Verschwindende Quasiteilchen bei Phasenwechsel
Genauerer Einblick in kontinuierliche Phasenwechsel gelungen.
Viele Stoffe ändern ihre Eigenschaften, wenn man sie unter eine bestimmte Temperatur abkühlt. In bestimmten Metallen treten Phasenübergänge auf, die es im Makrokosmos nicht gibt und den Gesetze der Quantenmechanik gehorchen. Man nimmt an, dass bei diesen exotischen Phasenübergängen das Konzept von Elektronen als Trägern der quantisierten, elektrischen Ladung nicht länger gilt. Forschende der Universität Bonn und der ETH Zürich haben nun einen Weg gefunden, dies direkt nachzuweisen.
So gibt es Phasenübergänge, bei denen sich charakteristische Merkmale eines Stoffs graduell ändern. Wenn man etwa einen Magneten aus Eisen auf 760 Grad Celsius erhitzt, verliert er seine Anziehungskraft auf andere Metallstücke. Er ist dann nicht länger ferromagnetisch, sondern paramagnetisch. Das geschieht aber nicht abrupt, sondern kontinuierlich: Die Eisenatome verhalten sich wie winzige Magnete. Bei niedrigen Temperaturen stehen sie parallel zueinander. Beim Erhitzen schwanken sie mehr und mehr um diese Ruhelage, bis sie völlig zufällig ausgerichtet sind und das Material seinen Magnetismus komplett einbüßt. Während es erhitzt wird, kann es also sowohl etwas ferromagnetisch als auch ein wenig paramagnetisch sein.
Der Phasenübergang erfolgt also gewissermaßen nach und nach, bis schließlich das gesamte Eisen paramagnetisch ist. Auf diesem Weg verlangsamt sich der Übergang immer stärker. Dieses Verhalten ist für alle kontinuierlichen Phasenübergänge charakteristisch. „Wir nennen es critical slowing down, also ‚kritische Abbremsung‘, erklärt Hans Kroha vom Bethe-Zentrum für theoretische Physik der Universität Bonn. „Grund dafür ist, dass bei kontinuierlichen Übergängen die beiden Phasen energetisch immer näher aneinander rücken.“ Es ist ähnlich wie bei einer Kugel, die man auf eine Rampe setzt: Sie rollt dann bergab, aber umso langsamer, je geringer der Höhenunterschied ist. Beim Erhitzen von Eisen nimmt der Energieunterschied zwischen den Phasen unter anderem deshalb immer mehr ab, weil die Magnetisierung beim Übergang kontinuierlich verschwindet.
Ein solches „slowing down“ ist typisch für Phasenübergänge, die auf der Anregung von Bosonen beruhen. Bosonen sind für Wechselwirkungen, auf denen beispielsweise der Magnetismus beruht, verantwortlich. Materie ist dagegen aus Fermionen aufgebaut. Phasenübergänge beruhen darauf, dass Teilchen oder auch die von ihnen ausgelösten Phänomene verschwinden. So wird der Magnetismus in Eisen immer kleiner, je weniger Atome parallel zueinander ausgerichtet sind. „Fermionen können jedoch aufgrund fundamentaler Gesetze nicht zerstört werden und daher auch nicht verschwinden“, erklärt Kroha. „Deshalb sind sie im Normalfall nie an Phasenübergängen beteiligt.“
Elektronen können an Atome gebunden vorliegen. Manche Elektronen in Metallen sind dagegen frei beweglich. In bestimmten exotischen Quantenmaterialien können beide Sorten von Elektronen einen Überlagerungszustand bilden. Dabei entstehen Quasiteilchen. Sie sind gewissermaßen zur selben Zeit unbeweglich und beweglich. Diese Quasiteilchen können anders als normale Elektronen bei einem Phasenübergang zerstört werden. Damit lassen sich auch dort die Eigenschaften eines kontinuierlichen Phasenübergangs beobachten, also etwa das critical slowing down.
Bislang ließ sich dieser Effekt experimentell nur indirekt beobachten. Die Forschenden um Hans Kroha und die experimentelle Gruppe von Manfred Fiebig an der ETH Zürich haben nun eine neue Methode entwickelt. Damit lässt sich der Zusammenbruch der Quasiteilchen an einem Phasenübergang direkt nachweisen. „Wir haben dadurch erstmals zeigen können, dass es auch bei Fermionen zu einer solchen Verlangsamung kommen kann“, sagt Kroha. Das Ergebnis trägt zu einem besseren Verständnis von Phasenübergängen in der Quantenwelt bei. Langfristig könnten sich die Erkenntnisse auch für Anwendungen in der Quanteninformationstechnologie nutzen lassen.
U. Bonn / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
C.-J. Yang et al.: Critical slowing down near a magnetic quantum phase transition with fermionic breakdown, Nat. Phys., online 31 Juli 2023; DOI: 10.1038/s41567-023-02156-7 - Bethe-Zentrum für Theoretische Physik (J. Kroha), Universität Bonn
- Multifunktionale Ferroische Materialien (M. Fiebig), ETH Zürich