21.08.2018

Wenn die Pole wandern

Stalagmiten belegen starke Oszillationen des Erd­magnet­felds in kurzen Zeit­räumen.

Das Erdmagnetfeld schützt nicht nur die Erde vor dem Sonnenwind und kosmischer Strahlung. Es dient auch Tier und Mensch zur Navi­gation. In der Vergangen­heit hat es aber immer wieder Phasen gegeben, in denen das Erd­magnet­feld schwächer geworden ist und während denen die Pole stark gewandert sind oder sich die Polari­sa­tion des Erd­magnet­felds sogar umge­dreht hat. Die Ursachen hierfür sind noch nicht klar ver­standen, aber vermut­lich sind nicht­lineare Prozesse des Geo­dynamos im flüs­sigen äußeren Erdkern für dieses Ver­halten ver­ant­wort­lich. Auch in den letzten Jahr­zehnten ist eine Abschwä­chung sowie eine leichte Ver­schie­bung der magne­tischen Pole zu beob­achten, was Anlass zur Sorge gibt, eine Pol­umkehr könnte bevor­stehen. Das hätte nicht nur Aus­wir­kungen auf die Bio­sphäre, sondern würde auch viele Satel­liten in Gefahr bringen und zu Störungen der welt­weiten Tele­kommuni­ka­tions­netze führen.

Abb.: Stalagmiten wie dieser aus der Sanxing-Höhle in Süd­china eignen sich zur präzisen Rekon­struk­tion geo­magne­tischer Oszil­la­tionen. (Bild: PNAS)

Ein internationales Forscherteam um Chuan-Chou Shen von der Natio­nalen Univer­sität in Taiwan hat jetzt eine besonders unruhige geo­magne­tische Epoche unter­sucht. Es gelang ihnen, aus den Wachs­tums­schichten eines Stalag­miten Proben zu gewinnen, die sowohl eine Rekon­struk­tion des Erd­magnet­felds als auch eine präzise Datie­rung zuließen. Wie sich heraus­stellte, gab es vor etwa hundert­tausend Jahren eine mehrere tausend Jahre währende Epoche, in der ein schwaches Erd­magnet­feld mit starken Oszil­la­tionen und wieder­holten schnellen Wande­rungen des magne­tischen Nord­pols bis in die süd­liche Hemi­sphäre einher­ging. Die Wissen­schaftler konnten die zeit­liche Ent­wick­lung dieser Phase mit zuvor uner­reichter Genauig­keit nach­zeichnen.

Der untersuchte Stalagmit stammte aus der Sanxing-Höhle in der Provinz Guizhou im süd­lichen China. Die Wissen­schaftler hatten ihn unter anderem wegen seines gleich­mäßigen Wuchses ausge­wählt. Der Stalagmit befand sich etwa acht­hundert Meter vom Eingang der zwei Kilo­meter langen Höhle ent­fernt, war unge­fähr ein Meter lang und hatte einen Durch­messer von acht Zenti­metern. Der kerzen­förmige Tropf­stein besaß eine gelb­liche bis dunkel­braune Färbung.

Die Verwendung von Stalagmiten für paläomagnetische Untersuchungen besitzt einige positive Eigen­schaften. Zwar muss man erst einmal einen passenden Tropf­stein finden, der im ent­spre­chenden Zeit­raum gleich­mäßig gewachsen ist. Im Gegen­satz zu Vulkan­aus­brüchen, die nur spora­disch statt­finden, lässt sich an ihnen aber eine konti­nuier­liche Ent­wick­lung ablesen. Sedi­mente wiede­rum wachsen zwar eben­falls gleich­mäßig, bei ihnen gestaltet sich aber die Radio­iso­topen-Datie­rung schwieriger und die magne­tischen Signale in den abge­lagerten Schichten können sich zum Teil gegen­seitig ver­fälschen.

Die Forscher schnitten den Stein für ihre Analysen in 194 Segmente. Die Alters­bestim­mung war mit Hilfe der Uran-Thorium-Radio­iso­topen-Methode möglich und lieferte eine sehr gute Datie­rung mit Unsicher­heiten im Bereich von nur wenigen Dutzend Jahren – wichtig, wenn man kurz­zeitige Exkur­sionen der Pole nach­ver­folgen will. Die Bestim­mung der Magneti­sie­rung erfolgte unter anderem mit einem hoch­auf­lösenden Kryo-Magneto­meter in einem besonders gut abge­schirmten paläo­magne­tischen Labor der Chine­sischen Akademie der Wissen­schaften in Peking.

Abb.: Das Erdmagnetfeld schützt die Erde vor Sonnen­wind und kosmischer Strah­lung, kann sich aber in kurzen Zeit­räumen bedeu­tend ver­ändern. (Bild: PNAS)

Die Magnetdaten zeigen mehrere Phasen besonders starker Fluktua­tionen. Vor etwa 105.000 Jahren gab es mindes­tens drei Phasen, in denen der magne­tische Nordpol bis in die Äquator­regionen rutschte und sehr schnelle Oszil­la­tionen zeigte. Die Exkur­sionen dauerten zwischen etwa hundert und einigen hundert Jahren, unter­brochen von mehrere hundert Jahren geo­magne­tischer Norma­lität. Vor etwa 98.300 Jahren gab es dann eine weitere Phase mit einer starken Exkur­sion des magne­tischen Nord­pols tief in die süd­liche Hemi­sphäre. Besonders über­raschend hieran war die Geschwin­dig­keit, mit der sich diese Pol­wande­rung voll­zog: Die Uran-Thorium-Daten weisen auf einen Zeit­raum von gerade einmal 144 ± 58 Jahren hin.

Eine ähnlich schnelle Poldrift ließ sich bislang an anderen paläo­magne­tischen Proben nicht ein­deutig nach­weisen. Zwar gab es Hin­weise von anderen Typen unter­suchter Gesteine, etwa von Lava oder aus Sedi­menten in Gewässern. Bei diesen dürfte aber unter anderem eine spätere Remagne­tisie­rung die Daten ver­fälscht haben.

Nach dieser Polumkehr folgten wiederum eine Zeitlang starke Fluktua­tionen des Erd­magnet­felds, die sich über einen Zeit­raum von rund ander­thalb Jahr­tausenden erstreckten und nach denen sich der Pol dann für ähn­lich lange Zeit in Äquator­nähe stabi­li­sierte.

Dieses erstaunliche Verhalten lässt sich bislang kaum model­lieren und wirft auch einige Fragen zum zukünf­tigen Ver­halten des Erd­magnet­felds auf. Die mitunter chao­tischen Ver­hält­nisse im äußeren Erd­kern haben offen­sicht­lich einige Über­raschungen zu bieten. Eine völlige Umkehr der Polari­sie­rung des Erd­magnet­felds geschieht auch auf geo­lo­gischen Zeit­räumen zwar nur selten. Wie die neuen Ergeb­nisse zeigen, können starke Fluktu­a­tionen und Pol­wande­rungen aber auch in erstaun­lich kurzen Zeit­räumen auf­treten und gehen mit einem ins­ge­samt abge­schwächten Erd­magnet­feld ein­her. In den letzten hundert Jahren ist das Erd­magnet­feld etwa zehn Prozent schwächer geworden. Man darf gespannt bleiben, wie es sich weiter ent­wickeln wird.

Dirk Eidemüller

RK

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