19.11.2020

Vermutlich keine Singularitäten in den Navier-Stokes-Gleichungen

Nichtlinearität in der Nähe von Wirbeln dämpft Rotationsgeschwindigkeit der Flüssigkeit.

Vom Rühren von Zucker im Kaffee bis hin zu globalen Wetter­mustern - turbu­lente Strömungen prägen ständig das Leben um uns herum. Mathematisch werden sie durch die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben, die seit fast zwei Jahr­hunderten bekannt sind. Trotz der weit verbreiteten Verwendung dieser Gleichungen zur Beschreibung turbu­lenter Strömungen in den Natur- und Ingenieur­wissen­schaften ist unklar, ob sie ein gut gestelltes Problem darstellen, ob also die Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen immer glatt bleiben oder ob sie Singu­la­ritäten entwickeln können.

Abb.: Regionen mit inten­siven Rotations­bewe­gungen in turbu­lenten...
Abb.: Regionen mit inten­siven Rotations­bewe­gungen in turbu­lenten Strömungen sind in röhren­förmigen Struk­turen an­ge­ordnet, die dazu neigen, ihre eigene Rotations­rate zu dämpfen und daher der Bildung von Singu­la­ri­täten ent­gegen­wirken. (Bild: MPIDS)

Die Navier-Stokes-Gleichungen drücken mathematisch die Erhaltung von Masse und Impuls für die Bewegung von Flüssig­keiten wie Luft und Wasser aus. Bewegt sich das Fluid aus­reichend schnell, wird diese Bewegung sprung­haft und unvor­her­sehbar, also turbulent. In diesem Zustand ist die Fluid­bewegung durch die spontane Bildung sehr intensiver Wirbel gekenn­zeichnet, in denen das Fluid schnell rotiert. Dieses Verhalten ist eine Folge der Nicht­linearität der Navier-Stokes-Gleichungen, die die Rotations­rate an die lokale Tendenz der Strömung koppelt, das Fluid zu verformen und zu strecken, wodurch sich die Rotations­rate erhöhen kann.

Wenn die Rotation intensiver wird, setzt innere Reibung ein, die die Bewegung schließlich in Wärme umwandelt. Frühere Studien haben gezeigt, dass die Navier-Stokes-Gleichungen dieses Bild im Allgemeinen korrekt beschreiben können. Ein formaler mathe­ma­tischer Beweis, dass die Viskosität immer das Auftreten einer unend­lichen Rotations­geschwin­dig­keit in Wirbeln verhindert, ist jedoch schwer zu erbringen. Sollte eine solche Singu­larität existieren, würde sie die auf den Navier-Stokes-Gleichungen basierenden Vorher­sagen ernst­haft in Frage stellen und uns somit zwingen, einen der Eck­pfeiler der Physik und Technik neu zu über­denken.

Eine große Schwierigkeit beim Verständnis der nicht­linearen Wirk­prinzipien in den Navier-Stokes-Gleichungen ergibt sich aus ihrer Nicht­lokalität, was im Wesent­lichen bedeutet, dass alle Freiheits­grade der Strömung mitein­ander gekoppelt sind. Mit anderen Worten, die Flüssig­keits­bewegung an einem beliebigen Punkt in der Strömung wird durch die Strömungs­eigen­schaften an allen anderen Punkten beein­flusst, so dass man gezwungen ist, die Strömung als Ganzes zu analysieren.

Die Nichtlokalität ist eine heraus­ragende theore­tische Schwierig­keit, die seit Jahr­zehnten grund­legende Fort­schritte bei Turbu­lenzen behindert. Ein Forschungs­team am MPI für Dynamik und Selbst­organi­sation hat jetzt eine neuartige Analyse­technik angewendet, um diese Nicht­lokalität in den Griff zu bekommen. Die Dehnungs­bewegung in der Flüssig­keit kann mittels eines Integrals über die gesamte Domäne in Form der Rotations­rate ausge­drückt werden. Dieses Integral kann dann in zwei Teile zerlegt werden: einen lokalen Beitrag in der Nähe der Wirbel und den verblei­benden Beitrag, der sich aus dem Rest der Domäne ergibt.

„Ein entscheidender Schritt bei der Durch­führung dieser Zerlegung bestand darin, eine effi­ziente Methode anzuwenden, die es uns erlaubt, diese Beiträge numerisch zu bewerten, da sie immer noch nicht analytisch ausge­wertet werden können“, sagt Team-Mitglied Dhawal Buaria, der jetzt an der New York University tätig ist. „Mit unseren Zerlegungs­methoden zur Analyse hoch­auf­ge­löster Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen konnten wir zeigen, dass die Nicht­linearität in der Nähe der Wirbel über­raschender­weise dazu neigt, die Rotations­geschwin­dig­keit der Flüssig­keit ähnlich wie die Viskosität zu unter­drücken, wodurch Singu­la­ritäten möglicher­weise ausge­schlossen werden.“

Die unerwarteten Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die nicht­lineare Verstärkung der Fluid­rotations­rate deutlich schwächer zu sein scheint als das, was für eine singuläre Lösung erforder­lich wäre, und dass sie dazu beitragen könnte, das Regel­mäßig­keits­problem der Navier-Stokes-Gleichungen zu lösen. Das grund­legende Verständnis der Navier-Stokes-Gleichungen, das noch verfeinert werden muss, könnte wichtige Erkenntnisse über die Struktur turbu­lenter Strömungen liefern und zur Entwicklung genauerer Turbulenz­modelle beitragen.

MPISD / RK

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