03.08.2016

Umtriebige Gluonen

Kollisionsexperimente mit Protonen zeigen ungewöhnlich starke Fluk­tu­a­tionen der Gluon­ver­teilung.

Protonen bestehen wie alle Baryonen aus drei Quarks, die dank ihrer Farb­ladung von Gluonen zusammen­gehalten werden. Gluonen besitzen ihrerseits eine Farb­ladung, weshalb sie nicht nur an Quarks, sondern auch an andere Gluonen koppeln können. Diese Eigen­schaft verkomp­liziert nicht nur alle quanten­chromo­dyna­mischen Berechn­ungen, sie sorgt auch für über­raschende Struk­turen im Inneren von Bary­onen. Je höher die verfüg­bare Energie, etwa bei einer Kollision von Atom­kernen oder Streu­experi­menten, desto stärker werden solche Effekte sicht­bar – und zwar auf höherer Ordnung, je kürzer die Zeit­skala und je höher die Energie der betei­ligten Teilchen. So kann ein Gluon als virtu­elles Teilchen sich unter Erhal­tung der Farb­ladung in ein Gluonen­paar auf­spalten, das wieder von einem anderen Gluon absor­biert wird.

Abb.: Gluonen-Dichte eines Protons auf kurzen Zeit­skalen (rot: hohe Dichte, blau: nied­rige Dichte; Bild: H. Mänty­saari & B. Schenke)

Diese im Prinzip unendliche Gluonspalterei lässt sich mit Hilfe effek­tiver Feld­theorien zwar ganz gut beschreiben – doch beant­wortet das noch nicht die Frage, wie genau die Verteilung der Gluonen etwa in einem Proton aus­sieht. Eine andere wichtige Frage ist, ob schwere Atom­kerne sich hin­sicht­lich ihrer Gluon­ver­teilung eher wie ein loses Konglo­merat von Protonen und Neutronen ver­halten – bei dem etwa jedes Proton oder Neutron eine gauß­ähn­liche Gluon­ver­teilung besitzt – oder ob es sich hier nicht doch um eine ganz andere Art von hadro­nischem Objekt mit einer eigenen Gluon­ver­teilung handelt.

Zwei Forscher des Brookhaven National Laboratory in New York haben sich jetzt anhand alter Daten vom HERA-Beschleu­niger in Hamburg die Gluon­ver­teilung noch einmal genauer ange­schaut und sind dabei auf über­raschend starke Fluktu­a­tionen gestoßen. Die Forscher konnten erstmals mit Hilfe nume­ri­scher Methoden die Fluktu­a­tionen in der geo­me­trischen Ver­teilung der Gluonen im Proton explizit berück­sich­tigen und dadurch etwa die Pro­duk­tions­raten von J/Psi-Mesonen erklären.

„Die Wahrscheinlichkeit für Prozesse, in denen das J/Psi-Meson produ­ziert wird und das Proton aus­ein­ander­bricht, ist größer, wenn diese Ver­teilung stark fluktu­iert”, sagt Björn Schenke, der gemein­sam mit Heikki Mänty­saari diese Effekte unter­sucht hat.

Auf das Problem stießen die beiden Forscher, als sie Daten aus Proton-Blei-Kolli­sionen am Large Hadron Collider unter­suchten, die auf eine unge­wöhn­lich „unrunde” Form des Protons hin­wiesen. Ältere Daten von HERA bestä­tigten diese Vermutung. „Und tat­säch­lich fanden wir auch hier, dass die Wahr­schein­lich­keit von bestimmten Pro­zessen stark davon abhängt, wie sehr sich das Proton von Kollision zu Kollision in seiner Form ver­ändert”, so Schenke. Die HERA-Experi­mente H1 und ZEUS lieferten beide Daten, die die beiden Forscher nun erst­mals in Hin­sicht auf die Gluon­ver­teilung aus­werten konnten.

Das Interessante dabei: Es kommt nicht auf den Typ der Kolli­sion oder der Streu­ung an, welche Gluon­ver­teilung sich zeigt. Sowohl bei direk­tem Auf­ein­ander­prall von Protonen und Blei­kernen und starker Wechsel­wirkung als auch bei ultra­peri­pheren Kolli­sionen, bei denen nur ein virtu­elles Photon ausge­tauscht wird, macht sich die flatter­hafte Natur der Gluonen bemerk­bar.

Die Berechnungen von Mäntysaari und Schenke spielen aber nicht nur zum Ver­ständnis früherer Experi­mente eine Rolle – schließ­lich ist HERA im Jahr 2007 in den wohl­ver­dienten Ruhe­stand gegangen. Neben dem LHC werden auch andere Experi­mente hierzu Daten liefern. So soll am Brook­haven Lab oder am Jeffer­son Lab in den nächsten zehn Jahren der Electron Ion Collider (EIC) ent­stehen, der dann mit uner­reichter Detail­treue die Struktur von Hadronen auf­klären und damit ein neu­artiges Ver­ständnis der starken Wechsel­wirkung erlauben soll. Eine möglichst exakte Model­lie­rung der Gluon­ver­teilung ist wichtig, um den Beschleun­iger­ring und die Detek­toren so zu designen, dass sich bei Kolli­sions­pro­zessen auch brauch­bare Daten nehmen lassen. Das Problem liegt hier­bei darin, dass die Kolli­sions­frag­mente sich nahe ent­lang des Strahl­rohrs bewegen und des­halb sehr schwer zu messen sind.

Bei Experimenten mit schweren Kernen entstehen viele Neutronen, die sich hinter der nächsten Biegung des Strahl­rohrs detek­tieren lassen. Bei Protonen hin­gegen bewegen sich die ent­stehenden Frag­mente noch näher an der Strahl­achse und bestehen aus ver­schie­denen, mit­unter kurz­lebigen Teil­chen, was hohe Anfor­de­rungen an den Detek­tor­bau beim EIC stellt. Beide Arten von Messungen werden aber nötig sein, um letzt­lich sowohl die Fluktu­a­tionen der Gluon­ver­teilung als auch die Fluktu­a­tion der Nukleon­posi­tionen besser ver­stehen zu können. Aber auch Daten von Proton-Blei-Kolli­sionen am LHC wollen die Forscher genauer darauf­hin unter­suchen, ob sie mit ihren Modell­an­nahmen ver­träg­lich sind.


Dirk Eidemüller

RK

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