Wandernde magische Zahlen
Das instabile Isotop Kalzium-54 zeigt eine neue magische Neutronenzahl von 34.
In stabilen Atomkernen existieren ähnlich wie in der Elektronenhülle bestimmte Konfigurationen, die mit einer besonders hohen Stabilität einhergehen. Sie entsprechen abgeschlossenen Schalen und treten bei den „magischen Zahlen“ auf, die bei 2, 8, 20, 28, 50, 82 und 126 Neutronen oder Protonen liegen. Im Gegensatz zur Elektronenhülle sind im Atomkern aber zwei verschiedene Teilchen beteiligt, was die Angelegenheit verkompliziert.
Abb.: Das supraleitende Ring-Zyklotron beschleunigt die Zink-70-Ionen, aus denen schrittweise die untersuchten Kalzium-54-Kerne entstehen. (Bild: RIKEN Nishina Center for Accelerator-Based Science)
Bei neutronenreichen Atomkernen können sich die magischen Zahlen durchaus verschieben. So verschwindet etwa beim neutronenreichen Silizium-42, das weit entfernt von den stabilen Isotopen liegt, die magische 28. Die Schalenstruktur jenseits des schwarzen Bereichs der Nuklidkarte unterliegt demnach Veränderungen. Ein Beispiel hierfür liefern auch exotische Sauerstoff-Isotope, die auf einen neuen Schalenabschluss bei 16 Neutronen hinweisen. Bei stabilen Atomkernen ist eine solche Kernstruktur unbekannt.
Einsichten in diese „Evolution der Schalenzustände“ sind aber nicht nur für theoretische Modelle der Kernphysik wichtig, sondern auch für die Astrophysik. Denn die Elementsynthese bei Supernovae geschieht in einem extrem neutronenreichen Milieu. Eine Gruppe japanischer Wissenschaftler hat deshalb untersucht, wie sich neutronenreiche Kalzium-Kerne verhalten. Hierzu nutzten sie die Radioactive Isotope Beam Factory am RIKEN Nishina Center for Accelerator Based Studies.
Die Forscher erzeugten Kalzium-54-Kerne, indem sie zunächst Scandium-55- und Titan-56-Kerne herstellten. Diese entstanden bei der Fragmentierung von Zink-70-Ionen bei 345 Megaelektronenvolt. Den radioaktiven Strahl, der etwa 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit schnell war, trennten die Wissenschaftler über die magnetische Rigidität mit dem BigRIPS-Separator in seine Konstituenten. Die Sc-55- und Ti-56-Kerne lenkten sie dann auf ein zehn Millimeter dickes Beryllium-Target, das von einem hocheffizienten, den vollen Raumwinkel abdeckenden Natrium-Szintillator umgeben war. Die erwünschten Kalzium-54-Kerne entstanden durch das Herausschlagen von einem oder zwei Protonen aus den Strahlkernen. Die Reaktionsprodukte identifizierten die Forscher anschließend mit dem ZeroDegree-Spektrometer.
Abb.: Der DALI2-Gammastrahlen-Detektor an der Radioactive Isotope Beam Factory ermöglicht die Bestimmung der Energielevel der angeregten Kernzustände. (Bild: S. Takeuchi)
Dabei stellten sie fest, dass Kalzium-54 offenbar doppelt magisch ist. Nicht nur seine 20 Protonen, sondern auch die 34 Neutronen befanden sich in einer abgeschlossenen Schale. Die Spin-Parität-Quantenzahlen konnten die Forscher jedoch nicht sicher ermitteln. Sie hoffen aber, in Zukunft sowohl diese genauer ermitteln als auch die Anregungszustände und Massen von Ca-55 und Ca-56 herausfinden zu können, was die Grenze des bei Kalzium Möglichen ein Stück weiter hinausschieben würde.
Dirk Eidemüller