadiumdioxid aus der Hochtemperaturphase in einen Nichtgleichgewichtszustand, aus dem es innerhalb von 3,1 ps in die Tieftemperaturphase überging. Aus den Beugungsbildern konnten die Forscher zudem die Kristallstrukturen der beiden Phasen auf weniger als ein Hundertstel Nanometer genau bestimmen. Beim Phasenübergang verschob sich eine bestimmte Kristallebene um 0,043 nm. Mit diesen Ergebnissen hat das UEM schon jetzt bewiesen, dass es einzigartige Untersuchungsmöglichkeiten eröffnet.

Rainer Scharf

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