25.11.2024

Weiße Raucher warnen vor Einsturzkratern

Strukturen am Meeresgrund lassen Schlüsse auf Dynamik des Grundwassers zu.

Auf dem Boden des Toten Meers haben Forschende in einem vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ koordinierten inter­disziplinären Forschungs­projekt meterhohe Schlote entdeckt. Diese entstehen, weil extrem salzhaltiges Grundwasser aus dem Seeboden strömt und sofort Mineralien kristallisieren. Die erstmals entdeckten Schlote sind ein wichtiger Frühwarn­indikator für Sinkholes. Diese Einsturz­krater entstehen in der Umgebung des Toten Meeres und sind eine eminente Gefahr für die Bevölkerung.

Abb.: Ein einzelner submariner Schlot in etwa dreißig Meter Wassertiefe.
Abb.: Ein einzelner submariner Schlot in etwa dreißig Meter Wassertiefe.
Quelle: UFZ

Das Tote Meer ist ein sehr dynamisches System: Seit mehr als fünfzig Jahren sinkt es um rund einen Meter pro Jahr, weil es von wichtigen Zuflüssen abgeschnitten ist und infolge von Trockenheit und Hitze durch starke Verdunstung viel Wasser verliert. So ist mittlerweile der Wasserspiegel auf rund 438 Meter unter dem Meeres­spiegel gesunken. Folgen hat dieser Rückgang des Sees, der an Israel, Jordanien und das unter palästinen­sischer Verwaltung stehende Westjordanland grenzt, insbesondere für das Grundwasser. Der Grundwasser­spiegel sinkt, sodass die Anrainerstaaten immer schwieriger an Grundwasser­ressourcen gelangen. 

Der Hydrogeologe Christian Siebert forscht seit vielen Jahren daran, wie sich in dieser Region die Dynamik des Grundwasser­systems verändert und wie sich Grundwasser­leiter neue Wege in den Gesteinsschichten sowohl an Land als auch unterhalb des Toten Meers suchen. Nun entdeckte ein von ihm eingesetztes Taucherteam am Seegrund schlotförmige Kamine, die eine schimmernde Flüssigkeit ausstoßen. „Die Ähnlichkeit zu den Schwarzen Rauchern in der Tiefsee ist frappierend, aber es handelt sich um ein gänzlich anderes System“, sagt er. An der Erkundung und Analyse des Phänomens haben sich Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler aus zahlreichen Disziplinen und aus insgesamt zehn Forschungs­einrichtungen beteiligt.

Während bei den Schwarzen Rauchern entlang des Mittelozeanischen Rückens in einer Tiefe von mehreren tausend Metern sulfidhaltiges heißes Wasser austritt, fanden die Forschenden am Toten Meer, dass durch die Schlote am Seeboden hochsalinares Grundwasser ausströmt. Das Grundwasser dringt aus den umliegenden Grundwasser­leitern in die salzhaltigen Seesedimente ein, laugt sehr alte und mächtige, vor allem aus dem Mineral Halit bestehende Gesteins­schichten aus. Anschließend strömt es als Sole in den See. „Da diese Sole eine etwas geringere Dichte als das Wasser des Toten Meers hat, steigt sie wie in einem Jet nach oben. Es sieht aus wie Rauch, ist aber eine salzhaltige Flüssig­keit“, sagt Siebert. 

Der Kontakt zum Seewasser sorgt dafür, dass die gelösten Salze, insbesondere der Halit, sofort nach dem Austritt aus dem Seeboden kristalli­sieren und die weltweit erstmalig beobachteten Schlote bilden. Diese können innerhalb eines Tages um einige Zentimeter wachsen. Viele der schlanken Schlote waren ein bis zwei Meter hoch, es gibt aber auch Giganten von mehr als sieben Meter Höhe mit einem Durchmesser von mehr als drei Metern. Geringste Spuren von 36Cl, einem Radioisotop aus dem All, und der genetische Nachweis von Süßwasser­mikroben in den Schlotwässern haben zeigen, dass der Ursprung der weißen Raucher in den Grundwasser­leitern im Umland liegt. Die Salze wurden also erst auf den letzten Metern vor dem Eintritt ins Rote Meer aufgenommen. 

Eine besondere Bedeutung erlangen die Weißen Raucher, weil sie als Frühwarnindikator für Sinkholes genutzt werden können. Das sind bis zu 100 Meter breite und bis zu zwanzig Meter tiefe Einsturzkrater, die in den vergangenen Jahr­zehnten zu tausenden entlang des Toten Meers entstanden sind. Sie bilden sich durch die Verkarstung des Untergrundes, also durch die Auflösung mächtiger Salzschichten. Dadurch entstehen riesige Hohlräume, über denen der Boden jederzeit einbrechen kann. „Niemand kann bislang vorhersagen, wo die Sinkholes als nächstes auftreten. Dabei sind sie lebens­gefährlich und bedrohen die Landwirtschaft und Infra­struktur“, sagt Siebert. 

Das Forscherteam konnte zeigen, dass die Schlote überall dort entstanden sind, wo die Landoberfläche im Nachgang großräumig eingebrochen und der Prozess der Verkarstung scheinbar besonders effizient ist. „Deswegen sind die Weißen Raucher ein hervor­ragendes Vorhersage­instrument, um Gebiete zu lokalisieren, die in naher Zukunft einsturz­gefährdet sind“, sagt er. Durch autonome Wasser­fahrzeuge, bestückt mit Fächer­echoloten oder Seitenscansonar­systemen, könnten die Schlote sehr präzise kartiert werden. „Das wäre die bislang einzige und zugleich sehr effiziente Möglichkeit, Regionen, die kurz vor dem Einsturz stehen, als akut gefährdet auszuweisen.“

UFZ / JOL

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