Nachdem Mitte der 1970er Jahre unabhängig voneinander William Hartmann und Donald Davis, sowie Alastair Cameron und William Ward die Hypothese aufgestellt hatten, der Mond sei vor 4,5 Milliarden Jahren durch die Kollision der Proto-Erde mit einem etwa marsgroßen Körper entstanden, hat sich dieses Szenario ab Mitte der 1980er Jahre weitgehend durchgesetzt. Doch während diese Kollisionstheorie zwar die dynamischen Aspekte des Erde-Mond-Systems gut erklärt, schwächelt sie in Bezug auf die überraschend ähnliche Zusammensetzung von Erde und Mond.
Abb.: Erste Phase der Mondentstehung im alternativen Szenario: Ein erster kleiner Einschlag erzeugt eine Materiescheibe um die Proto-Erde, aus der sich ein innerhalb von Jahrhunderten ein kleiner erster Mond bildet. Dieser wandert langsam nach außen. Nach mehreren Millionen Jahren kommt es zum nächsten Einschlag, wiederum bildet sich eine Materiescheibe und ein zweiter Mond entsteht. Auch er wandert nach außen und stößt schließlich mit dem ersten Mond zusammen. (Bild: R. Rufu et al.)
Untersuchungen an Meteoriten zeigen, dass die Bausteine der Planeten im jungen Sonnensystem sehr unterschiedliche Zusammensetzungen besessen haben. Insbesondere das Verhältnis bestimmter Isotope zueinander gilt geradezu als Fingerabdruck eines Himmelskörpers. Die Proto-Erde und der Theia genannte marsgroße Himmelskörper sollten also ebenfalls eine unterschiedliche Zusammensetzung aufgewiesen haben. Die Analysen der Bodenproben, die von Sonden und Apollo-Astronauten zur Erde gebracht wurden, zeigten jedoch eine weitgehende Übereinstimmung der Isotopen-Verhältnisse in irdischem und lunarem Gestein.
Kurzzeitig verhalf diese „Isotopen-Krise“ der bereits 1962 von Thomas Gold vorgeschlagenen von Gordon MacDonald weiterentwickelten Viele-Monde-Theorie zu neuem Auftrieb. Danach gab nicht den einen großen, sondern viele kleine Einschläge. Jeder Einschlag produzierte eine Trümmerscheibe um die Erde, aus der sich ein kleiner Trabant bildete. Dieser wanderte dann aufgrund der Gezeitenreibung langsam nach außen und stieß schließlich mit einem dort bereits kreisenden Mond zusammen. So bildete sich sukzessive der heutige große Mond der Erde. Und da jeder der kleinen Himmelskörper eine andere chemische Zusammensetzung besaß, verwischte sich deren Spur und die ursprüngliche Zusammensetzung der Erde dominierte auch die Zusammensetzung des Erdtrabanten.
Doch aus damaliger Sicht ließ sich die Umlaufbahn des Mondes nicht mit einem solchem Ablauf in Einklang bringen. So fiel dieses Szenario in Ungnade und die Forscher arbeiteten lieber an Verfeinerungen der Hypothese einer großen Kollision. Durch eine spezielle Auswahl der Parameter des Zusammenpralls gelang es, einen Erdtrabanten zu reproduzieren, der in seiner Zusammensetzung der Erde ähnelt. Eine solche Feinabstimmung verursacht den Wissenschaftlern jedoch einiges Unbehagen, denn sie bedeutet zugleich, dass es sich bei der Kollision von Proto-Erde mit Theia um ein extrem unwahrscheinliches Ereignis gehandelt haben muss.
Raluca Rufu vom Weizmann-Institut in Rehovot und ihre Kollegen präsentieren jetzt numerische Simulationen, die dem alternativen Szenario vieler kleiner Einschläge neues Leben einhauchen. Die erst dank moderner Hochleistungsrechner möglich gewordenen Rechnungen des Teams zeigen, dass etwa zwanzig Einschläge mit plausiblen Parametern sowohl die Umlaufbahn als auch die Zusammensetzung des Mondes reproduzieren können. „Sub-lunare kleine Monde sind ein typisches Ergebnis von Einschlägen auf die Proto-Erde im frühen Sonnensystem“, erläutern die Forscher. „Ein Szenario mit vielen Einschlägen kann also die Entstehung des Erde-Mond-Systems mit seinen heutigen Eigenschaften erklären.“
Rainer Kayser
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