Wasserstoff, Akkus und intelligente Stromnetze
Jahresrückblick Energietechnologien 2018.
Langsam, aber dafür stetig steigt der Anteil an Strom aus erneuerbaren Quellen in Deutschland. 2018 deckten vor allem Wind- und Solaranlagen erstmals mehr als 40 Prozent der öffentlichen Nettostromerzeugung (PDF). Laut der Jahresauswertung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg ging parallel sowohl die Stromerzeugung aus Erdgas, als auch aus Stein- und Braunkohle zurück. Mehr Dynamik zeigte dafür die Entwicklung der Energietechnologien mit Schwerpunkten bei Speichern und der intelligenten Regelung der Stromnetze sowie im Bereich der Photovoltaik.
Windkraftanlagen allein produzierten im vergangenen Jahr 111 Terawattstunden Strom und etablierten sich damit als zweitwichtigste Stromquelle nach Braunkohle. In Zukunft sollen die Anlagen dank intelligenter Rotorblätter noch effizienter werden. Im Rahmen des Verbundprojekts SmartBlades2 untersuchten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme das Konzept der Biegetorsions-Kopplung für Rotorblätter. Bei starkem Winddruck sollen sich die einwirkenden Kräfte durch Verdrehung der Blätter selbstständig reduzieren. Nicht nur hierzulande, auch in den USA wird die SmartBlade-Technologie getestet. Für den weiteren Ausbau der Offshore-Windkraft wurden zudem großräumig die Windfelder hinter Offshore-Windparks in der Deutschen Bucht vermessen, um den Einfluss störender Turbulenzen zu bestimmen. Parallel nähert sich die dezentrale Windstromerzeugung mit Flugdrachen der Anwendungsreife. Bis 2020 soll im Rahmen des Forschungsprojekts SkyPower100 eine vollautomatische Flugwindkraftanlage mit einer Nennleistung von einhundert Kilowatt entwickelt werden. Betreiber von Windparks werden für Planung und Betrieb vom europäischen Erdbeobachtungssatellit Aeolus profitieren, der mit einem Laser-System vertikale Windprofile erstellen und so zum ersten Mal hochgenau und zeitnah Daten zu globalen Windfeldern in der Atmosphäre messen kann.
Für Solarstrom bleibt Silizium weiterhin das dominierende Material für Solarzellen. Doch die Perowskit-Solarzellen reifen heran. Eine Perowskit-Silizium-Tandem-Solarzelle – etwa einen Quadratzentimter groß – erreichte einen Wirkungsgrad von 25,2 Prozent. Die Zelle wurde gemeinsam vom Helmholtz-Zentrum Berlin HZB, der Universität Oxford und dem Unternehmen Oxford PV entwickelt. Jüngst berichtet Oxford PV sogar schon von einer Tandemzellen mit 28 Prozent Wirkungsgrad. Parallel verbesserten Forscher vom Adolphe-Merkle-Institut im schweizerischen Fribourg und von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne die Stabilität der Perowskit-Solarzellen mit neuen Materialmischungen signifikant. Und selbst Fehlstellen, die sonst in Solarzellen möglichst vermieden werden, wirken sich nicht allzu störend auf die effiziente Stromerzeugung aus.
m Helmholtz-Zentrum Berlin stehen auch klassische Siliziumzellen im Fokus der Forschung. So konnten die HZB-Forscher mit einer organischen Zusatzschicht die Stromausbeute deutlich erhöhen. Auch raue, nanostrukturierte Oberflächen sollen helfen, die Wirkungsgrade weiter zu erhöhen. Mit einer Mehrfachsolarzelle aus III-V-Halbleitern und Silizium gelang am Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme ISE sogar, 33,3 Prozent des Sonnenlichts in Strom zu wandeln. Ultraleichte Solarmodule entwickelten Forscher vom Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP in Halle. Dank einer optimierten Fertigung konnte das Modulgewicht um zwei Drittel reduziert werden. Neue Installationsorte für Solarzellen könnten mit schaltbaren Glasscheiben, entwickelt an der University of California in Berkeley, Realität werden. Dank eines thermochromen Phasenwechsels von Perowskit-Schichten empfiehlt sich diese Technologie nicht nur für eine Fenster von Bürogebäuden, sondern auch für Autoscheiben und elektronische Anzeigetafeln.
Mit zunehmender Einspeisung von Wind- und Solarstrom steigen auch die Anforderungen an das Stromnetz, um den Umstieg auf eine komplette Versorgung durch erneuerbare Energien zu gestalten. Die veränderten Lastflüsse werden daher immer detaillierter in aufwändigen Simulationen nachgestellt. So beschleunigte ein neues Rechnersystem am Jülich Supercomputing Centre JSC die Simulationen der Lastflüsse im Stromnetz. In der Praxis können in Zukunft optimierte Netzregler den Stromfluss messen und bei Bedarf gegensteuern. Selbst Wetterbilder können die Stabilität der Stromnetze erhöhen helfen, wie Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR mit Webcams für Kurzzeitprognosen für Solarkraftwerke gezeigt haben. Nicht zuletzt gilt es, die Stromnetze widerstandsfähiger gegen Cyber-Attacken zu machen. Dieses Ziel verfolgten Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie KIT mit neuen Abwehr-Strategien in Smart-Grids.
