Wenn die Pole wandern
Stalagmiten belegen starke Oszillationen des Erdmagnetfelds in kurzen Zeiträumen.
Das Erdmagnetfeld schützt nicht nur die Erde vor dem Sonnenwind und kosmischer Strahlung. Es dient auch Tier und Mensch zur Navigation. In der Vergangenheit hat es aber immer wieder Phasen gegeben, in denen das Erdmagnetfeld schwächer geworden ist und während denen die Pole stark gewandert sind oder sich die Polarisation des Erdmagnetfelds sogar umgedreht hat. Die Ursachen hierfür sind noch nicht klar verstanden, aber vermutlich sind nichtlineare Prozesse des Geodynamos im flüssigen äußeren Erdkern für dieses Verhalten verantwortlich. Auch in den letzten Jahrzehnten ist eine Abschwächung sowie eine leichte Verschiebung der magnetischen Pole zu beobachten, was Anlass zur Sorge gibt, eine Polumkehr könnte bevorstehen. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf die Biosphäre, sondern würde auch viele Satelliten in Gefahr bringen und zu Störungen der weltweiten Telekommunikationsnetze führen.
Abb.: Stalagmiten wie dieser aus der Sanxing-
Ein internationales Forscherteam um Chuan-Chou Shen von der Nationalen Universität in Taiwan hat jetzt eine besonders unruhige geomagnetische Epoche untersucht. Es gelang ihnen, aus den Wachstumsschichten eines Stalagmiten Proben zu gewinnen, die sowohl eine Rekonstruktion des Erdmagnetfelds als auch eine präzise Datierung zuließen. Wie sich herausstellte, gab es vor etwa hunderttausend Jahren eine mehrere tausend Jahre währende Epoche, in der ein schwaches Erdmagnetfeld mit starken Oszillationen und wiederholten schnellen Wanderungen des magnetischen Nordpols bis in die südliche Hemisphäre einherging. Die Wissenschaftler konnten die zeitliche Entwicklung dieser Phase mit zuvor unerreichter Genauigkeit nachzeichnen.
Der untersuchte Stalagmit stammte aus der Sanxing-Höhle in der Provinz Guizhou im südlichen China. Die Wissenschaftler hatten ihn unter anderem wegen seines gleichmäßigen Wuchses ausgewählt. Der Stalagmit befand sich etwa achthundert Meter vom Eingang der zwei Kilometer langen Höhle entfernt, war ungefähr ein Meter lang und hatte einen Durchmesser von acht Zentimetern. Der kerzenförmige Tropfstein besaß eine gelbliche bis dunkelbraune Färbung.
Die Verwendung von Stalagmiten für paläomagnetische Untersuchungen besitzt einige positive Eigenschaften. Zwar muss man erst einmal einen passenden Tropfstein finden, der im entsprechenden Zeitraum gleichmäßig gewachsen ist. Im Gegensatz zu Vulkanausbrüchen, die nur sporadisch stattfinden, lässt sich an ihnen aber eine kontinuierliche Entwicklung ablesen. Sedimente wiederum wachsen zwar ebenfalls gleichmäßig, bei ihnen gestaltet sich aber die Radioisotopen-
Die Forscher schnitten den Stein für ihre Analysen in 194 Segmente. Die Altersbestimmung war mit Hilfe der Uran-
Abb.: Das Erdmagnetfeld schützt die Erde vor Sonnenwind und kosmischer Strahlung, kann sich aber in kurzen Zeiträumen bedeutend verändern. (Bild: PNAS)
Die Magnetdaten zeigen mehrere Phasen besonders starker Fluktuationen. Vor etwa 105.000 Jahren gab es mindestens drei Phasen, in denen der magnetische Nordpol bis in die Äquatorregionen rutschte und sehr schnelle Oszillationen zeigte. Die Exkursionen dauerten zwischen etwa hundert und einigen hundert Jahren, unterbrochen von mehrere hundert Jahren geomagnetischer Normalität. Vor etwa 98.300 Jahren gab es dann eine weitere Phase mit einer starken Exkursion des magnetischen Nordpols tief in die südliche Hemisphäre. Besonders überraschend hieran war die Geschwindigkeit, mit der sich diese Polwanderung vollzog: Die Uran-
Eine ähnlich schnelle Poldrift ließ sich bislang an anderen paläomagnetischen Proben nicht eindeutig nachweisen. Zwar gab es Hinweise von anderen Typen untersuchter Gesteine, etwa von Lava oder aus Sedimenten in Gewässern. Bei diesen dürfte aber unter anderem eine spätere Remagnetisierung die Daten verfälscht haben.
Nach dieser Polumkehr folgten wiederum eine Zeitlang starke Fluktuationen des Erdmagnetfelds, die sich über einen Zeitraum von rund anderthalb Jahrtausenden erstreckten und nach denen sich der Pol dann für ähnlich lange Zeit in Äquatornähe stabilisierte.
Dieses erstaunliche Verhalten lässt sich bislang kaum modellieren und wirft auch einige Fragen zum zukünftigen Verhalten des Erdmagnetfelds auf. Die mitunter chaotischen Verhältnisse im äußeren Erdkern haben offensichtlich einige Überraschungen zu bieten. Eine völlige Umkehr der Polarisierung des Erdmagnetfelds geschieht auch auf geologischen Zeiträumen zwar nur selten. Wie die neuen Ergebnisse zeigen, können starke Fluktuationen und Polwanderungen aber auch in erstaunlich kurzen Zeiträumen auftreten und gehen mit einem insgesamt abgeschwächten Erdmagnetfeld einher. In den letzten hundert Jahren ist das Erdmagnetfeld etwa zehn Prozent schwächer geworden. Man darf gespannt bleiben, wie es sich weiter entwickeln wird.
Dirk Eidemüller
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