22.02.2013

Unschlüssige Quanten

In Ytterbiumnickelphosphid gibt es einen bislang nicht für möglich gehaltenen quantenkritischen Punkt.

Physiker vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden haben nun ein exotisches Material erschaffen: Bei extrem tiefen Temperaturen weiß es nicht, ob es einen Phasenübergang in einen magnetischen Zustand durchlaufen soll oder nicht. Es befindet sich an einem Quantenkritischen Punkt. Solche seltsamen Zustände gelten als Schlüssel zum besseren Verständnis exotischer Phänomene wie der Hochtemperatur-Supraleitung.

Abb.: Die Thermische Expansions-Zelle (links) ermöglicht es, bei Temperaturen zwischen 6 und 0,05 K Längenveränderungen von weniger als 1 nm zu messen. So lässt sich der Phasenübergang zwischen ferromagnetischem und paramagnetischem Zustand beobachten, bei dem sich auch das Volumen der Probe ändert. Mit dem Instrument rechts messen die Forscher bei hohen magnetischen Feldern und tiefen Temperaturen, wieviel Wärme ihre Probe aufnimmt oder abgibt. (Bild: MPICPFS)

Beim Eisen geschieht der Phasenübergang vom paramagnetischen zum ferromagnetischen Zustand unterhalb von 1043 Kelvin. Gefriert Wasser zu Eis, so bleibt die Temperaturanzeige so lange hängen, bis das Wasser so viel Wärme abgegeben hat, dass es vollständig erstarrt ist – der Phasenübergang erster Ordnung. Die Entstehung von Ferromagnetismus zeichnet sich dagegen durch Abkühlen ohne einen solchen Hänger aus. Dieses über die Temperaturskala gleitende Verhalten ist das Kennzeichen eines Phasenübergangs zweiter Ordnung.

Mit solchen Phasenübergängen zweiter Ordnung hat auch das Phänomen zu tun, dem die Dresdner Physiker auf der Spur sind. Es heißt Quantenkritischer Punkt, und es existiert eigentlich nur am absoluten Temperaturnullpunkt. „An einem Quantenkritischen Punkt ist das Merkwürdige, dass er sich bei viel höheren Temperaturen auswirkt“, sagt Alexander Steppke: „Viele exotische Phänomene sind damit verknüpft.“ Eines davon ist die immer noch rätselhafte Hochtemperatur-Supraleitung, die sich in vergleichsweise warmen Temperaturgefilden bis zu 135 Kelvin wohlfühlt.

Ein Quantenkritischer Punkt zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass die Grenze zwischen zwei verschiedenen Quantenphasen verschwindet. Im Fall der Dresdner kann sich die Probe an diesem Punkt nicht mehr entscheiden, ob sie unmagnetisch oder ferromagnetisch sein will. Grundsätzlich darf bei so einem Quantenphasenübergang nicht mehr wie beim Eis Wärmeenergie den Antrieb liefern, denn solche Übergänge existieren nur am absoluten Temperaturnullpunkt.

Abb.: Die komplexe Kristallstruktur von Ytterbiumnickelphosphid zeigt, wie die Dresdner Forscher den Übergang zum Ferromagneten sozusagen auf der Temperaturskala „tieferlegten“. In Richtung des roten Pfeils bilden die Ketten der Ytterbium-Atome perfekt linienförmige, nahezu eindimensionale Ferromagneten. Diese Ketten spüren gegenseitig den Magnetismus ihrer Nachbarketten, allerdings nur schwach. Daher schaffen sie es nicht, sich bei höheren Temperaturen kollektiv zu einem großen Ferromagneten zu ordnen. Erst in der Nähe des absoluten Temperaturnullpunkts, an dem die störende Wärmebewegung aller Atome nahezu einfriert, kann der ferromagnetische Phasenübergang wie gewünscht gelingen. (Bild: A. Steppke, MPICPFS)

Die Dresdner müssen also einen anderen Hebel ansetzen, und das ist der Druck. Eine mechanische Presse scheidet dabei jedoch aus. „Erstens benötigen wir gewaltige Drücke im Bereich von Gigapascal“, sagt Steppke. Mit solchem Druck presst die Industrie Kohlenstoff zu Diamant. „Zweitens brauchen wir diese Drücke auch noch in negativer Form“, erklärt der Physiker weiter: „Wir müssen die Probe sozusagen kraftvoll entspannen.“ Das geht nur mit „chemischem Druck“. Die Dresdner bauen dazu gezielt Fremdatome in den Kristall ihrer Proben ein, die den Druck im räumlichen Kristallgitter senken. Die Kunst besteht darin, trotz dieser gewollten Verunreinigung die sonstigen Eigenschaften der Proben nicht zu verändern.

Für ihr Experiment musste Manuel Brandos Gruppe noch einen Weltrekord schaffen. Dafür musste ihr Kollege Christoph Geibel mit seiner „Kompetenzgruppe Materialentwicklung“ am Institut ein nie dagewesenes Material designen. Anders als zum Beispiel Eisen wird dieses erst in der Nähe des absoluten Temperaturnullpunkts ferromagnetisch. Dank ihrer Erfahrung gelang dies, sagt Brando: „Das neue Material Ytterbiumnickelphosphid hat die niedrigste Curie-Temperatur, die je beobachtet wurde!“

Für das Entstehen des Magnetismus magnetische Atome im Kristall verantwortlich, hier das Ytterbium. An solchen Atomen sitzen Elektronen, deren Spins in der ferromagnetischen Phase alle die selbe Richtung aufweisen. Beim Ytterbiumnickelphosphid YbNi4P2 liegt nun dieser ferromagnetische Übergang so nahe am absoluten Temperaturnullpunkt, dass die Heisenbergsche Unschärferelation ins Spiel kommt. Eigentlich wäre bei dieser extremen Kälte nämlich gar kein Phasenübergang mehr möglich. Denn wo Wärmeenergie fehlt, friert jegliche Bewegung ein. Die Elektronenspins könnten also gar nicht mehr zwischen Ferromagnetismus und unmagnetischer Unordnung hin und her schalten. „Wegen der Unschärferelation ist aber ihre Energie nicht ganz genau bestimmt“, sagt Steppke, „und deshalb können sie sich doch drehen.“

Abb.: Die Forscher und ihr wichtigstes Instrument – Alexander Steppke (links) und Stefan Lausberg, die Haupt-Autoren der aktuellen Studie mit einem Verdünnungs-Kühler, mit dem sie Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts erreichen. (Bild: MPICPFS)

Mit diesem ausgefeilten Experiment gelang es den Dresdnern erstmals, einen quantenkritischen Punkt im Übergang zwischen Ferromagnetismus und dem unmagnetischen Zustand in einem Metall zu beobachten. Gängige Theorien hatten dessen Existenz bislang ausgeschlossen, sie müssen nun verbessert werden. Die Dresdner Grundlagenforscher hoffen, dass sie mit solchen Experimenten auch zur Lösung des Rätsels um die Hochtemperatur-Supraleitung beitragen können.

MPG / OD

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