Verschlungene Wege durchs Graphen
Doppellagiges Graphen zeigt mosaikartige Falten, die lineares Verhalten des Widerstands im Magnetfeld bewirken.
Legt man an ein Material ein Magnetfeld an, reagiert der elektrische Widerstand in fast allen Materialien gleich: Er wächst mit der Erhöhung der Magnetfeldstärke in Form einer Parabel. Es gibt jedoch in der Literatur sporadisch Gegenbeispiele aus unterschiedlichsten Materialklassen, in denen sich ganz überraschend der Widerstand nicht parabolisch, sondern linear verhält. Warum dies so ist, gab den Forschern Jahrzehnte lang Rätsel auf, vermutet hatten sie – aufgrund der Unabhängigkeit von der Materialklasse – einen sehr allgemeinen Mechanismus, den sie zuletzt der Körnigkeit des Materials zuschrieben.
Abb.: Klassisches Modell eines Netzwerks hexagonal verbundener Knotenpunkte (Bild: F. Kisslinger et al. / NPG)
Seit 2003 gibt es ein extrem vereinfachtes theoretisches Modell, das wohl den Kern des Effekts erfasst, aber nicht direkt mit Experimenten belegbar ist und viele Fragen offen lässt. Heiko Weber am Lehrstuhl für Angewandte Physik an der FAU und seine Arbeitsgruppe konnten nun ein Modellsystem finden, das zum Verständnis exakt dieses Phänomens führte. Ihre Beobachtung: In Doppellagen-Graphen verhält sich der Magnetowiderstand linear – anders als in einlagigem Graphen.
Doppellagiges Graphen ist eine zwei Atome dicke Schicht des Alltagsmaterials Graphit. Die Herstellung qualitativ hochwertigen, doppellagigen Graphens beherrschen die Erlanger Physiker seit vielen Jahren außergewöhnlich gut. Doch auch sie hat es überrascht, dass die Messung des Magnetowiderstandes in der Graphen-Doppellage ab einer Magnetfeldstärke von etwa 1 Tesla plötzlich ein lineares Verhalten bei wachsendem Magnetfeld ergab. Weber und sein Team wollten nun genau wissen, bis zu welcher Magnetfeldstärke dieser Effekt auftritt: Sie führten daher Messungen im Hochfeld-Magnetlabor Dresden am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf durch. Dort wurden die Materialproben für einige Millisekunden Magnetfeldern bis zu 70 Tesla ausgesetzt, nahe an der Grenze des technisch Machbaren. Doch auch unter diesen extremen Umständen setzt sich das lineare Verhalten des Magnetowiderstands von Doppellagen-Graphen linear fort – ein robuster Effekt, so die Beobachtung der FAU-Forscher.
Daraufhin galt es, den Grund für dieses Verhalten zu identifizieren. Die vermutete Körnigkeit, die bislang immer als mögliche Ursache für lineares Verhalten des Widerstands herangezogen worden war, schien bei der vermutet homogenen Graphen-Doppellage nicht gegeben. Doch der Schein trog: Bei der Beobachtung unter dem Transmissions-Elektronen-Mikroskop in der Arbeitsgruppe von Erdmann Spiecker in Erlangen zeigte sich, dass Graphen, wenn es doppellagig ist, sehr wohl eine Körnigkeit aufweist. Der Grund: Es bilden sich auf atomarer Skala kleinstmögliche Falten in der doppelten Lage, sogenannte Partialversetzungen, durch die das Material als Mosaik erscheint.
Für die elektronischen Eigenschaften dieses Mosaiks entwickelte Sam Shallcross, Lehrstuhl für Festkörpertheorie an der FAU, ein quantenmechanisches Modell, das den elektronischen Übergang von einem Mosaikstein auf den anderen berechnet. Überraschenderweise zieht jede Versetzungslinie eine sehr wirksame Barriere für den elektrischen Strom. Auf der Basis der unter dem Mikroskop sichtbaren Versetzungslinien haben die Forscher die verschlungenen Strompfade im Magnetfeld berechnen können – und den genannten Effekt gefunden.
FAU / DE