11.03.2016

Unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn

Auf der Suche nach einem seltenen Myonen-Zerfall.

Die moderne Physik hat eine große Zahl theore­tischer Ansätze entwickelt, mit denen sich die Welt der Elementar­teilchen beschreiben lässt. Nun müssen Experimente aus­sortieren, welche Theorien der Realität stand­halten. Eines davon ist das MEG-Experiment am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz. In Zusammen­arbeit mit Forschern aus Italien, Japan, Russ­land und den USA suchen PSI-Physiker nach einem bestimmten, bislang nicht beob­achteten Zerfall von Myonen. Genauer gesagt beziffern sie, wie hoch die Wahr­schein­lichkeit für eben diesen Zerfall ist. Ihre neueste Zahl lautet: Höchstens eines von 2,4 Billionen Myonen zerfällt nach dem MEG-Muster. Damit ist ein solcher Zerfall rund fünf­hundert­tausend Mal unwahr­schein­licher als ein Sechser im Schweizer Lotto. Für diese hoch­genaue Messung haben die Wissen­schaftler extrem viele Myonen­zerfälle beobachtet. Das war nur am PSI möglich, da sich dort die welt­weit leistungs­stärkste Myonen­strahl-Anlage befindet.

Abb.: Teilchenphysikerin Angela Papa am MEG-Experiment. (M. Fischer, PSI)

Myonen sind exotische Elementar­teilchen, die sehr kurz­lebig sind. Sie zerfallen direkt nach ihrer Entstehung in andere, stabilere Teilchen. Dabei können sie jedoch unter­schiedliche Zerfalls­pfade ein­schlagen. Ein bestimmter Zerfalls­pfad ist noch nie beob­achtet worden, aber für die Physiker von großem Interesse: Der Zerfall eines Myons in ein Elektron und ein Gamma-Photon. Klar ist bislang ledig­lich, dass solche MEG-Zerfälle extrem selten sind. Wie selten genau, das beziffert das Forscher­team am PSI mit dem MEG-Experiment. Die Wissen­schaftler erhoffen sich dabei, die Tür zu einer neuen Physik aufzu­stoßen.

Das experimentell ermittelte Limit der Wahr­schein­lichkeit für den MEG-Zerfall ist ein rele­vanter Para­meter für mathe­matische Modelle, mit denen sich unser gesamtes Universum beschreiben lässt. Manche dieser Theorien – darunter das derzeit gebräuch­liche Standard-Modell der Teilchen­physik – besagen, dass der MEG-Zerfall so gut wie nie vorkommt und damit unmöglich zu beob­achten ist. Das Standard-Modell beschreibt zwar nahezu alle beob­achteten Phänomene – aber eben nicht alle. So bietet es keine Erklärung für die dunkle Materie und die dunkle Energie, die beiden rätsel­haften Haupt­bestand­teile des Kosmos.

Deshalb suchen Wissen­schaftler weltweit nach einer neuen Physik. Einer Theorie also, die zwar die Vorher­sagen des Standard-Modells beinhaltet, aber darüber hinaus­geht – und damit unser Universum umfassender beschreibt. Eine viel­ver­sprechende Gruppe von Theorien ist Susy, kurz für Super­symmetrie. Viele der theore­tischen Modelle aus der Susy-Familie sagen eine Wahr­schein­lichkeit für den MEG-Zerfall voraus, die so hoch ist, dass der Zerfall am PSI früher oder später beob­achtet werden sollte. Mit jeder noch genaueren Messung, bei der der Zerfall nicht gefunden wird, lässt sich daher eine Reihe alter­nativer Theorien verwerfen.

Die neu bezifferte Wahrschein­lichkeit des MEG-Zerfalls erhielten die Forscher durch die Auswertung von Daten, die sie zwischen 2009 und 2013 beinahe kontinu­ierlich sammelten. Nicht nur die lange Mess­zeit war erforderlich, um das nun vorliegende Ergebnis zu erhalten – auch die Versuchs­durch­führung war entscheidend. Die Myonen­anlage am PSI liefert pro Sekunde etwa dreißig Millionen Myonen. Nur dank dieses hohen Durch­satzes konnten die Forscher in den fünf Jahren 2,4 Billionen Myonen und ihre Zerfälle vermessen. Der entscheidende MEG-Zerfall war nicht dabei – und so kommen sie auf die neue Ober­grenze der Wahr­schein­lichkeit für diesen Zerfall.

Trotzdem sieht das Team das Experiment als Erfolg an. „Dadurch, dass wir den Zerfall bisher nicht gesehen haben, können wir die gedank­liche Linie verschieben, hinter der nach einer neuen Physik gesucht werden muss“, erklärt Angela Papa vom PSI. „Sollten wir eines Tages doch einen MEG-Zerfall beobachten, wäre das ein starker Hinweis auf neue Physik." Das bedeutet noch nicht, dass ein gesamter theore­tischer Ansatz wie die Super­symmetrie verworfen werden muss, sondern ledig­lich indivi­duelle Modelle inner­halb solcher Theorie-Familien. Die PSI-Forscher werden das MEG-Experiment und damit die Suche nach dem Zerfall auch in Zukunft verfeinern und fort­setzen. Ob der Zerfall eines Tages beob­achtet wird oder nicht – die Mess­ergeb­nisse tragen in jedem Fall wesent­lich zu unserem Wissen um die funda­mentalen Struktur der Materie bei.

PSI / RK

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