Wechselspiel freier Elektronen
Maßgeschneiderte Elektronenpulse für verbesserte Elektronenmikroskopie.
Elektronenmikroskope ermöglichen vielseitige Einblicke in den Nanokosmos, von der Biologie bis zur Materialforschung. Allerdings wird ihre Auflösung unter anderem durch die gegenseitige Abstoßung der Elektronen im abbildenden Strahl begrenzt. Forscher des MPI für multidisziplinäre Naturwissenschaften gelang es jetzt, den Einfluss dieser Coulomb-Kräfte genau zu vermessen. Sie stellten erstmals gezielt Elektronenpulse mit genau zwei, drei oder vier Elektronen her und beobachteten, wie sich deren Wechselwirkung auf ihre Geschwindigkeiten auswirkt. Dabei entdeckten sie einen energetischen Fingerabdruck, bei dem die Verteilung der Geschwindigkeiten der Elektronen sehr charakteristisch für ihre jeweilige Anzahl ist. Diese Erkenntnis hat den Forschern ermöglicht, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sie Pulse mit vorgegebener Elektronenzahl erzeugen können. Die Ergebnisse der Studie haben Auswirkungen auf etablierte Elektronenmikroskope und ermöglichen neue Messverfahren auf der Basis gekoppelter Elektronen.
Das Verständnis der Vorgänge im Nanokosmos hängt maßgeblich von der Leistungsfähigkeit moderner Mikroskopie ab. So erzielen Transmissionselektronenmikroskope heute routinemäßig atomare Auflösung. Diese Mikroskope durchstrahlen ein untersuchtes Objekt mit Elektronen, um – ähnlich einem Lichtmikroskop – ein Bild zu gewinnen. Elektronenmikroskope machen so beispielsweise die Struktur von Molekülen, den atomaren Aufbau von Festkörpern oder die Form von Nanopartikeln sichtbar.
Kontrast und Auflösung von Elektronenmikroskopen werden jedoch unter anderem durch Wechselwirkungen zwischen den Elektronen begrenzt: Wenn sich zwei Elektronen nahekommen, stoßen sie sich aufgrund der Coulomb-Kraft gegenseitig ab. Das begrenzt die maximale Helligkeit eines nutzbaren Elektronenstrahls. Die Forscher um Claus Ropers haben die Abstoßung zwischen einzelnen Elektronen im Mikroskop aufgelöst und analysiert. Mithilfe des gewonnenen Verständnisses entwickelten sie Methoden, die sich diese Wechselwirkung einzelner Elektronen zu Nutze machen.
„Elektronen in einem Strahl sind zufällig verteilt, und so kann man auch die von Coulomb-Kräften eingebrachten Ungenauigkeiten nicht kontrollieren“, sagt Team-Mitglied Rudolf Haindl. Wenn die Physiker aber die Elektronen mit einem Laser in Form ultrakurzer Pulse erzeugen – eine Art von Elektronenblitzen – entstehen dabei auch Pakete mit genau zwei, drei oder vier Elektronen. Die Elektronen liegen dabei zeitlich und räumlich so nahe beieinander, dass sie miteinander wechselwirken. Mithilfe eines Spektrometers und eines speziellen Detektors wird der Energieaustausch zwischen Elektronen in einem Puls sichtbar. „Je nachdem, wie viele Elektronen in einem Puls sind, stoßen die Elektronen sich verschieden stark ab. dadurch konnten wir für jede Anzahl an Elektronen im Puls einen spezifischen energetischen Fingerabdruck ermitteln“, so Haindl.
Anhand ihrer Erkenntnisse entwickelte die Arbeitsgruppe ein neues Verfahren, um die Mehrelektronenzustände für Messungen in Elektronenmikroskopen nutzbar zu machen. „Wir haben ein Konzept ausgearbeitet, mit dem wir zukünftig Elektronenpulse mit einer festgelegten Elektronenzahl erzeugen können. Dieses kann maßgeblich die Leistung verschiedener Elektronenmikroskope für die Grundlagenforschung oder für technologische Entwicklungen steigern, beispielsweise im Bereich der Halbleiterfertigung“, erklärt Team-Mitglied Armin Feist.
„Neben den Auswirkungen auf Anwendungen in der Elektronenmikroskopie und -lithographie gehen wir davon aus, dass diese Elektronen auch quantenmechanisch verschränkt, also in ihrem Zustand eng gekoppelt sind, was eine komplett neue Schnittstelle zwischen Elektronenmikroskopie und Quantentechnologie eröffnet“, ergänzt Ropers.
MPINAT / RK