27.05.2019

Untergrundlabor als Umweltgefahr?

Im italienischen Gran Sasso-Labor sollen Sicherheitsmängel vorliegen, die ein Grundwasserreservoir bedrohen.

Die Laboratori Nazionali del Gran Sasso befinden sich in der Nähe von L’Aquila in den italienischen Apenninen. Tief unter dem Bergmassiv bieten sie einzigartige Bedingungen, um mit riesigen Detektoranlagen auf die Suche nach seltenen Kernzerfällen zu gehen oder die nur schwach wechselwirkenden Neutrinos aus unterschiedlichen Quellen nachzuweisen. Dabei kommen auch so genannte Flüssigszintillatoren zum Einsatz, die aromatische Lösungsmittel enthalten. Etwa tausend Tonnen der Flüssigkeiten sind im Einsatz – laut einiger Umweltschützer eine unberechenbare Gefahr für das nahegelegene Grundwasserreservoir. Für fehlende Sicherheitsmaßnahmen sollen sich daher im September Labordirektor Stefano Ragazzi und der Präsident des verantwortlichen Istituto Nazionale di Fisica Nucleare, Fernando Ferroni, verantworten.

Ein erster Zwischenfall ereignete sich bereits im Sommer 2002. Damals liefen etwa 50 Liter des Kohlenwasserstoffs Pseudocumol am Experiment Borexino aus. Im Anschluss daran ließ sich die in hohen Dosen toxische Substanz in einem nahegelegenen Fluss nachweisen. Daraufhin wurde der Aufbau des Experiments unterbrochen, bis vier Jahre später die Sicherheitssysteme für mehr als 80 Millionen Euro rundum erneuert waren. 2007 begann die Datenaufnahme mit Borexino, und das Experiment machte seither nur durch wissenschaftliche Erfolge auf sich aufmerksam.

Blick ins Innere des Borexino-Detektors (Quelle: Borexino-Kollaboration)
Blick ins Innere des Borexino-Detektors (Quelle: Borexino-Kollaboration)

Als bei der Wartung eines Experiments zum neutrinolosen doppelten Betazerfall Ende 2016 ein Lösungsmittel auslief, wurde die Substanz später in unbedenklichen Mengen im Grundwasser nachgewiesen. Gleiches gilt für Chemikalien aus dem Lack zum Renovieren des Autobahntunnels, der zu den Laboratori Nazionali del Gran Sasso führt. Auf Drängen von Umweltschützern und Anwohnern setzte ein Staatsanwalt eine Untersuchung der Vorfälle an.

Resultat ist die Anklage gegen die Physiker und gegen die Betreiber der Autobahn und der Wasserleitungen. Unter anderem wird dies mit dem Fehlen einer ausreichenden Isolierung des Labors begründet und der Tatsache, dass zumindest zwei Experimente – Borexino und der Large Volume Detector LVD – weniger als 200 Meter vom Grundwasserreservoir entfernt sind. Für Michael Wurm von der Gutenberg-Universität Mainz handelt es sich um ein rigides Vorgehen. Der Experimentalphysiker arbeitet seit zwölf Jahren bei Borexino und ist mittlerweile in der internationalen Kollaboration für die Koordination des operativen Geschäfts des Detektors verantwortlich. Seiner Kenntnis nach sind 2006 „alle Sicherheitsauflagen umgesetzt worden“, und er bedauert, dass das Verfahren ein Verlängern der Laufzeit von Borexino über 2020 hinaus verhindert: „Um den Beitrag des CNO-Zyklus zum solaren Neutrinospektrum erstmals nachweisen zu können, bräuchten wir noch längere Messungen.“

Als Ursache der Streitigkeiten sieht er auch die in der Vergangenheit teils mangelnde Kommunikation zwischen den Betreibern des Labors und den besorgten Anwohnern. Für Borexino liege ein detailliertes Sicherheitskonzept vor. Schließlich wolle niemand in der Kollaboration, dass der hochreine und sehr teure Flüssigszintillator beim Kontakt mit der Umgebung verunreinigt würde: „Unser Tank ist doppelt abgesichert.“

Abhängig vom Ausgang des Gerichtsverfahrens im Herbst, wäre es denkbar, dass in den Laboratori Nazionali del Gran Sasso in Zukunft Flüssigszintillatoren oder ähnlich gefährlich eingestufte Chemikalien nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden dürfen. Am Experiment XENONnT wurde darauf bereits reagiert: Anstelle eines Flüssigszintillators soll als Vetodetektor mit Gadolinium angereichertes ultrareines Wasser in einem Cherenkov-Zähler zum Einsatz kommen.

Kerstin Sonnabend

Anmerkung: Der letzte Satz der Meldung wurde geändert, um die Maßnahmen bei XENONnT korrekt zu beschreiben. (31. Mai)

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