Neben der zuverlässigen Leitung von Strom spielte 2018 auch die Entwicklung effizienterer Speichersysteme eine maßgebliche Rolle. Die Eigenschaften von Lithium-Ionen-Akkus werden stetig mit optimierten Elektrodenmaterialien verbessert. So stabilisierten europäische Materialforscher mit einer Antimon-Dotierung der Zinnoxid-Anoden die Lithium-Ionen-Speicher. An der TU München gelang das Befüllen von Lithium-Ionen-Akkus unter Vakuum doppelt so schnell wie unter Normaldruck. Sicherere Akkus für Smartphones und Elektroautos halten Forscher der Universität Ulm mit magnesiumbasierten Batterien für möglich, die deutlich weniger als Lithium-Ionen-Speichersysteme zu einer riskanten und zerstörerischen Dendritenbildung neigen.
Bessere Analysemethoden und Simulationen könnten die Batterieentwicklung rasch voranbringen. Der deutsche Kompetenzcluster FestBatt entschlüsselt dazu die Prozesse im Inneren von Festkörperbatterien. Auch erste Quantencomputer können für Simulationen eingesetzt werden, um den chemischen Aufbau von Batteriesystemen zu optimieren. Ein Kandidat für Stromspeicher, die leistungsfähiger als Lithium-Ionen-Akkus sein könnten, ist etwa die Aluminium-Luft-Batterie. In mehreren Arbeiten gelang es, diesen hoch effizienten Stromspeicher sowohl stabiler zu machen als auch von einer reinen Einweg-Batterie zu einem wiederaufladbaren Akku zu verwandeln.
In Akkus gespeicherter und klimaneutral erzeugter Strom allein wird jedoch nicht ausreichen, um die dringende Kopplung der Energiesektoren voranzubringen. Auch Wasserstoff birgt ein großes Potenzial und ein Ausbau einer Infrastruktur für das Gas wird für die Zukunft der Elektromobilität benötigt, wie Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich feststellten. Von der Umwandlung in Strom über Brennstoffzellen profitieren nicht nur Autos, Lastwagen und Züge. Auch der Seeverkehr könnte über Wasserstoff klimaneutraler gestaltet werden. Im Rahmen des EU-Projekts „HySeas III“ wird dazu an der weltweit ersten wasserstoffbetriebenen Hochseefähre gearbeitet. Um Wasserstoff effizienter über die Elektrolyse zu erzeugen, analysierte ein Team mehrerer deutscher Institute den Umwandlungsprozess auf atomarer Ebene. Doch mit Sonnenlicht lässt sich Wasser auch direkt in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Einen neuen Weltrekord mit 19 Prozent Wirkungsgrad für diese direkte solare Wasserspaltung stellten deutsche und amerikanische Forscher mit einer Tandem-Solarzelle aus III-V-Halbleitern mit Rhodium-Nanopartikeln und kristallinem Titandioxid auf. Den Weg in eine Wasserstoffwirtschaft ebnen zudem auch Pilotanlagen wie das vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg ZSW koordinierte Power-To-Gas-Projekt am Rhein, in dem seit Ende 2018 Wasserkraft für die Wasserstoffproduktion genutzt wird.
Ohne Wasserstoff und leistungsfähige Akkus kommen dagegen winzige Stromerzeuger für den Betrieb von Sensoren oder medizinischen Implantaten aus. An der amerikanischen Northwestern University entstand ein flexibles Minikraftwerk, das Strom aus Körperwärme erzeugt und auf der Haut tragbare Elektronik versorgen soll. Winzige Strommengen für Sensoren konnten aus Abwärme auch mit leitfähigen Polymeren gewonnen werden, die Forscher vom Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik in Dresden für einen Mikro-Energiesammler nutzten. Für eine bessere Abwärmenutzung ließen sich ebenfalls in Dresden am Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung thermoelektrische Bauelemente dank neuem Produktionsverfahren in Mikroelektronik integrieren. Geringere Temperaturunterschiede als thermoelektrische Kraftwerke benötigen pyroelektrische Module. An der University of California in Berkeley entwickelten Wissenschaftler einen ersten Prototyp eines pyroelektrischen Abwärme-Kraftwerks, das eine Leistungdichte von 526 Watt pro Kubikzentimeter erreichte. Weiter von einer Anwendung entfernt ist dagegen der flexo-photovoltaische Effekt, bei dem unter Last Halbleiter einen zusätzlichen photovoltaischen Stromfluss erzeugen.
Immer noch viele Jahre von einer effizienten Stromerzeugung sind dagegen Fusionskraftwerke entfernt. Doch auch 2018 machten die Fusionsforscher einige Fortschritte. So zeigten Experimente am Stellarator Wendelstein 7-X in Greifswald höhere Werte für die Dichte und den Energieinhalt des Plasmas sowie lange Entladungsdauern von bis zu 100 Sekunden. Für den ITER-Tokamak im südfranzösischen Cadarache wurde nach einem Jahrzehnt die erste Phase der Fertigung von Vakuum-Magnetspulen erfolgreich abgeschlossen. Für die zukünftige Zündung des ITER-Fusionsplasmas erreichten Forscher am Teststand ELISE (Extraction from a Large Ion Source Experiment) die geforderte Stromstärke mit normalem Wasserstoff. Versuche mit Deuterium folgen. Ob Kernfusion, Akku oder Elektrolyse – auf allen Feldern konnten 2018 viele, für die Energieforschung typische kleine Erfolge und Fortschritte verzeichnet werden.
Jan Oliver Löfken
Weitere Infos
- J. O. Löfken: Solarstrom, Stromnetze, Speicher – Energietechnologien im Jahresrückblick 2017, pro-physik.de, 2. Januar 2018
- J. O. Löfken: Erneuerbare gewinnen global an Tempo – Jahresrückblick Energie 2016, pro-physik.de, 5. Januar 2017
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