Vorbild Seeigelstachel
Bruchfesterer Zement durch Nachahmung der Nanostruktur.
Der Stachel des Seeigels besteht zum größten Teil aus Kalk, einem sehr spröden und damit brüchigen Material. Doch der Seeigelstachel ist sehr viel bruchfester als Kalk. Der Grund dafür liegt in seiner „Backsteinmauer-
Abb.: Biege-Experiment von elastischem Zement im Rasterelektronenmikroskop bei zweitausendfacher Vergrößerung. Der mit einem Ionenstrahl präzise aus einem Partikel herausgeschnittene Balken aus nanostrukturiertem Zement biegt sich unter dem Druck eines Mikromanipulators (links im Bild), ohne zu brechen. (Bild: Z. Burkhard, U. Konstanz)
„Unser Zement, der deutlich bruchfester ist als alles, was in diesem Bereich bislang bekannt ist, eröffnet ganz neue Möglichkeiten zu bauen“, so Teamleiter Helmut Cölfen. Würde man mit diesem Zement eine Säule errichten, so könnte diese achttausend Meter hoch sein, zehnmal höher als das bisher höchste Gebäude der Welt, bevor das Material am unteren Ende der Säule durch den Druck zerstört würde. Mit normalem Stahl würde man gerade einmal dreitausend Meter erreichen.
Die „Backsteinmauer-Architektur“ im Nanobereich ist vergleichbar mit der Tätigkeit eines Maurers: Er setzt Stein auf Stein, wobei er die einzelnen Steinschichten mit Mörtel verklebt. Dahinter steckt das Prinzip hart - weich - hart - weich. Die Natur nutzt dieses Prinzip, um den Seeigelstachel widerstandsfähig zu machen. Wenn Kräfte auf den brüchigen Kalk einwirken, spaltet sich zwar der kristalline Baustein, die Energie trifft daraufhin aber auf eine weiche ungeordnete Schicht. Da diese keine Spaltebene hat, wird so der Riss aufgehalten. Ein dünner Schnitt durch einen Seeigelstachel belegt das Strukturprinzip: Kristalline Bausteine in geordneter Struktur sind von einem weicheren amorphen Bereich umgeben. Im Fall des Seeigelstachels handelt es sich um Kalziumkarbonat.
Zement besitzt an sich eine ungeordnete Struktur, alles klebt mit allem zusammen. Das bedeutet: Um die schichtweise geordnete und deutlich mehr Stabilität versprechende Ziegelstein-
In Zusammenarbeit mit dem MPI für Festkörperforschung gelang es mit Hilfe eines Ionenstrahls unter einem Elektronenmikroskop, eine Mikrostruktur auszuschneiden, einen Balken aus dem nanostrukturierten Zement von drei Mikrometern. Mithilfe eines Mikromanipulators wurde der Balken nach unten gedrückt. Wurde er wieder losgelassen, schwang er in seine Ausgangsposition zurück. Aus der Auslenkung der elastischen Verformung des Balkens konnten mechanische Werte errechnet werden. Danach kommt der optimierte Zement auf einen Wert von 200 Megapascal. Zum Vergleich: Die Muschelschale, der Goldstandard der Bruchfestigkeit, hat den Wert von 210 Megapascal, somit nur geringfügig mehr. Gängiger Beton hat heute den Wert von 2 bis 5 Megapascal. „Wir haben viel bessere Baumaterialien als Kalk“, so Cölfen. „Wenn es uns gelingt, Materialien gezielt zu strukturieren und solche Baupläne nachzubauen, erhalten wir noch viel bruchfestere Materialien – Hochleistungsmaterialien, die bioinspiriert sind.“
U. Konstanz / RK