Verraten Neutrinos beim Einfang ihre Masse?
Neuen Berechnungen zufolge kann Projekt ECHo eine der großen Fragen der Elementarteilchenphysik klären.
Eines der größten noch offenen Probleme der Teilchenphysik ist die Bestimmung der Masse des Neutrinos. In einer Kooperation mit Heidelberger und Mainzer Wissenschaftlern haben die Professoren Amand Fäßler und Josef Jochum von der Uni Tübingen bereits mit den theoretischen und praktischen Vorbereitungen für ein Experiment begonnen, das diese Wissenslücke schließen soll. Daraus ist das Projekt „Neutrino Mass Determination by Electron Capture in Holmium-163 – ECHo“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft hervorgegangen, das unter Führung der Uni Heidelberg seit April 2015 für drei Jahre mit rund zwei Millionen Euro gefördert wird.
Abb.: Supraleitendes Bauteil, das für die Experimente der DFG-Forschergruppe ECHo im Reinraum des Heidelberger Kirchhoff-Instituts für Physik hergestellt wurde. (Bild: ECHo Coll.)
Die Masse des Neutrinos ist im Verhältnis zu der anderer Elementarteilchen sehr gering. Die Forscher wählten daher als Messmodell einen Atomzerfall, der mit einer geringen Übergangsenergie verbunden ist, sodass die Masse des Neutrinos stärker ins Gewicht fällt. Ausgangselement ist Holmium mit der Ladungszahl 67 und der Massenzahl 163. „Natürliche Vorkommen dieses Holmium-Isotops sind längst zerfallen, das Mainzer Institut für Kernchemie stellt es aufwendig her“, erklärt Fäßler. Im Experiment soll ein positiv geladenes Proton im Kern des Holmiums eines seiner atomaren, negativ geladenen Elektronen einfangen. Dadurch wandelt es sich unter Emission eines Neutrinos in ein Neutron um. „Holmium geht in einen angeregten Zustand seines Tochterelements Dysprosium über“, sagt Fäßler.
Bei diesem inversen Betazerfall ergibt sich eine geringe Massendifferenz und Energie, die sich auf die Anregung von 163-Dysprosium und das emittierte Neutrino verteilt. „Das Neutrino muss zumindest die Energie wegnehmen, die seiner Ruhemasse entspricht“, erklärt der Physiker. „Die obere Energie des Zerfalls des angeregten Dysprosiums ist daher die Energiedifferenz der Atome Holmium und Dysprosium minus der Ruhemasse des Neutrinos, die sich hierdurch bestimmen lässt.“ Allerdings müssen die Wissenschaftler sehr präzise arbeiten, denn sie erwarten, dass die Neutrinomasse vielleicht nur etwa ein Dreißigtausendstel dieser Massendifferenz ausmacht. Just an dieser Stelle setzte die Kritik von Hamish Robertson von der University Seattle an: Eine komplizierte Anregung vom Typ zweier Elektronenlöcher in Dysprosium mache es unmöglich, die Form des Emissionsspektrums am oberen Ende genau genug zu bestimmen.
„Damit wären große Anstrengungen unserer Kooperationsarbeit und der von weiteren Gruppen, zum Beispiel in Genua und Los Alamos in den USA, wertlos geworden“, erklärt Fäßler. Wie er und Simkovic in den neuen theoretischen Berechnungen jedoch zeigen konnten, wird das obere Ende des Spektrums der Abregung von Dysprosium nicht wesentlich durch die Zwei-Elektronen-Loch-Anregungen beeinflusst. Demnach wäre die Bestimmung der Masse des Neutrinos doch wie geplant möglich.
EKU / OD