27.06.2017

Unerwartete Resonanz

Anregungen des Spinflüssigkeitsmodells von Anderson experimentell realisiert.

Andersons Spinflüssigkeitsmodell ist ein vor 44 Jahren vorhergesagter quanten­mechanischer Zustand, der auf einer resonanten Valenzbindung benachbarter Spins basiert. Dieser Zustand ist von fundamentalem Interesse, da er Grundlage für eine Reihe weiterer quanten­mechanischer Modelle ist und sich darüber hinaus für die Realisierung von Quantencomputern eignet. Forscher des Augsburger Lehrstuhls für Experimental­physik VI/EKM berichten jetzt vom erstmaligen experimentellen Nachweis der Anregungen dieses Zustands, der ihnen in Zusammen­arbeit mit Kollegen vom Rutherford Appleton Labor bei Oxford und von der Renmin University in China gelungen ist.

Abb.: Prinzip der resonanten Valenzbindung nach Anderson mit paarweise quantenmechanisch verschränkten Spins (Bild: U. Augsburg)

Im Gegensatz zu Gasen sind Flüssigkeiten nahezu inkompressibel, da ihre atomaren Bestandteile nur geringen Abstand voneinander haben und daher stark miteinander wechselwirken. Einen flüssigkeits­artigen Zustand können unter speziellen Bedingungen auch die als Spins bezeichneten kleinsten Bestandteile von Magneten einnehmen. Wie Moleküle in einer normalen Flüssigkeit sind dann direkt benachbarte Spins zwar miteinander in Wechselwirkung, aber nicht global ausgerichtet. Im Gegensatz zu einem normalen Magneten liegt daher keine feste Ordnung vor.

Bereits 1973 hat der amerikanische Physiker und spätere Nobelpreis­träger Philip W. Anderson ein Modell entwickelt, in dem Spins einen paarweise gebundenen unmagnetischen Zustand annehmen. Hierbei wechseln die Bindungs­partner ständig untereinander. Die Beschreibung im Rahmen der Quanten­mechanik erfordert eine Überlagerung aller möglichen benachbarten Paar­zustände. Daher wird der Zustand als „resonante Valenz­bindung“ (RVB) bezeichnet. Dieser RVB-Zustand ist hochgradig quanten­mechanisch verschränkt. Dies bedeutet, dass sich der Zustand nicht als Kombination unabhängiger einzelner Spinzustände darstellen lässt. Für diesen Zustand gibt es keine einfache Analogie in der klassischen Physik, er kann aber als Anwendung im Quanten­computer sehr komplexe Rechen­operationen ermöglichen. Andersons Vorschlag hat seit den 1970er Jahren bis heute viele neue experimentelle und theoretische Entwicklungen angeregt. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Theorie auf Materialien mit Spin­momenten ist mittlerweile jedoch theoretisch stark umstritten. Außerdem gab es bislang keine Hinweise auf eine experimentelle Realisierbarkeit des RVB-Modells.

„Um einen RVB-Zustand zu ermöglichen, muss unter anderem verhindert werden, dass sich die normale magnetische Ordnung, also eine feste Ausrichtung der Spins, einstellen kann“, erläutert Alexander Tsirlin, Nachwuchs­gruppenleiter am Zentrum für Elektronische Korrelationen und Magnetismus des Augsburger Physik-Instituts. Um eine solche feste Ausrichtung der Spins auszuschließen, haben Tsirlin und sein Team in Kollaboration mit dem Rutherford Appleton Labor in Oxford und der Renmin University of China in Nanjing eine neue Substanz – YbMgGaO4 – hergestellt und untersucht. Diese Verbindung zeigt ein gleichförmiges Dreiecks­gitter von magnetischen Momenten der Ytterbium-Atome. Frühere Untersuchungen des Teams hatten gezeigt, dass diese Momente bei Abkühlung bis zu extrem niedrigen Temperaturen von einigen Hundertsteln Grad an den absoluten Nullpunkt keine feste Ausrichtung annehmen und damit in einem flüssigkeits­artigen Zustand verbleiben.

Mit Hilfe der inelastischen Neutronenstreuung haben die Forscher detailliert den richtungs­abhängigen Energieübertrag von an der Probe gestreuten Neutronen untersucht. Aufgrund der dabei gewonnenen umfangreichen Datensätzen konnten die Forscher nun eindeutig auf die zwischen den Yb-Momenten vorliegenden Korrelationen bei unterschiedlichen Anregungs­energien rück­schließen und dabei zwei Bereiche beobachten: Bei höheren Anregungs­energien zeigt sich völlig überraschend eine Richtungs­abhängigkeit in perfekter Über­einstimmung mit den Vorhersagen des RVB-Modells. „Damit sind nach vielen Jahrzehnten erstmals Signaturen der prototypischen RVB-Spinflüssigkeit beobachtet, so dass die von Anderson vorhergesagten Verschränkungs­effekte jetzt systematisch studiert werden können“, fasst Philipp Gegenwart, Inhaber des Augsburger Lehrstuhls für Experimental­physik VI/EKM, den wegweisenden Fortschritt zusammen, auf den die Augsburger Physiker und ihre Kollegen aus Oxford und Nanjing verweisen können.

Unverstanden sei bislang noch, warum ausgerechnet YbMgGaO4 RVB-artige Anregungen zeige. „Zumal dieses Material die strengen Voraussetzungen der Theorie gar nicht erfüllt, ist damit zu rechnen, dass eine über das RVB-Modell hinausgehende Beschreibung notwendig ist", so Gegenwart. Dies deuteten auch die Ergebnisse im zweiten Bereich bei sehr niedriger Anregungs­energien an. Hier gebe es Hinweise auf stark ein unterschiedliches Verhalten, das Wechsel­wirkungen jenseits benachbarter Spins vermuten lasse.

U. Augsburg / DE

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