23.01.2023

Unterbelichteter Blick auf magnetische Domänen

Neue Methode ermöglicht Videos von Fluktuationen in Materialien auf der Nanoskala.

Ein Wissenschaftsteam unter Leitung des Max-Born-Instituts Berlin, Helmholtz-Zentrums Berlin, Brookhaven National Laboratory und Massa­chusetts Institute of Technology hat eine neue Methode – Coherent Correlation Imaging (CCI) – entwickelt, um mit Röntgen­strahlen Videos von Fluktuationen in Materialien auf der Nanoskala aufzunehmen. Die Methode kann scharfe, hochauflösende Bilder machen, ohne das Material durch zu starke Belichtung zu beein­trächtigen. Dafür entwickelten die Wissen­schaftler einen Algorithmus, der in unter­belichteten Aufnahmen Muster in dünnen magnetischen Schichten erkennen kann. 

Abb.: Grenzen zwischen den magnetischen Domänen, die sich mit der Zeit hin und...
Abb.: Grenzen zwischen den magnetischen Domänen, die sich mit der Zeit hin und her bewegen. Diese gesamte Karte ist nur etwa 700 Nanometer breit. (Bild: C. Klose, MBI)

Selbst in festen, äußerlich unveränder­lichen Materialien können Fluk­tuationen für ungewöhnliche Eigenschaften sorgen, zum Beispiel – wie im Fall der Hochtemperatur­supraleiter – für den verlustlosen Transport von elektrischem Strom. Besonders stark sind die Fluktuationen bei Phasen­übergangen, wenn ein Material seinen Zustand ändert, zum Beispiel von fest nach flüssig beim Schmelzen. Die Wissenschaft untersucht aber auch Zustands­änderungen eines Materials von nicht-leitend zu leitend, nicht-magnetisch zu magnetisch oder Änderungen der Kristall­struktur. Viele dieser Prozesse werden technisch genutzt oder spielen auch in lebenden Organismen eine Rolle.

Allerdings ist es extrem schwierig, diese Prozesse genau zu beobachten oder sogar einen Film von den Fluktuations­mustern zu machen. Das Problem ist, dass die Fluktua­tionen sehr schnell sein können und sich auf der Größe von Nanometern abspielen. Selbst hoch­auflösende Röntgen- und Elektronen­mikroskope konnten diese schnelle, zufällige Bewegung nicht aufnehmen. Tatsächlich ist das Problem sogar prinzi­pieller Natur, wie am Beispiel einer Fotoaufnahme klar wird: Für jede scharfe Aufnahme eines Objekts benötigt man ein Mindestmaß an Beleuchtung. Möchte man das Objekt vergrößert abbilden, muss man die Beleuchtung verstärken. Noch mehr Licht wird benötigt, wenn der Schnappschuss auch noch mit sehr kurzer Belichtungs­zeit gemacht werden soll, um die Bewegung zu einem gewissen Zeitpunkt im Bild einzu­frieren. Eine immer bessere räumliche und zeitliche Auflösung führt damit irgendwann zu dem Punkt, wo ein mikro­skopisches Objekt so stark beleuchtet werden müsste, dass man es mit der Beleuchtung verändert oder gar zerstört.

Genau an diesem Punkt war die Wissenschaft in den letzten Jahren angekommen: Schnappschüsse, die mit Freien-Elektronen-Lasern, den heute intensivsten verfüg­baren Röntgen­quellen, aufgenommen wurden, führten unweigerlich zur Zerstörung der untersuchten Probe. An einen aus vielen Einzelbildern bestehenden Film der zufalls­artigen Vorgänge war nicht zu denken. Die Forschenden haben nun eine Lösung für dieses Dilemma gefunden. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Fluktuations­muster in den Materialien oft gar nicht so zufällig sind. Schaut man sich nur einen sehr kleinen Bereich der Probe an, dann fällt auf, dass bestimmte räumliche Muster immer wieder auftreten. Wann und wie oft aber welches Muster erscheint, lässt sich nicht vorher­sagen. 

Die Wissenschaftler entwickelten eine neue Methode zur zerstörungs­freien Abbildung, die sie Coherent Correlation Imaging (CCI) nennen: Um ein Video zu erstellen, nehmen sie weiterhin viele Schnapp­schüsse der Probe hintereinander auf. Dabei verringern sie die Beleuchtung so weit, dass die Probe intakt bleibt. Das führt allerdings dazu, dass sich in einer einzelnen Aufnahme das Fluktuations­muster in der Probe nicht mehr erkennen lässt. Die Aufnahmen enthalten aber immer noch genügend Informationen, um sie voneinander zu unterscheiden und in Gruppen einzuteilen. Dafür musste das Team erst einen neuen Algo­rithmus entwickeln, der die Korrelationen zwischen den Aufnahmen analysiert. Die Aufnahmen in jeder Gruppe ähneln sich stark und stammen deshalb mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem bestimmten Fluktuations­muster. Erst in der Zusammenschau aller in einer Gruppe zusammen­gefassten Aufnahmen entwickelt sich ein scharfes Bild der Probe. Die Wissen­schaftler können nun den Film zurückspulen und jeder Aufnahme ein scharfes Bild des Zustands der Probe zu diesem Zeitpunkt zuordnen.

Mit Hilfe dieser neuen Methode haben die Forschenden ein interessantes Problem aus der Welt des Magnetismus analysiert. Sie schauten sich mikro­skopisch kleine Muster an, wie sie in sehr dünnen ferro­magnetischen Schichten auftreten. Diese Schichten bilden Domänen aus: Bereiche, wo die Magne­tisierung nach oben zeigt und Bereiche, wo sie nach unten zeigt. Ähnliche magnetische Schichten werden in heutigen Festplatten eingesetzt, um mit den unter­schiedlichen Bereichen die Daten als Bits „0“ und „1“ auf der Festplatte zu kodieren. Bisher glaubte man, dass diese Muster sehr stabil sind. Doch trifft das wirklich zu? Um dies heraus­zufinden, untersuchte das Team eine eben solche dünne magne­tische Schicht an einer der modernsten Röntgenstrahlungs­quellen, der National Synchrotron Light Source II auf Long Island nahe New York, mit der neu entwickelten Methode CCI.

Tatsächlich stellten sie fest, dass sich die Muster bei Raum­temperatur nicht ändern. Erhöht man aber die Temperatur nur leicht auf 37 Grad Celsius, fangen die Bereiche an, sich sprunghaft hin- und herzu­bewegen und sich gegenseitig zu verdrängen. Diesen „Tanz der Domänen“ beobachteten die Forscher über mehrere Stunden und erstellten im Anschluss eine Art Landkarte, die die bevorzugte Lage der Grenzen zwischen den Domänen zeigt. Diese Karte und der Film der Bewegungen erlauben es nun, die magnetischen Wechsel­wirkungen in den Materialien besser zu verstehen und diese für zukünftige Anwendungen in neuartigen Computer­architekturen zu nutzen.

Das nächste Ziel ist es, die neue Abbildungs­methode an Freien-Elektronen-Lasern wie dem European XFEL in Hamburg zu nutzen, um Einblicke in noch viel schnellere Prozesse auf den kleinsten Längen­skalen zu gewinnen. Sie sind überzeugt, dass ihre Methode dazu beitragen wird, die Rolle von Fluk­tuationen und stochastischen Prozessen für die Eigen­schaften moderner Materialen besser zu verstehen und damit auch neue Wege zu entdecken, wie sie sich gezielt ausnutzen lassen.

MBI / JOL

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