Vielteilchensysteme besser greifen
Anpassung der Wellenfunktion umgeht das Problem der Vorzeichenoszillationen.
Stark wechselwirkende Systeme spielen eine wichtige Rolle in der Quantenphysik und der Quantenchemie. Ein bewährtes Vorgehen zur Untersuchung solcher Systeme sind stochastische Methoden wie etwa Monte Carlo Simulationen. Diese stoßen allerdings an ihre Grenzen, wenn Vorzeichenoszillationen auftreten. Dieses Problem wurde nun von einem internationalen Team von Forschenden aus Deutschland, der Türkei, USA, China, Süd-Korea und Frankreich durch die neue Methode der Wellenfunktions-Angleichung gelöst. Als Beispiel wurden die Massen und Radien aller Kerne bis Massenzahl 50 damit ausgerechnet. Die Ergebnisse stimmen laut Forschenden mit den Messungen überein.
Jedes Teilchen innerhalb der Atome folgt den Regeln der Quantenmechanik. Mit der Quantenvielteilchentheorie lassen sich alle Systeme mit vielen Teilchen, wie zum Beispiel Atomkerne, beschreiben. Eine der Methoden, die von Kernphysikern zur Untersuchung von Atomkernen verwendet wird, ist der Ab-Initio-Ansatz. Er beschreibt komplexe Systeme, indem er von einer Beschreibung ihrer elementaren Bestandteile und ihrer Wechselwirkungen ausgeht. Im Fall der Kernphysik sind die elementaren Bestandteile Protonen und Neutronen. Einige Schlüsselfragen, zu deren Beantwortung Ab-Initio-Berechnungen beitragen können, sind die Bindungsenergien und Eigenschaften von Atomkernen sowie die Verknüpfung der Kernstruktur mit den zugrunde liegenden Wechselwirkungen zwischen Protonen und Neutronen.
Diese Ab-Initio-Methoden haben jedoch Schwierigkeiten, zuverlässige Berechnungen für Systeme mit komplexen Wechselwirkungen durchzuführen. Eine dieser Methoden sind die Quanten-Monte-Carlo-Simulationen. Dabei werden Größen mit Hilfe zufälliger oder stochastischer Prozesse berechnet. Quanten-Monte-Carlo-Simulationen können zwar effizient und leistungsfähig sein, haben aber eine erhebliche Schwäche: das Vorzeichenproblem. Es entsteht bei Prozessen mit positiven und negativen Gewichten, die sich gegenseitig aufheben. Diese Aufhebung führt zu ungenauen Endvorhersagen.
Ein neuer Ansatz, das Wellenfunktions-Matching, soll helfen, solche Berechnungsprobleme für Ab-Initio-Methoden zu lösen. „Dieses Problem wird durch die neue Methode der Wellenfunktions-Angleichung gelöst, indem man das komplizierte Problem in erster Näherung auf ein einfaches Modellsystem, das derlei Vorzeichenoszillationen nicht hat, abbildet und die Unterschiede dann in der Störungstheorie behandelt“, sagt Ulf-G. Meißner vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn sowie vom Institut für Kernphysik und vom Center for Advanced Simulation and Analytics des Forschungszentrums Jülich. „Als Beispiel wurden die Massen und Radien aller Kerne bis Massenzahl 50 damit ausgerechnet – und die Ergebnisse stimmen mit den Messungen überein“, berichtet Meißner von der Universität Bonn.
„In der Quanten-Vielteilchentheorie sind wir oft mit der Situation konfrontiert, dass wir Berechnungen mit einer einfachen Näherungswechselwirkung durchführen können, aber realistische Wechselwirkungen mit hoher Genauigkeit schwerwiegende Berechnungsprobleme verursachen“, sagt Dean Lee von der Michigan State University. Die Wellenfunktionsanpassung löse dieses Problem, indem der Kurzstreckenanteil der High-Fidelity-Wechselwirkung entfernt und durch den Kurzstreckenanteil einer leicht berechenbaren Wechselwirkung ersetzt wird. Diese Umwandlung erfolge auf eine Weise, die alle wichtigen Eigenschaften der ursprünglichen realistischen Wechselwirkung beibehält. Da die neuen Wellenfunktionen denjenigen der leicht berechenbaren Wechselwirkung ähneln, können die Forschenden nun Berechnungen mit der leicht berechenbaren Wechselwirkung durchführen und ein Standardverfahren zur Behandlung kleiner Korrekturen – die Störungstheorie – nutzen.
Das Forschungsteam wandte diese neue Methode auf Gitter-Quanten-Monte-Carlo-Simulationen für leichte Kerne, mittelschwere Kerne, Neutronenmaterie und Kernmaterie an. Mit Hilfe präziser Ab-Initio-Berechnungen stimmten die Ergebnisse sehr gut mit realen Daten zu Kerneigenschaften wie Größe, Struktur und Bindungsenergie überein. Berechnungen, die früher aufgrund des Vorzeichenproblems unmöglich waren, können nun mit der Wellenfunktionsanpassung durchgeführt werden. Während sich das Forschungsteam ausschließlich auf Quanten-Monte-Carlo-Simulationen konzentrierte, sollte die Wellenfunktionsanpassung für viele verschiedene Ab-Initio-Ansätze nützlich sein. „Diese Methode kann sowohl im klassischen Computing als auch im Quanten-Computing eingesetzt werden, um zum Beispiel die Eigenschaften topologischer Materialien besser vorhersagen zu können, die für das Quanten-Computing wichtig sind“, sagt Meißner.
U. Bonn / JOL