Wann Erdbeben Vulkanausbrüche auslösen
Neue Klassifizierung identifiziert Schlüsselmechanismen für Ausbrüche.
Vulkanausbrüche können von Erdbeben ausgelöst werden. Allerdings ist dies vergleichsweise selten der Fall und passiert nur, wenn der Vulkan bereits zum Ausbruch bereit ist. Das zeigen Geophysiker um Gilles Seropian von der University of Canterbury, Neuseeland, unter Mitwirkung von Thomas Walter vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ und der Universität Potsdam anhand einer Vielzahl bereits vorhandener Daten und Studien. Sie haben analysiert, unter welchen Umständen damit gerechnet werden muss und welche Mechanismen dem zugrunde liegen. Ihre neue Klassifizierung von Vulkanen ergibt auch neue Ansätze für die Überwachung von Vulkanen.
Erdbeben lösen durch Erschütterungen und Spannungen eine Vielzahl von Reaktionen in Vulkanen aus, sowohl in solchen nah am Epizentrum als auch in weit davon entfernten. Sie können beispielsweise dazu führen, dass sich Risse im Gestein öffnen oder schließen, dass Magma zu schwappen beginnt oder sich die Druckverhältnisse in Gasen, Flüssigkeiten und im Magma verändern. Wie und wann es in der Folge von Erdbeben tatsächlich zu Eruptionen kommen kann, wird bereits lange diskutiert, ist aber noch unzureichend systematisch erforscht. Das interdisziplinäre Team um Gilles Seropian und Thomas Walter, Arbeitsgruppenleiter in der Sektion Erdbeben- und Vulkanphysik, hat nun den aktuellen Wissensstand dazu zusammengetragen und analysiert. Dabei haben sie Daten von vulkanischen Labormodellen ebenso betrachtet wie von Infrarot-Satellitenüberwachung und komplexe mathematische Erdbeben-Modelle. Die Forscher mussten die entsprechenden Daten auswählen, vergleichen und die relevanten Ergebnisse zu einem einzigen Modell kombinieren, das die wichtigsten Aspekte abdeckt.
So haben sie eine neue Klassifikation von Vulkanen erarbeitet, die es ermöglicht, die Auswirkungen verschiedener Erdbebenszenarien systematisch mit vulkanischen Aktivitäten in Verbindung zu setzen. Sie unterteilen die Vulkane in fünf gängige Typen und betrachten acht verschiedene seismische Szenarien, was insgesamt vierzig mögliche Kombinationen ergibt. Für jeden dieser Fälle identifizieren sie, welche physikalischen Mechanismen einen Vulkanausbruch begünstigen können. Eine Erkenntnis dabei: Grundsätzlich ist dies für jeden Vulkantyp möglich. Erdbeben entstehen durch plötzliche Brüche in der Erdkruste. Es gilt zu verstehen, wie die dadurch entstehenden Spannungen so in Vulkanen wirken, dass es zu einer Eruption kommen kann. Dabei werden sowohl statische Spannungen betrachtet, die dauerhaft sind und überwiegend in der näheren Umgebung des Epizentrums wirken, als auch dynamische, die vorübergehender Natur sind und sich über größere Distanzen fortpflanzen können.
Auch Vulkane sind sehr vielfältig – in Bezug auf die Struktur des Untergrunds und der Oberfläche, ihre chemische Zusammensetzung, die Art der Eruption oder deren Vorläufersignale. Im Rahmen ihrer Analyse haben die Forscher drei Schlüsselparameter für die Reaktion von Vulkanen auf Erdbeben identifiziert: Zum einen die Viskosität des Magmas. Es kann flüssig wie Öl sein oder so zäh, dass es ein ganzes Gebäude trägt. Zum zweiten ist es wichtig, wie leicht Gas aus dem Vulkan entweichen kann. Wenn Gas in der Tiefe eingeschlossen ist, kann sich Druck aufbauen und später zu einer Explosion führen. Und zum dritten spielt es eine entscheidende Rolle, ob hydrothermale Systeme vorhanden sind. So werden Bereiche in einem Vulkan bezeichnet, in denen Wasser von dem darunter befindlichen Magma zu Dampf erhitzt wird. Die Studie zeigt, dass insbesondere die hydrothermalen Systeme sehr empfindlich auf Erdbeben reagieren. Einmal destabilisiert, könnten sie bis zum Magma vordringen und dann eine Eruption auslösen.
Die Zeitskalen, auf denen Reaktionen eines Vulkans auf ein Erdbeben zu erwarten sind, können sehr unterschiedlich sein, ebenso die räumlichen Entfernungen: Bei rund der Hälfte der Vulkanausbrüche mit auslösendem Erdbeben fand die Reaktion erst Monate nach dem Beben statt. Aber auch zwei bis fünf Jahre später können noch Auswirkungen festgestellt werden. Auf der räumlichen Skala finden sich Entfernungen von bis zu 1000 Kilometern. Das Auslösen von Unruhe-Phänomenen wie verstärkter Bebenaktivität, Entgasung, Wärmestrom oder Absenkung wurde auch noch in Entfernungen von 10.000 Kilometern beobachtet. „Hierin liegt auch eine der großen Herausforderungen, wenn man Zusammenhänge erkennen will“, sagt Thomas Walter. „Denn nicht hinter jeder zeitlichen und räumlichen Korrelation zwischen einem Erdbeben und einem Vulkanausbruch steckt auch ein kausaler Zusammenhang.“ Gilles Seropian ergänzt: „Die Vielfalt der Daten, die in unserer Studie verwendet wurden, ist beeindruckend, es war definitiv eine Teamleistung erforderlich, um sie alle zu sammeln und zu verstehen. Aber das macht die Arbeit auch besonders spannend: sich mit so unterschiedlichen Teilen der Wissenschaft zu beschäftigen und zu versuchen, einen Weg zu finden, sie zu etwas Nützlichem zu kombinieren.“
Insgesamt zeigten die Analysen auch vergangener Ereignisse, dass Vulkanausbrüche eher selten direkt von Erdbeben ausgelöst werden. Dafür muss schon eine gewisse Ausbruchsbereitschaft vorhanden sein. „Dennoch unterstreicht diese Arbeit die Notwendigkeit, Vulkane nach einem großen Erdbeben detailliert zu überwachen. Denn das Beben kann die nächste Eruption vorantreiben. Welche grundlegenden Mechanismen dafür wichtig sind, konnten wir in unserer Studie zeigen. Das liefert nützliche Informationen für Überwachungsstrategien und trägt zur Verbesserung der vulkanischen Gefahrenabschätzung bei“, resümiert Walter.
GFZ / JOL