Weltrekord für Plasmabeschleuniger
Neues Konzept ermöglicht kompaktere Teilchenbeschleuniger.
Mit einem Laser-Plasmabohrer hat ein Forscherteam am Lawrence Berkeley National Laboratory einen neuen Rekord für Plasmabeschleuniger aufgestellt: In einer nur zwanzig Zentimeter langen Plasmakapillare beschleunigten die Wissenschaftler Elektronen auf 7,8 Gigaelektronenvolt (GeV) – ein Wert, für den die modernsten konventionellen Teilchenbeschleuniger mehrere hundert Meter benötigen. „Die Entwicklung stabiler Plasmabeschleuniger mit einer Energie nahe zehn Gigaelektronenvolt markiert einen Meilenstein auf dem Weg vom Labor zu ersten Anwendungen“, betont Desy-Beschleunigerdirektor Wim Leemans, der das Verfahren weiterentwickeln wird. „Wir haben ein neues Konzept für den Werkzeugkasten der Plasmabeschleuniger-Forscher entwickelt. Und zusammen mit anderen Verfahren zur Kontrolle von Beschleunigung, Strahlstabilität und -qualität, die es bei DESY bereits gibt, wird dies kompakte Elektronenquellen möglich machen.“
Teilchenbeschleuniger erzeugen Teilchenstrahlen hoher Qualität mit fast jeder gewünschten Eigenschaft. Je höher die Teilchenenergie sein soll, desto größer und teurer werden allerdings die Anlagen. Die zurzeit noch experimentelle Laser-Plasmabeschleunigung verfolgt ein komplett anderes Konzept: Bei ihr pflügt ein kurzer, extrem heller Laserpuls durch ein Plasma. Wie ein Schnellboot auf einem See erzeugt der Laserpuls kräftige Heckwellen in seiner Bahn. Auf diesen Plasmawellen können die Elektronen surfen wie ein Wakeboard-Surfer auf der Heckwelle des Schnellboots. Plasmawellen können Teilchen viele hundert Male stärker beschleunigen als konventionelle Beschleuniger. Auch wenn bei der jungen Technik noch zahlreiche Herausforderungen gemeistert werden müssen, verspricht sie günstigere und vor allem drastisch kleinere Teilchenbeschleuniger sowie neue Anwendungen.
Je kräftiger der Laserpuls ist, desto stärker ist die Beschleunigung im Plasma. Das Team am Berkeley Lab Laser Accelerator (BELLA) schoss unvorstellbar starke und kurze Infrarot-Laserpulse mit einer Spitzenleistung von 850 Terawatt und einer Dauer von nur 35 Femtosekunden in eine 0,8 Millimeter breite Saphir-Röhre voll Wasserstoffgas. „Lediglich große Plasmawellen zu erzeugen, war nicht ausreichend“, sagt Anthony Gonsalves vom Berkeley Lab. „Wir mussten diese Wellen auch über die gesamte Länge der 20-Zentimeter-Röhre erzeugen, um Elektronen zu solch hohen Energien zu beschleunigen.“ Um das zu erreichen, ist ein Plasmakanal nötig, der den extremen Laserpuls einschließt wie ein Glasfaserkabel einen Lichtpuls. Im Gegensatz zur Glasfaser kann ein ausreichend tiefer Plasmakanal jedoch der Energie des Laserpulses standhalten.
Für einen solchen Plasmakanal muss das Plasma im Zentrum der Kapillare eine geringere Dichte haben als außen. In einem früheren BELLA-Experiment, das den vorigen Plasmabeschleunigungsrekord von 4,25 GeV aufgestellt hatte, erzeugten die Forscher den Plasmakanal mit einer elektrischen Entladung. Um zu höheren Beschleunigungsenergien zu kommen, musste der Kanal jedoch noch tiefer in das Plasma gefräst werden, also im Zentrum eine noch geringere Dichte besitzen als mit der Entladungstechnik möglich. Die Lösung dieses Problems lieferte eine Technik, die bereits in den 1990er Jahren vorgeschlagen worden war: Das Aufheizen von Plasma per Laser. Leemans realisierte, dass ein solcher Laser sich mit der Entladungstechnik kombinieren lässt. Wenn der Laser direkt nach der Entladung durch das Plasma schießt, kann er den Kanal tief genug bohren, so dass er danach den eigentlichen Beschleuniger-Laserpuls gut einschließen kann.
