24.11.2011

Verantwortung in der Wissenschaft

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg weist durch seine wissenschaftsbezogene Auslegung des Begriffs der Unwürde weit über den Fall Schön hinaus.

Als gravierende Verstöße gegen die Grundsätze der Redlichkeit und guter wissenschaftlicher Praxis hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Datenfälschungen von Jan Hendrik Schön gebrandmarkt. Damit hat sich der ehemalige Konstanzer Physiker, so urteilten die Richter am 14. September 2011 in Mannheim, als unwürdig zum Führen des Doktorgrades erwiesen. Mit diesem Richterspruch ist nicht nur eine gerichtliche Auseinandersetzung im Sinne der Universität Konstanz ausgegangen. Das Urteil weist weit über diesen Einzelfall hinaus: Schwerwiegendes wissen­schaftliches Fehlverhalten rechtfertigt demnach im Nachhinein den Entzug des Doktorgrades wegen Unwürdigkeit – im Einklang mit § 35 Abs. 7 des Landeshochschul­gesetzes Baden-Württemberg.

Meinung von Prof. Dr. Ulrich ­Rüdiger,
Rektor der Universität Konstanz und Professor für ­Experimentalphysik



Damit hat ein deutsches Gericht zum ersten Mal den Begriff der Unwürdigkeit wissenschaftsbezogen ausgelegt und sich klar zu den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis bekannt. Dass diesen Grundsätzen in richterlicher Instanz der Stellenwert zugebilligt wird, der ihnen als unabdingbare Basis jedweder Möglichkeit von Wissenschaft zukommt und sie in gesellschaftlichem Auftrag schützt, ist nicht hoch genug einzuschätzen.

Dabei beziehen sich die Fälschungen, die Jan Hendrik Schön nachgewiesen wurden, nicht auf seine im Jahr 1998 an der Universität Konstanz abgeschlossene Dissertation. Die von den Bell Labs in den USA eingesetzte Beasley-Kommission datierte die 16 Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die sie Schön nachweisen konnte, in die Zeit seiner Anstellung bei Bell, somit nach Erlangung des Doktorgrades. Die Bell Labs entließen Schön daraufhin 2002. Ein Ausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die universitäre Kommission „Verantwortung in der Wissenschaft“ und Untersuchungen des Promotionsausschusses an der Universität Konstanz bestätigten und ergänzten die Ergebnisse der Beasley-Kommission. Jan Hendrik Schöns Doktorarbeit blieb jedoch, mit Ausnahme handwerklicher Fehler, unbeanstandet. Trotzdem haben wir nach nochmaliger Prüfung durch unseren Promotionsausschuss Schön 2004 den Doktorgrad mit der Begründung entzogen, dass er sich durch sein späteres Verhalten als unwürdig zur Führung des Doktorgrades erwiesen hat. Genau hierin liegt eine wichtige Abgrenzung zu den in den vergangenen Monaten in den Medien viel diskutierten Plagiatsvorwürfen: Der „Fall Schön“ unterscheidet sich grundlegend von diesen Vorgängen, da wir ihm kein Plagiat im Rahmen der Doktorarbeit vorgeworfen haben. Auf Schöns Widerspruch folgte 2009 dessen Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg, der stattgegeben wurde.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung des wissenschaftlichen Fehlverhaltens von Jan Hendrik Schön konnten wir dieses Urteil nicht akzeptieren. Mit der Berufung ging es der Universität Kons­tanz um die grundsätzliche Frage, wie Universitäten auf schwere wissenschaftliche Vergehen reagieren können. Das Urteil des höherins­tanzlichen Gerichts in Mannheim hob das Freiburger Urteil nicht nur zu meiner großen Erleichterung auf. Die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft wird es mit großer Genugtuung aufgenommen haben. Dass das Vertrauen in die Echtheit und die Dokumentation von Originaldaten und in die Reproduzierbarkeit experimenteller Ergebnisse aller wissenschaftlichen Tätigkeit zugrunde liegen muss, ist für mein Fach, die experimentelle Physik, eine Selbstverständlichkeit. Für alle anderen exakten Wissenschaften gilt fraglos dasselbe – wie es überhaupt ohne das Prinzip wissenschaftlicher Redlichkeit keine Wissenschaft geben kann.

Diese Tatsache zweifelte auch das Freiburger Urteil nicht an. Die Richter stellten aber fest, dass ein Entzug des Doktorgrades aufgrund nachträglicher Unwürdigkeit nicht allein mit wissenschaftlichem Fehlverhalten nach der Promotion begründet werden könne. Hätte dieses Urteil auch in der nachfolgenden Instanz Bestand gehabt, hätten wir uns ernsthaft Gedanken um den entsprechenden Passus im Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg machen müssen.

Ich möchte hier nicht die Frage stellen, was „geeigneter“ sein könnte, Unwürdigkeit in wissenschaftlichen Belangen zu begründen als die Fälschung von Forschungsergebnissen. Das Mannheimer Urteil geht denn auch davon aus, dass hier ein ideal­typischer Fall von Unwürdigkeit und mithin für den berechtigten Entzug des Doktorgrades vorliegt. Wissenschaft genießt in unserer modernen Gesellschaft einen großen Vertrauensvorschuss, der wiederum zu größter Verantwortlichkeit verpflichtet. Nicht nur, weil diese Gemeinschaft Jahr für Jahr viele Steuermilliarden in die Wissenschaft investiert, haben wir die Pflicht, unser Wirken den strengsten Regeln zu unterwerfen. 

Ulrich ­Rüdiger 

Quelle: Physik Journal, Dezember 2012, S. 3

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