Universelles Gesetz für Veränderungen in Werkstoffen
Forscher beobachten Auseinanderbrechen stabförmiger Phasen und beschreiben die Kinetik theoretisch.
Forscher beobachten Auseinanderbrechen stabförmiger Phasen und beschreiben die Kinetik theoretisch.
In vielen wichtigen Werkstoffen findet man mehrere Phasen – Bereiche, die sich in ihrer Struktur oder in ihrer chemischen Zusammensetzung unterscheiden. Wird ein solcher Werkstoff erwärmt, können Atome von der einen Phase zur anderen wandern, so dass sich die Verteilung der Phasen ändert – und damit oft die Eigenschaften des Werkstoffs. Nun haben Forscher der Northwestern University aus den USA, des Paul Scherrer Instituts und des dänischen Risø-Forschungszentrums für einen wichtigen Fall einer solchen Veränderung gezeigt, dass es eine universelle Gesetzmässigkeit gibt, die den Vorgang beschreibt. Und zwar laut der Wissenschaftler für alle Werkstoffklassen – für Metalle genauso wie für Polymere.
In Werkstoffen bildet oftmals eine Phase stabförmige Strukturen, die von einer anderen Phase umgeben sind, wobei diese stabförmigen Strukturen in kleinere Stücke zerfallen können, was oft zu wesentlichen Änderungen der Materialeigenschaften führt. Die Forscher haben nun zwei wichtige Fragen über den Vorgang des Auseinanderbrechens beantwortet: wie er funktioniert und wie lange er dauert.
Abb.: Eine stabförmige Struktur aus flüssigem Material in einer binären Aluminiumlegierung. Die Farben der Grenzfläche entsprechen Bereichen mit unterschiedlicher mittlerer Krümmung. Dabei stehen kühle Farben (blau und schwarz) für starke Krümmung. Beim Einschnüren ziehen sich die entstandenen kegelförmigen Strukturen in das gelb gefärbte Gebiet zurück. (Bild: A.E. Johnson und P.W. Voorhees, Northwestern University)
Die internationale Forschungsgruppe unter der Leitung von Peter Voorhees (Northwestern University) hat die Untersuchungen am Messplatz TOMCAT an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Paul Scherrer Instituts durchgeführt. Für die Messungen haben sie die tomografische Mikroskopie mit Synchrotronlicht verwendet – und zwar mit einem Setup, der es erlaubt sehr schnell eine Folge von dreidimensionalen Bildern des Inneren eines Materials aufzunehmen und so die zeitlichen Veränderungen der Struktur zu verfolgen. Mit diesem Verfahren haben die Forschenden das Auseinanderbrechen der stabförmigen Phasen beobachtet, wobei sie die Experimente in einem speziellen Ofen durchgeführt haben, in dem die Werkstoffe bei hoher Temperatur untersucht werden konnten. Dabei ergab sich, dass die Form der Grenzflächen zwischen den Phasen während des Auseinanderbrechens für alle Materialien gleich ist.
Nach fünf Tagen Meßzeit hatten sie mehr als zwei Terabyte an Echtzeitdaten zu analysieren. Mittels der Daten kamen die Forscher zu einer theoretischen Beschreibung des Vorgangs. Sie entwickelten Gleichungen, mit deren Hilfe sie die Zeit berechnen konnten, die es dauert, bis sich zwei Teile einer stabförmigen Phase getrennt haben. Weiter konnten sie zeigen, dass die Kinetik des Vorgangs frühzeitig festlegt wird und dass sie unabhängig vom Material immer gleich ist. «Wenn es stabförmig ist und es sich durch Diffusion des Material einschnürt, dann wird es durch die universelle Kinetik beschrieben, die wir gefunden haben» sagt Voorhees.
Der untersuchte Vorgang beeinflusst eine Vielzahl von Werkstoffen, darunter Stahl und Polymere. So werden zum Beispiel viele Metallteile in einem Gussverfahren hergestellt, bei dem flüssiges Metall in eine Form gegossen wird und dort in der Form des Bauteils erstarrt. Wenn die Flüssigkeit erstarrt, entstehen darin baumförmige Strukturen – so genannte Dendriten. Wenn ein Ast eines solchen Dendriten abbricht, können sich die Eigenschaften des Materials ändern. So hat die Luftfahrtindustrie viel Zeit damit verbracht, Verfahren zu entwickeln, bei denen Metall für Turbinenschaufeln erstarrt, ohne dass dieses Problem auftritt. Ein weiteres Beispiel sind Polymersolarzellen, die aus einer komplizierten Mischung zweier Polymere hergestellt werden. Wenn eine solche Mischung erwärmt wird, verändert sie sich in einem Vorgang, bei dem sich stabförmige Strukturen einschnüren. Dabei ändern sich ihre Eigenschaften und damit auch die Effizienz der Solarzelle.
Paul Scherrer Institut/EA, Northwestern University/KP