Vom Physiker zum Fanatiker
Eine Sonderausstellung des Deutschen Museums beleuchtet das kontroverse Leben des Physik-Nobelpreisträgers Philipp Lenard.
Kaum ein Physiker dürfte sich so konsequent um seinen guten Ruf gebracht haben wie Philipp Lenard (1862 – 1947). Als er 1905 den Nobelpreis für seine Arbeiten mit Kathodenstrahlen verliehen bekam, war er auf dem Zenit seiner Karriere angelangt und galt als einer der angesehensten Physiker Deutschlands. Doch spätestens mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges radikalisierte er sich zusehends, zunächst als Verfechter eines deutschen Nationalismus, ab den Zwanzigerjahren dann als Anhänger Hitlers und des Nationalsozialismus. Über den Streit mit Einstein um dessen Relativitätstheorie wurde Lenard schließlich zum fanatischen Antisemiten, der eine rassistisch motivierte „Deutsche Physik“ propagierte.
Dass das Deutsche Museum Lenard eine Sonderausstellung widmet, ist keinesfalls als Heldenverehrung zu verstehen. Vielmehr bietet die erstmalige Zusammenführung von Lenards umfangreichem Nachlass die Gelegenheit, anhand zentraler Objekte ein noch differenzierteres Bild einer sehr schwierigen Gestalt der Physikgeschichte zu zeichnen. Ein Glücksfall war dabei eine überraschend im Depot des Deutschen Museums entdeckte Kiste mit Objekten aus Lenards Nachlass. Außerdem kam ein weiterer großer Teil des Nachlasses aus dem Privatbesitz von Erben ins Deutsche Museum, darunter auch die privaten Tagebücher von Philipp Lenard, die bislang noch nicht ausgewertet worden sind.
Anhand der ausgestellten Objekte und Originaldokumente, unter anderem die Nobelpreis-Urkunde und -Medaille, wird nicht nur Lenards wissenschaftliche Leistung gewürdigt, sondern auch seine nationalsozialistische und antisemitische Vergangenheit gezeigt. Eine genaue Untersuchung machte deutlich, dass Lenard die Apparate, Werkzeuge und Proben seiner Versuche bewusst aufbewahrte und schon früh begonnen hat, sie als Teil seiner Autobiografie zu definieren. In dieser Hinsicht ist auch der Ausstellungstitel „Konstruierte Wirklichkeit“ zu verstehen.
Mit dieser 1888 angefertigten Röhre gelang Lenard der erste Nachweis der Transmission von Kathodenstrahlen. Dies ebnete den Weg zur weiteren Erforschung der Strahlen, wofür er 1905 den Nobelpreis erhielt. (Foto: Deutsches Museum)
Die zahlreichen Beschriftungen, die Lenard an den Gegenständen anbrachte, waren keine bloßen Beschreibungen, sondern zunehmend wertende Zeugnisse bei der Konstruktion der eigenen Biografie. Besonders deutlich schlägt sich sein Prioritätenstreit mit Wilhelm Röntgen nieder – Lenard behauptete stets, dass dieser eine von ihm konstruierte Röhre bei der Entdeckung der Röntgenstrahlen verwendet habe. Auch mit der DPG überwarf sich Lenard. Als er sich dort mit seinen deutschnationalen Zielen nicht durchsetzen konnte, trat er 1925 aus. DPG-Mitglieder hatten in seinem Heidelberger Institut fortan keinen Zutritt mehr.
„Es ist nicht leicht, ein gerechtes Bild von Lenard zu zeichnen. Andererseits macht gerade das seine Geschichte zu einem interessanten Lehrstück“, sagte DPG-Präsidentin Johanna Stachel während der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung am 20. November. Die kluge Auswahl und Präsentation der Objekte und Dokumente macht die kleine, aber feine Ausstellung tatsächlich zu einem gelungenen Lehrstück.
Die Sonderausstellung wird noch bis zum 3. März 2013 im Vorraum der Bibliothek des Deutschen Museums zu sehen sein und zwar täglich von 9 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Zur Ausstellung gibt es einen reich illustrierten Begleitkatalog, der neben aufschlussreichen Artikeln alle Ausstellungsobjekte zeigt und erläutert.
Deutsches Museum / Alexander Pawlak