Versuche und Modellrechnungen, unter anderem durch Leemans' Studenten Joost Daniels und Chris Pieronek, lieferten schließlich die optimalen Parameter für den Laser-Bohrer. Der Laser muss sich demnach genau 420 Nanosekunden nach der Entladung für acht milliardstel Sekunden durch das Plasma bohren, um den optimalen Kanal für den Beschleuniger-Laserpuls zu formen. Tatsächlich führte diese Kombinationstechnik zu einem stark verbesserten Einschluss des Beschleunigungslasers in dem Kanal, wodurch Fokus und Intensität des Pulses über die komplette Länge der Plasmaröhre erhalten blieben. Auch der Durchmesser des Laserpulses auf seinem Weg durch den Plasmakanal blieb konstant bei wenigen tausendstel Millimetern. Der tiefere Plasmakanal ermöglichte so die Nutzung einer längeren Plasmakapillare. Der vorige Beschleunigungsrekord von 4,25 GeV war mit einem neun Zentimeter langen Plasmakapillare gelungen. Mit einer zwanzig Zentimeter langen Plasmakapillare ließ sich die Teilchenenergie nun auf 7,8 GeV erhöhen.
Zur Entwicklung der Kombi-Technik haben verschiedene numerische Methoden und Computerprogramme beigetragen, die speziell zu diesem Zweck entwickelt worden waren. Die Forscher des Berkeley Labs arbeiteten dafür mit Kollegen des Keldysh-Instituts für Angewandte Mathematik in Russland und mit dem europäischen ELI-Beamlines-Projekt in Tschechien zusammen. „Diese Computerprogramme haben uns geholfen, schnell zu erkennen, wodurch der größte Unterschied zustande kommt, welche Maßnahmen zu einer guten Pulsführung und Beschleunigung führen“, erläutert Carlo Benedetti vom Berkeley Lab, Entwicklungsleiter eines Programmes. Nachdem sich zeigen ließ, dass die numerischen Vorhersagen mit den Daten der Experimente übereinstimmten, erleichterten sie auch die Interpretation der Experimente. „Jetzt haben wir einen Punkt erreicht, wo die Simulationen uns führen können und uns sagen, wie es weitergeht“, sagt Gonsalves.
„Das Resultat aus Berkeley stellt einen Meilenstein für Laser-Plasmabeschleuniger dar“, kommentiert Ralph Aßmann, Leitender Wissenschaftler für Beschleunigerforschung bei Desy. „Hier wird nicht nur ein neuer Energierekord gezeigt, sondern es wurde eine innovative Methode entwickelt, mit der eine mittlere Beschleunigungsspannung von vierzig Milliarden Volt pro Meter über eine Strecke von zwanzig Zentimeter robust erzeugt wurde. Diese neue Technologie eröffnet ganz neue Möglichkeiten, auch für unsere Arbeit bei Desy.“
Leemans erwartet, dass sich mit weiterer Optimierung die Energie der neuen Plasmabeschleunigungstechnik auf zehn Gigaelektronenvolt und darüber hinaus steigern lässt und in Kombination mit bei Desy erforschten Methoden den Beschleuniger stabilisieren und die Strahlqualität verbessern können. Zwar können Plasmabeschleuniger nicht so viele Teilchen auf einmal beschleunigen wie konventionelle Beschleuniger, aber sie können neue, bislang nicht machbare Anwendungen wie etwa einen miniaturisierten Röntgenlaser ermöglichen. „Unsere Methode ist ein großer Schritt nach vorn zu künftigen kompakten Forschungslichtquellen“, betont Leemans. „Die Zeit ist reif, um die Laser-Plasmabeschleunigung aus dem Labor zur Anwendung zu führen.“
DESY / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. J. Gonsalves et al.: Petawatt Laser Guiding and Electron Beam Acceleration to 8 GeV in a Laser-Heated Capillary Discharge Waveguide, Phys. Rev. Lett. 122, 084801 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.084801 - Berkeley Lab Laser Accelerator BELLA Center, Berkeley, USA
- Beschleuniger, Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, Hamburg