Verschränkung vieler Teilchen
Neue Methode kann zu einem besseren Verständnis von Quantenmaterialien beitragen.
Innsbrucker Wissenschaftler um Peter Zoller haben ein neues Werkzeug für die Bestimmung von Verschränkung in Vielteilchensystemen entwickelt und im Experiment demonstriert. Die Methode ermöglicht Untersuchungen von bisher unzugänglichen physikalischen Phänomenen und kann zu einem besseren Verständnis von Quantenmaterialien beitragen.
Verschränkung vieler Teilchen kann nur verstanden werden, wenn alle Teilchen, die einen bestimmten Zustand teilen, gleichzeitig betrachtet werden. Die Verschränkung der Teilchen bestimmt am Ende die Eigenschaften eines Materials. „Verschränkung vieler Teilchen ist die Eigenschaft, die den Unterschied macht“, betont Christian Kokail. „Sie ist zugleich aber auch sehr schwer zu bestimmen.“ Die Wissenschaftler um Peter Zoller an der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) liefern nun einen Ansatz, der die Untersuchung und das Verständnis von Verschränkung in Quantenmaterialien deutlich verbessern kann. Um große Quantensysteme zu beschreiben und daraus Informationen über die vorhandene Verschränkung zu extrahieren, müsste man eine unvorstellbar große Anzahl von Messungen durchführen.
„Wir haben eine effizientere Beschreibung entwickelt, die es uns ermöglicht, über Stichproben Verschränkungsinformationen aus dem System zu extrahieren“, erläutert der theoretische Physiker Rick van Bijnen. In einem Ionenfallen-Quantensimulator mit 51 Teilchen haben die Wissenschaftler ein reales Material imitiert, indem sie es Teilchen für Teilchen im Labor nachgebaut und in einer kontrollierten Laborumgebung untersucht haben. Nur ganz wenige Forschungsgruppen weltweit verfügen über die notwendige Kontrolle von so vielen Teilchen wie die Innsbrucker Experimentalphysiker um Christian Roos und Rainer Blatt. „Um diese Kontrolle gewährleisten zu können, haben wir das Experiment stark automatisiert“, erklärt Manoj Joshi. „Die Automatisierung der Messsequenzen und deren Analyse hilft uns, die Kontrolle über die Teilchen zu behalten.“
In dem Experiment wird der Quantensimulator als eine Art Co-Prozessor für einen klassischen Computer genutzt, der für ihn schwierige Rechenaufgaben an den Quantencomputer auslagert. Dabei konnten die Wissenschaftler zum ersten Mal Effekte im Experiment beobachten, die bisher nur theoretisch beschrieben worden sind. „Wir haben hier Wissen und Methoden miteinander kombiniert, die wir in den vergangenen Jahren gemeinsam mühevoll erarbeitet haben. Es ist beeindruckend zu sehen, dass man diese Dinge heute mit unseren Mitteln machen kann“, freut sich Christian Kokail, der seit kurzem am Institute for Theoretical Atomic Molecular and Optical Physics in Harvard forscht.
In einem Quantenmaterial können die Teilchen mehr oder weniger stark verschränkt sein. Messungen an einem stark verschränkten Teilchen liefern nur zufällige Ergebnisse. Fluktuieren die Ergebnisse der Messungen sehr stark – sind sie also rein zufällig – dann sprechen die Wissenschaftler von einem „heißen“ Quantenobjekt. Steigt die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ergebnis, handelt es sich um ein „kaltes“ Objekt. Erst die Messung aller verschränkten Objekte fördert den tatsächlichen Zustand zutage. In Systemen aus sehr vielen Teilchen steigt der Aufwand für die Messung enorm an. Die Quantenfeldtheorie hat vorhergesagt, dass Teilbereichen eines Systems aus vielen verschränkten Teilchen ein Temperaturprofil zugeordnet werden kann. Über diese Profile lässt sich auf den Grad der Verschränkung der Teilchen schließen.
Im Innsbrucker Quantensimulator werden diese Temperaturprofile über eine Feedbackschleife zwischen dem Computer und dem Quantensystem ermittelt, wobei der Computer immer neue Profile generiert und mit den tatsächlichen Messungen im Experiment abgleicht. Die von den Forschern gewonnenen Temperaturprofile zeigen, dass Teilchen, die stark mit der Umgebung interagieren „heiß“ und jene die wenig wechselwirken „kalt“ sind. „Das entspricht genau den Erwartungen, dass die Verschränkung dort besonders groß ist, wo die Wechselwirkung zwischen den Teilchen stark ist“, sagt Christian Kokail.
„Die von uns entwickelten Methoden liefern ein leistungsfähiges Werkzeug zur Untersuchung von großer Verschränkung in korrelierter Quantenmaterie. Dies öffnet die Tür zur Erforschung einer neuen Gruppe von physikalischen Phänomenen mit heute bereits existierenden Quantensimulatoren,“ ist Peter Zoller überzeugt. „Mit klassischen Computern können solche Simulationen mit vertretbarem Aufwand nicht mehr rechnen gerechnet werden.“ Die Methoden können auch dazu dienen, neue Theorie auf solchen Plattformen zu testen.
U. Innsbruck / JOL