Valenzelektronen spielen Reise nach Jerusalem
Verlust eines Elektrons schaltet Magnetismus in Chromdimer an.
Die elektronische Struktur und die Bindungen von scheinbar einfachen zweiatomaren Molekülen wie Chromdimeren hat Wissenschaftler seit Jahrzehnten vor ein Rätsel gestellt. In überraschend vielen Fällen ist der Grundzustand dieser kleinsten Moleküle auch nach hundert Jahren Quantenmechanik noch unbekannt. Aufgrund des enormen Rechenaufwands, der mit der korrekten Beschreibung von niedrigen angeregten Zuständen und Mehrfachbindungen verbunden ist, ist die Sechsfachbindung im Niedrigspin-Grundzustand von neutralen Cr2-Molekülen eine Art Meilenstein für elektronische Strukturrechnungen. Nun hat ein internationales Forscherteam erstmals direkt experimentell nachgewiesen, dass der Grundzustand des Kations Cr2+ ein unerwarteter Hochspinzustand ist.
Bild: Beim Chromdimer sind die beiden Chromatome über zwölf gemeinsame Valenzelektronen eng miteinander verbunden (links). Da die Spins der Elektronen antiparallel zueinander sind, ist kein magnetisches Moment zu beobachten. Beim Chromdimer-Kation sind zehn der elf Valenzelektronen an einem Chrom-Atom lokalisiert (rechts). Ihre Spins richten sich nun parallel zueinander aus. Das Chromdimer-Kation wird ferromagnetisch. Nur ein Elektron sorgt noch für die molekulare Bindung des Dimers. Grafik: HZB
Das Team untersuchte Cr2+ -Ionen bei 18 K in einer Tieftemperatur-Ionenfalle mit zirkular polarisiertem Röntgenlicht und maß dabei den Effekt des magnetischen Dichroismus. „Wir haben einen dramatischen Effekt gemessen und das zeigt uns, wie enorm sich der Magnetismus in den Kationen von dem des Dimers unterscheidet“, erklärt Projektleiter Tobias Lau vom HZB. Der Effekt zeigt direkt die Lokalisierung der Valenzelektronen und die Kopplung der einzelnen Spins untereinander. Für ihr Experiment nutzten die Forscher eine einzigartige Nanocluster-Fallen-Experimentierstation an der Beamline UE52-PGM an BESSY II.
Obwohl bei der Ionisation von Cr2 nur eines von insgesamt zwölf Valenzelektronen entfernt wird, reagiert das Molekül dramatisch: „Man könnte das mit der Reise nach Jerusalem vergleichen, dabei wären die Elektronen mit Spieler und die Atome die Stühle“, meint Lau: „während vorher alle zwölf Spieler um die beiden Stühle wild durcheinander wandern, setzen sich, sobald ein Spieler ausscheidet, plötzlich je fünf Spieler auf einen Stuhl und nur noch einer wandert weiter und passt dabei auch noch auf, dass die, die sich auf die Stühle gesetzt haben, alle in eine Richtung schauen.“
Tatsächlich, das zeigt das Experiment, werden die zehn 3d-Elektronen lokalisiert und ihre Spins maximal gekoppelt. Dadurch stellt sich die magnetische Ordnung komplett um: Während Cr2 ein Antiferromagnet ist, richten sich die Spins der lokalisierten Elektronen im Cr2+ -Kation parallel zueinander aus, das Kation ist ferromagnetisch. Diese besondere Spin-Anordnung lässt sich als Ergebnis von indirekten Austausch-Kopplungen interpretieren, dabei kommunizieren die zwei Gruppen von lokalisierten Elektronen miteinander über ein einziges Bindungs-Elektron, das wie ein Botschafter die parallele Ausrichtung der Spins kontrolliert.
Während im neutralen Molekül alle zwölf Valenzelektronen an den Bindungen teilnehmen und dadurch eine kurze und ungewöhnliche Sechsfachbindung schaffen, ist das Kation nur durch ein einziges Elektron verbunden – und das mit einem doppelt so großen Bindungsabstand, aber fast der gleichen Bindungsenergie. Diese komplett unterschiedliche Bindungssituation führt zu einer fragilen und untypisch schwachen Bindung von Chromdimer-Kationen.
Durch Kombination ihrer Ergebnisse mit früheren Resultaten können die Wissenschaftler nun sogar die relativen Energien der angeregten Zustände angeben, die bislang viel Verwirrung bei der korrekten Beschreibung der molekularen Kationen geschaffen haben. Dies wird künftig theoretische Ansätze sehr erleichtern.
HZB / RK