02.08.2023

Verschwindende Quasiteilchen bei Phasenwechsel

Genauerer Einblick in kontinuierliche Phasenwechsel gelungen.

Viele Stoffe ändern ihre Eigenschaften, wenn man sie unter eine bestimmte Temperatur abkühlt. In bestimmten Metallen treten Phasen­übergänge auf, die es im Makrokosmos nicht gibt und den Gesetze der Quantenmechanik gehorchen. Man nimmt an, dass bei diesen exotischen Phasen­übergängen das Konzept von Elektronen als Trägern der quantisierten, elek­trischen Ladung nicht länger gilt. Forschende der Universität Bonn und der ETH Zürich haben nun einen Weg gefunden, dies direkt nach­zuweisen. 

Abb.: Illustration eines Quasi­teilchens, das aus lokalisierten und...
Abb.: Illustration eines Quasi­teilchens, das aus lokalisierten und beweglichen Elektronen zusammen­gesetzt ist. (Bild: U. Bonn)

So gibt es Phasen­übergänge, bei denen sich charak­teristische Merkmale eines Stoffs graduell ändern. Wenn man etwa einen Magneten aus Eisen auf 760 Grad Celsius erhitzt, verliert er seine Anziehungs­kraft auf andere Metallstücke. Er ist dann nicht länger ferromagnetisch, sondern paramagnetisch. Das geschieht aber nicht abrupt, sondern konti­nuierlich: Die Eisenatome verhalten sich wie winzige Magnete. Bei niedrigen Temperaturen stehen sie parallel zueinander. Beim Erhitzen schwanken sie mehr und mehr um diese Ruhelage, bis sie völlig zufällig ausgerichtet sind und das Material seinen Magnetismus komplett einbüßt. Während es erhitzt wird, kann es also sowohl etwas ferro­magnetisch als auch ein wenig paramagnetisch sein.

Der Phasenübergang erfolgt also gewissermaßen nach und nach, bis schließlich das gesamte Eisen para­magnetisch ist. Auf diesem Weg verlangsamt sich der Übergang immer stärker. Dieses Verhalten ist für alle kontinuierlichen Phasen­übergänge charak­teristisch. „Wir nennen es critical slowing down, also ‚kritische Abbremsung‘, erklärt Hans Kroha vom Bethe-Zentrum für theoretische Physik der Universität Bonn. „Grund dafür ist, dass bei konti­nuierlichen Übergängen die beiden Phasen energetisch immer näher aneinander rücken.“ Es ist ähnlich wie bei einer Kugel, die man auf eine Rampe setzt: Sie rollt dann bergab, aber umso langsamer, je geringer der Höhen­unterschied ist. Beim Erhitzen von Eisen nimmt der Energieunterschied zwischen den Phasen unter anderem deshalb immer mehr ab, weil die Magneti­sierung beim Übergang konti­nuierlich verschwindet.

Ein solches „slowing down“ ist typisch für Phasenübergänge, die auf der Anregung von Bosonen beruhen. Bosonen sind für Wechsel­wirkungen, auf denen beispielsweise der Magnetismus beruht, verantwortlich. Materie ist dagegen aus Fermionen aufgebaut. Phasen­übergänge beruhen darauf, dass Teilchen oder auch die von ihnen ausgelösten Phänomene verschwinden. So wird der Magnetismus in Eisen immer kleiner, je weniger Atome parallel zueinander ausgerichtet sind. „Fermionen können jedoch aufgrund funda­mentaler Gesetze nicht zerstört werden und daher auch nicht verschwinden“, erklärt Kroha. „Deshalb sind sie im Normalfall nie an Phasen­übergängen beteiligt.“

Elektronen können an Atome gebunden vorliegen. Manche Elektronen in Metallen sind dagegen frei beweglich. In bestimmten exotischen Quanten­materialien können beide Sorten von Elektronen einen Überlagerungs­zustand bilden. Dabei entstehen Quasiteilchen. Sie sind gewisser­maßen zur selben Zeit unbeweglich und beweglich. Diese Quasi­teilchen können anders als normale Elektronen bei einem Phasenübergang zerstört werden. Damit lassen sich auch dort die Eigenschaften eines konti­nuierlichen Phasen­übergangs beobachten, also etwa das critical slowing down.

Bislang ließ sich dieser Effekt experimentell nur indirekt beobachten. Die Forschenden um Hans Kroha und die experi­mentelle Gruppe von Manfred Fiebig an der ETH Zürich haben nun eine neue Methode entwickelt. Damit lässt sich der Zusammenbruch der Quasi­teilchen an einem Phasenübergang direkt nachweisen. „Wir haben dadurch erstmals zeigen können, dass es auch bei Fermionen zu einer solchen Verlangsamung kommen kann“, sagt Kroha. Das Ergebnis trägt zu einem besseren Verständnis von Phasen­übergängen in der Quantenwelt bei. Langfristig könnten sich die Erkenntnisse auch für Anwendungen in der Quanten­informations­technologie nutzen lassen.

U. Bonn / JOL

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