Weniger Kontrolle für mehr Stabilität!
Chaotische Systeme lassen sich schneller stabilisieren, wenn die Kontrolle ab und zu aussetzt.
Wenn Chaos droht, kommt es auf Schnelligkeit an. Etwa wenn ein Schrittmacher ein unregelmäßig schlagendes Herz zurück in den richtigen Takt bringen oder wenn ein Roboter die Informationen, die aus seiner Umwelt auf ihn einprasseln, einordnen und entsprechend reagieren soll. In beiden Fällen muss ein chaotisches System in einen stabilen, geordneten Zustand gelangen. Göttinger Wissenschaftler haben nun eine Methode entwickelt, wie dies schneller als bisher geschehen kann. Der Schlüssel zum Erfolg: Weniger von außen eingreifen, dafür aber geschickt das natürliche Verhalten des Systems ausnutzen.
Abb.: Mit den Ergebnissen der Göttinger Forscher ließe sich die Reaktionszeit des Roboters Amos deutlich reduzieren. (Bild:
P. Manoonpong, F. Wörgötter, U. Göttingen & BCCN Göttingen)
Wenn das Gelände, in dem sich der Roboter Amos bewegt, plötzlich steiler wird, kann dieser gekonnt reagieren: Nach kurzem Zögern wechselt er ganz von selbst die Gangart und wählt für seine sechs Beine ein anderes Bewegungsmuster, um die Schräge zu erklimmen. Dabei läuft Amos‘ „Gehirn“ auf Hochtouren. Die Berechnungen der Forscher zeigen, wie sich die Reaktionszeit deutlich verkürzen lässt.
Den autonomen sechsbeinigen Roboter hatte ein Team um den theoretischen Physiker Marc Timme vom MPI für Dynamik und Selbstorganisation und den Roboterexperten Poramate Manoonpong von der Uni Göttingen vor drei Jahren entwickelt und seitdem optimiert. Die neue Methode ist jedoch prinzipiell für jedes System geeignet, in dem Chaos in Ordnung überführt werden soll. „Jedes chaotische System ist sehr störanfällig“, erklärt Timme. Schon kleinste äußere Veränderungen können ein völlig anderes Verhalten auslösen.
Um das chaotische Muster in ein geordnetes zu überführen, braucht das System Hilfe. Bei der gängigsten Methode der Chaoskontolle wird zunächst berechnet, wie sich das System in naher Zukunft verhalten wird. Im zweiten Schritt wird diese Information in ein Kontrollsignal verwandelt, mit dem die Entwicklung des Systems korrigiert wird.
Doch weniger einzugreifen, kann sogar schneller zum Ziel führen, wie das Göttinger Team nun gezeigt hat. „Der Trick besteht darin, dass wir das System nur gelegentlich in Richtung des gewünschten, stabilen Zustandes stoßen“, erläutert Max-Planck-Forscher Christian Bick. Das System darf sich sozusagen – mit ein wenig Unterstützung von außen – selbst stabilisieren und strebt dabei sogar schneller dem gewünschten Ziel zu.
In ihren Rechnungen wiesen die Forscher nach, dass je nach System die neue Methode hundert bis tausend Mal schneller sein kann und dabei deutlich weniger Eingriffe erfordert. „Zudem ließen sich theoretisch so bei Amos auch kompliziertere Bewegungsmuster stabilisieren“, ergänzt Timme. Denn je komplizierter der Bewegungsablauf und damit das entsprechende Aktivitätsmuster sind, desto mehr Eingriffe von außen waren nötig, um es zu erhalten.
Bisher ist die neue Methode nur ein theoretisches Konzept. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher es in der Praxis an Amos testen. Und auch weitere Anwendungen sind denkbar, etwa wenn Chaoskontrolle benutzt wird, um Herzrhythmen zu stabilisieren oder um chaotische Laser zu betreiben.
MPIDS / AH