Vermutlich keine Singularitäten in den Navier-Stokes-Gleichungen
Nichtlinearität in der Nähe von Wirbeln dämpft Rotationsgeschwindigkeit der Flüssigkeit.
Vom Rühren von Zucker im Kaffee bis hin zu globalen Wettermustern - turbulente Strömungen prägen ständig das Leben um uns herum. Mathematisch werden sie durch die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben, die seit fast zwei Jahrhunderten bekannt sind. Trotz der weit verbreiteten Verwendung dieser Gleichungen zur Beschreibung turbulenter Strömungen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist unklar, ob sie ein gut gestelltes Problem darstellen, ob also die Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen immer glatt bleiben oder ob sie Singularitäten entwickeln können.
Die Navier-Stokes-Gleichungen drücken mathematisch die Erhaltung von Masse und Impuls für die Bewegung von Flüssigkeiten wie Luft und Wasser aus. Bewegt sich das Fluid ausreichend schnell, wird diese Bewegung sprunghaft und unvorhersehbar, also turbulent. In diesem Zustand ist die Fluidbewegung durch die spontane Bildung sehr intensiver Wirbel gekennzeichnet, in denen das Fluid schnell rotiert. Dieses Verhalten ist eine Folge der Nichtlinearität der Navier-Stokes-Gleichungen, die die Rotationsrate an die lokale Tendenz der Strömung koppelt, das Fluid zu verformen und zu strecken, wodurch sich die Rotationsrate erhöhen kann.
Wenn die Rotation intensiver wird, setzt innere Reibung ein, die die Bewegung schließlich in Wärme umwandelt. Frühere Studien haben gezeigt, dass die Navier-Stokes-Gleichungen dieses Bild im Allgemeinen korrekt beschreiben können. Ein formaler mathematischer Beweis, dass die Viskosität immer das Auftreten einer unendlichen Rotationsgeschwindigkeit in Wirbeln verhindert, ist jedoch schwer zu erbringen. Sollte eine solche Singularität existieren, würde sie die auf den Navier-Stokes-Gleichungen basierenden Vorhersagen ernsthaft in Frage stellen und uns somit zwingen, einen der Eckpfeiler der Physik und Technik neu zu überdenken.
Eine große Schwierigkeit beim Verständnis der nichtlinearen Wirkprinzipien in den Navier-Stokes-Gleichungen ergibt sich aus ihrer Nichtlokalität, was im Wesentlichen bedeutet, dass alle Freiheitsgrade der Strömung miteinander gekoppelt sind. Mit anderen Worten, die Flüssigkeitsbewegung an einem beliebigen Punkt in der Strömung wird durch die Strömungseigenschaften an allen anderen Punkten beeinflusst, so dass man gezwungen ist, die Strömung als Ganzes zu analysieren.
Die Nichtlokalität ist eine herausragende theoretische Schwierigkeit, die seit Jahrzehnten grundlegende Fortschritte bei Turbulenzen behindert. Ein Forschungsteam am MPI für Dynamik und Selbstorganisation hat jetzt eine neuartige Analysetechnik angewendet, um diese Nichtlokalität in den Griff zu bekommen. Die Dehnungsbewegung in der Flüssigkeit kann mittels eines Integrals über die gesamte Domäne in Form der Rotationsrate ausgedrückt werden. Dieses Integral kann dann in zwei Teile zerlegt werden: einen lokalen Beitrag in der Nähe der Wirbel und den verbleibenden Beitrag, der sich aus dem Rest der Domäne ergibt.
„Ein entscheidender Schritt bei der Durchführung dieser Zerlegung bestand darin, eine effiziente Methode anzuwenden, die es uns erlaubt, diese Beiträge numerisch zu bewerten, da sie immer noch nicht analytisch ausgewertet werden können“, sagt Team-Mitglied Dhawal Buaria, der jetzt an der New York University tätig ist. „Mit unseren Zerlegungsmethoden zur Analyse hochaufgelöster Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen konnten wir zeigen, dass die Nichtlinearität in der Nähe der Wirbel überraschenderweise dazu neigt, die Rotationsgeschwindigkeit der Flüssigkeit ähnlich wie die Viskosität zu unterdrücken, wodurch Singularitäten möglicherweise ausgeschlossen werden.“
Die unerwarteten Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die nichtlineare Verstärkung der Fluidrotationsrate deutlich schwächer zu sein scheint als das, was für eine singuläre Lösung erforderlich wäre, und dass sie dazu beitragen könnte, das Regelmäßigkeitsproblem der Navier-Stokes-Gleichungen zu lösen. Das grundlegende Verständnis der Navier-Stokes-Gleichungen, das noch verfeinert werden muss, könnte wichtige Erkenntnisse über die Struktur turbulenter Strömungen liefern und zur Entwicklung genauerer Turbulenzmodelle beitragen.
MPISD / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
D. Buaria, A. Pumir & E. Bodenschatz: Self-attenuation of extreme events in Navier–Stokes turbulence, Nat. Commun. 11, 5852 (2020); DOI 10.1038/s41467-020-19530-1 - Fluidphysik, Strukturbildung und Biokomplexität (E. Bodenschatz), Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen