16.06.2021

Wann Erdbeben Vulkanausbrüche auslösen

Neue Klassifizierung identifiziert Schlüsselmechanismen für Ausbrüche.

Vulkan­ausbrüche können von Erdbeben ausgelöst werden. Allerdings ist dies vergleichsweise selten der Fall und passiert nur, wenn der Vulkan bereits zum Ausbruch bereit ist. Das zeigen Geophysiker um Gilles Seropian von der University of Canterbury, Neuseeland, unter Mitwirkung von Thomas Walter vom Deutschen Geoforschungs­zentrum GFZ und der Universität Potsdam anhand einer Vielzahl bereits vorhandener Daten und Studien. Sie haben analysiert, unter welchen Umständen damit gerechnet werden muss und welche Mechanismen dem zugrunde liegen. Ihre neue Klassi­fizierung von Vulkanen ergibt auch neue Ansätze für die Überwachung von Vulkanen.

Abb.: Der Vulkan Karymski in Kamchatka (Bild: T. Walter, GFZ)
Abb.: Der Vulkan Karymski in Kamchatka (Bild: T. Walter, GFZ)

Erdbeben lösen durch Erschütterungen und Spannungen eine Vielzahl von Reaktionen in Vulkanen aus, sowohl in solchen nah am Epizentrum als auch in weit davon entfernten. Sie können beispiels­weise dazu führen, dass sich Risse im Gestein öffnen oder schließen, dass Magma zu schwappen beginnt oder sich die Druckverhältnisse in Gasen, Flüssigkeiten und im Magma verändern. Wie und wann es in der Folge von Erdbeben tatsächlich zu Eruptionen kommen kann, wird bereits lange diskutiert, ist aber noch unzureichend systematisch erforscht. Das inter­disziplinäre Team um Gilles Seropian und Thomas Walter, Arbeits­gruppen­leiter in der Sektion Erdbeben- und Vulkanphysik, hat nun den aktuellen Wissensstand dazu zusammen­getragen und analysiert. Dabei haben sie Daten von vulkanischen Labor­modellen ebenso betrachtet wie von Infrarot-Satelliten­überwachung und komplexe mathematische Erdbeben-Modelle. Die Forscher mussten die entsprechenden Daten auswählen, vergleichen und die rele­vanten Ergebnisse zu einem einzigen Modell kombinieren, das die wichtigsten Aspekte abdeckt.

So haben sie eine neue Klassi­fikation von Vulkanen erarbeitet, die es ermöglicht, die Auswirkungen verschiedener Erdbeben­szenarien systematisch mit vulkanischen Aktivitäten in Verbindung zu setzen. Sie unterteilen die Vulkane in fünf gängige Typen und betrachten acht verschiedene seismische Szenarien, was insgesamt vierzig mögliche Kombinationen ergibt. Für jeden dieser Fälle identifizieren sie, welche physi­kalischen Mechanismen einen Vulkanausbruch begünstigen können. Eine Erkenntnis dabei: Grundsätzlich ist dies für jeden Vulkantyp möglich. Erdbeben entstehen durch plötzliche Brüche in der Erdkruste. Es gilt zu verstehen, wie die dadurch entstehenden Spannungen so in Vulkanen wirken, dass es zu einer Eruption kommen kann. Dabei werden sowohl statische Spannungen betrachtet, die dauerhaft sind und überwiegend in der näheren Umgebung des Epizentrums wirken, als auch dynamische, die vorüber­gehender Natur sind und sich über größere Distanzen fortpflanzen können. 

Auch Vulkane sind sehr vielfältig – in Bezug auf die Struktur des Untergrunds und der Oberfläche, ihre chemische Zusammen­setzung, die Art der Eruption oder deren Vorläufer­signale. Im Rahmen ihrer Analyse haben die Forscher drei Schlüssel­parameter für die Reaktion von Vulkanen auf Erdbeben identi­fiziert: Zum einen die Viskosität des Magmas. Es kann flüssig wie Öl sein oder so zäh, dass es ein ganzes Gebäude trägt. Zum zweiten ist es wichtig, wie leicht Gas aus dem Vulkan entweichen kann. Wenn Gas in der Tiefe eingeschlossen ist, kann sich Druck aufbauen und später zu einer Explosion führen. Und zum dritten spielt es eine entscheidende Rolle, ob hydrothermale Systeme vorhanden sind. So werden Bereiche in einem Vulkan bezeichnet, in denen Wasser von dem darunter befindlichen Magma zu Dampf erhitzt wird. Die Studie zeigt, dass insbesondere die hydro­thermalen Systeme sehr empfindlich auf Erdbeben reagieren. Einmal destabilisiert, könnten sie bis zum Magma vordringen und dann eine Eruption auslösen. 

Die Zeitskalen, auf denen Reaktionen eines Vulkans auf ein Erdbeben zu erwarten sind, können sehr unter­schiedlich sein, ebenso die räumlichen Entfernungen: Bei rund der Hälfte der Vulkan­ausbrüche mit auslösendem Erdbeben fand die Reaktion erst Monate nach dem Beben statt. Aber auch zwei bis fünf Jahre später können noch Auswirkungen festgestellt werden. Auf der räumlichen Skala finden sich Entfernungen von bis zu 1000 Kilometern. Das Auslösen von Unruhe-Phänomenen wie verstärkter Beben­aktivität, Entgasung, Wärmestrom oder Absenkung wurde auch noch in Entfernungen von 10.000 Kilometern beobachtet. „Hierin liegt auch eine der großen Heraus­forderungen, wenn man Zusammenhänge erkennen will“, sagt Thomas Walter. „Denn nicht hinter jeder zeitlichen und räumlichen Korrelation zwischen einem Erdbeben und einem Vulkanausbruch steckt auch ein kausaler Zusammenhang.“ Gilles Seropian ergänzt: „Die Vielfalt der Daten, die in unserer Studie verwendet wurden, ist beeindruckend, es war definitiv eine Teamleistung erforderlich, um sie alle zu sammeln und zu verstehen. Aber das macht die Arbeit auch besonders spannend: sich mit so unter­schiedlichen Teilen der Wissenschaft zu beschäftigen und zu versuchen, einen Weg zu finden, sie zu etwas Nützlichem zu kombinieren.“

Insgesamt zeigten die Analysen auch vergangener Ereignisse, dass Vulkan­ausbrüche eher selten direkt von Erdbeben ausgelöst werden. Dafür muss schon eine gewisse Ausbruchs­bereitschaft vorhanden sein. „Dennoch unterstreicht diese Arbeit die Notwen­digkeit, Vulkane nach einem großen Erdbeben detailliert zu überwachen. Denn das Beben kann die nächste Eruption voran­treiben. Welche grundlegenden Mechanismen dafür wichtig sind, konnten wir in unserer Studie zeigen. Das liefert nützliche Informationen für Überwachungs­strategien und trägt zur Verbesserung der vulkanischen Gefahren­abschätzung bei“, resümiert Walter.

GFZ / JOL

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