05.02.2010

Unterkühltes Wasser mit variablen Gefrierpunkten

Elektrische Ladung der Unterlage entscheidet über Gefrierpunkt von stark unterkühltem Wasser.

Elektrische Ladung der Unterlage entscheidet über Gefrierpunkt von stark unterkühltem Wasser.

So einfach Wassermoleküle aufgebaut sind, so komplex ist das Verhalten der Flüssigkeit. Allein eine Anomalie des Wassers, im flüssigen Zustand bei vier Grad Celsius und nicht als festes Eis die größte Dichte aufzuweisen, unterscheidet es von allen anderen Flüssigkeiten. Israelische Physiker fanden nun eine weitere Ungewöhnlichkeit beim Gefrieren von unterkühltem Wasser: Die Temperatur dieses Phasenwechsels hängt signifikant von der elektrischen Ladung der jeweiligen Unterlage ab.

„Der Einfluss des elektrischen Feldes auf die Gefriertemperatur von unterkühltem Wasser spielt eine wichtige Rolle für lebende Organismen und die unbelebten Welten“, berichten David Ehre und seine Kollegen vom Weizmann Institut in Rehovot. Sie untersuchten das Gefrierverhalten von flüssigen, bis auf minus 40 Grad Celsius unterkühltem Wasser in Abhängigkeit von elektrischen Feldern. Schon 1861 entdeckte der französische Chemiker L. Dafour, dass unterkühltes Wasser durch elektrische Felder zum Gefrieren gebracht werden konnte. Erklärt wird dieser Effekt mit dem Entstehen von winzigen Eiskristallen, die als Keime für das schockartige Gefrieren der Flüssigkeit wirken.

Abb.: Optische Mikroskopiebilder von Wassertropfen auf amorphen (oben) und quasi-amorphen (unten) Schichten von SrTiO3 (100 nm Dicke, aufgewachsen auf Si) bei verschiedenen Abkühl-Temperaturen: (A) –4°C, (B) –11°C, and (C) –12°C. Das Wasser gefriert bei  –4°C auf der quasi-amorphen

(pyroelektrisch) Schicht und bei –12°C auf der amorphen (nicht polar) Schicht. Bildlänge: 1 mm. Probenzwischenraum: Luft. (D. Ehre et al., Science)

Ehre und Kollegen fanden nun erstmals heraus, dass dieses Elektrofrieren von der Art der Ladung einer Unterlage abhängt. Dazu deponierten sie Wassertropfen auf dünnen Schichten aus Lithiumtantalat und Strontiumtitanat. Diese kristallinen Substanzen sind pyroelektrisch und können sich bei Temperaturänderungen elektrisch aufladen. In ihren Versuchen blieb das auf minus elf Grad unterkühlte Wasser auf der negativ geladenen Lithiumtantalat-Oberfläche flüssig. Aufgeheizt auf minus acht Grad jedoch änderte sich die Polarität und die Oberfläche war positiv geladen. Die überraschende Folge: Trotz der höheren Temperatur erstarrte der Wassertropfen sofort.

Ähnliche Experimente mit Strontiumtitanat, bei denen die Wissenschaftler das Gefrieren unter dem Mikroskop und mit Röntgenbeugung verfolgten, erlaubten noch detailreichere Einblicke. So gefriert ein Tropfen auf einer positiv geladenen Oberflächen zuerst an der Grenzfläche zwischen Substrat und Wasser. Auf einer negativ geladenen Fläche dagegen setzte die Erstarrung an der Grenze zwischen Wasser und Luft ein.

Eine genaue Erklärung für diese Effekte können Ehre und Kollegen bislang noch nicht geben. Doch vermuten sie, dass die Polarität des elektrischen Feldes einen Einfluss auf die Ausrichtung der Wassermoleküle und damit auf die Bildung der Eiskeime habe. Weitere Versuche zum Elektrogefrieren könnten diese offenen Fragen beantworten. Und von den Ergebnissen erhoffen sich die Wissenschaftler nicht nur einen rein akademischen Erkenntnisgewinn. Denn das variable Erstarren von Wasser bei unterschiedlichen Gefrierpunkten könnte eine wichtige Rolle bei wechselwarmen Tieren, beim Schutz von Pflanzen vor Gefrierschäden und bei der Kältekonservierung von Spenderorganen und Zellen spielen.

Jan Oliver Löfken

Weitere Infos

Weiterführende Literatur:

  • L. Dufour, Poggendorfs Ann. Physik 114, 530 (1861)
  • T. Hozumi, A. Saito, S. Okawa, K. Watanabe: Effects of electrode materials on freezing of supercooled water in electric freeze control. Int. J. Refrig. Rev. Int. Froid 26, 537 (2003)
  • doi:10.1016/S0140-7007(03)00008-2

 KP 

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