29.05.2024

Vielteilchensysteme besser greifen

Anpassung der Wellenfunktion umgeht das Problem der Vorzeichenoszillationen.

Stark wechselwirkende Systeme spielen eine wichtige Rolle in der Quantenphysik und der Quanten­chemie. Ein bewährtes Vorgehen zur Untersuchung solcher Systeme sind stochastische Methoden wie etwa Monte Carlo Simulationen. Diese stoßen allerdings an ihre Grenzen, wenn Vorzeichen­oszillationen auftreten. Dieses Problem wurde nun von einem internationalen Team von Forschenden aus Deutschland, der Türkei, USA, China, Süd-Korea und Frankreich durch die neue Methode der Wellen­funktions-Angleichung gelöst. Als Beispiel wurden die Massen und Radien aller Kerne bis Massenzahl 50 damit ausgerechnet. Die Ergebnisse stimmen laut Forschenden mit den Messungen überein.

Abb.: Verschiedene Formen der Atomkerne auf dem Gitter.
Abb.: Verschiedene Formen der Atomkerne auf dem Gitter.
Quelle: S. Elhatisari

Jedes Teilchen innerhalb der Atome folgt den Regeln der Quantenmechanik. Mit der Quantenviel­teilchentheorie lassen sich alle Systeme mit vielen Teilchen, wie zum Beispiel Atomkerne, beschreiben. Eine der Methoden, die von Kernphysikern zur Untersuchung von Atomkernen verwendet wird, ist der Ab-Initio-Ansatz. Er beschreibt komplexe Systeme, indem er von einer Beschreibung ihrer elementaren Bestandteile und ihrer Wechsel­wirkungen ausgeht. Im Fall der Kernphysik sind die elementaren Bestandteile Protonen und Neutronen. Einige Schlüsselfragen, zu deren Beantwortung Ab-Initio-Berechnungen beitragen können, sind die Bindungs­energien und Eigenschaften von Atomkernen sowie die Verknüpfung der Kernstruktur mit den zugrunde liegenden Wechsel­wirkungen zwischen Protonen und Neutronen.

Diese Ab-Initio-Methoden haben jedoch Schwierigkeiten, zuverlässige Berechnungen für Systeme mit komplexen Wechsel­wirkungen durch­zuführen. Eine dieser Methoden sind die Quanten-Monte-Carlo-Simulationen. Dabei werden Größen mit Hilfe zufälliger oder stochastischer Prozesse berechnet. Quanten-Monte-Carlo-Simulationen können zwar effizient und leistungs­fähig sein, haben aber eine erhebliche Schwäche: das Vorzeichen­problem. Es entsteht bei Prozessen mit positiven und negativen Gewichten, die sich gegenseitig aufheben. Diese Aufhebung führt zu ungenauen End­vorhersagen.

Ein neuer Ansatz, das Wellen­funktions-Matching, soll helfen, solche Berechnungsprobleme für Ab-Initio-Methoden zu lösen. „Dieses Problem wird durch die neue Methode der Wellenfunktions-Angleichung gelöst, indem man das komplizierte Problem in erster Näherung auf ein einfaches Modellsystem, das derlei Vorzeichen­oszillationen nicht hat, abbildet und die Unterschiede dann in der Störungstheorie behandelt“, sagt Ulf-G. Meißner vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn sowie vom Institut für Kernphysik und vom Center for Advanced Simulation and Analytics des Forschungs­zentrums Jülich. „Als Beispiel wurden die Massen und Radien aller Kerne bis Massenzahl 50 damit ausgerechnet – und die Ergebnisse stimmen mit den Messungen überein“, berichtet Meißner von der Universität Bonn.

„In der Quanten-Vielteilchen­theorie sind wir oft mit der Situation konfrontiert, dass wir Berechnungen mit einer einfachen Näherungs­wechselwirkung durchführen können, aber realistische Wechsel­wirkungen mit hoher Genauigkeit schwerwiegende Berechnungs­probleme verursachen“, sagt Dean Lee von der Michigan State University. Die Wellenfunktions­anpassung löse dieses Problem, indem der Kurzstreckenanteil der High-Fidelity-Wechselwirkung entfernt und durch den Kurzstreckenanteil einer leicht berechenbaren Wechselwirkung ersetzt wird. Diese Umwandlung erfolge auf eine Weise, die alle wichtigen Eigenschaften der ursprünglichen realis­tischen Wechselwirkung beibehält. Da die neuen Wellen­funktionen denjenigen der leicht berechenbaren Wechsel­wirkung ähneln, können die Forschenden nun Berechnungen mit der leicht berechenbaren Wechselwirkung durchführen und ein Standard­verfahren zur Behandlung kleiner Korrekturen – die Störungstheorie – nutzen.

Das Forschungsteam wandte diese neue Methode auf Gitter-Quanten-Monte-Carlo-Simu­lationen für leichte Kerne, mittelschwere Kerne, Neutronenmaterie und Kernmaterie an. Mit Hilfe präziser Ab-Initio-Berechnungen stimmten die Ergebnisse sehr gut mit realen Daten zu Kerneigenschaften wie Größe, Struktur und Bindungs­energie überein. Berechnungen, die früher aufgrund des Vorzeichen­problems unmöglich waren, können nun mit der Wellenfunktions­anpassung durchgeführt werden. Während sich das Forschungsteam ausschließlich auf Quanten-Monte-Carlo-Simulationen konzentrierte, sollte die Wellenfunktions­anpassung für viele verschiedene Ab-Initio-Ansätze nützlich sein. „Diese Methode kann sowohl im klassischen Computing als auch im Quanten-Computing eingesetzt werden, um zum Beispiel die Eigenschaften topo­logischer Materialien besser vorhersagen zu können, die für das Quanten-Computing wichtig sind“, sagt Meißner.

U. Bonn / JOL

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