Wenn Neutronensterne kollidieren
Eigenschaften hochdichter Materie entscheiden darüber, ob ein schwarzes Loch entsteht oder nicht.
Neue Computer-Simulationen eines internationalen Forscherteams zeigen, dass die Eigenschaften hochdichter Materie, eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob bei der Kollision zweier Neutronensterne ein schwarzes Loch entsteht. Bereits in Neutronensternen ist Materie extrem verdichtet. Die Masse von anderthalb Sonnen ist auf den Radius von wenigen Kilometern zusammengedrückt. Damit entstehen ähnliche beziehungsweise sogar noch höhere Dichten als im Innern von Atomkernen. Verschmelzen zwei Neutronensterne in einem Doppelsternsystem, wird die Materie in der Kollision noch zusätzlich verdichtet. Beste Chancen also für die Entstehung eines schwarzen Lochs.
„Entscheidend ist die Masse der Neutronensterne“, fasst Andreas Bauswein vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt zusammen. „Überschreitet die Gesamtmasse des Doppelsternsystems eine bestimmte Grenze, ist der Kollaps zum schwarzen Loch unausweichlich.“ Wo genau diese Grenzmasse liegt, hängt jedoch von den Eigenschaften hochdichter Kernmaterie ab.
Diese Eigenschaften sind im Detail noch nicht genau bekannt und werden zum Beispiel auch in viel kleinerem Maßstab bei Kollisionen von Atomkernen an den Beschleunigereinrichtungen am GSI untersucht. In diesen Schwerionenstößen werden tatsächlich ähnliche Bedingungen wie bei Neutronensternverschmelzungen erzeugt. Basierend auf theoretischen Überlegungen und Experimenten mit Schwerionenstößen können Zustandsgleichungen von Neutronensternmaterie berechnet werden.
Für zahlreiche Zustandsgleichungen konnte das Team jetzt die Grenzmasse berechnen. Das Ergebnis: Lässt sich Neutronensternmaterie beziehungsweise Kernmaterie leicht komprimieren – ist die Materie also „weich“ –, führt schon die Kollision von relativ leichten Sternen zur Bildung eines schwarzen Loches. „Steife“, schwer komprimierbare Kernmaterie dagegen kann größere Massen gegen den Gravitationskollaps stabilisieren, es bildet sich nur ein sehr schwerer, rotierender Neutronenstern als Überbleibsel der Kollision. Die Grenzmasse selbst gibt also Auskunft über die Eigenschaften von Kernmaterie und könnte laut der neuesten Studie sogar klären, ob sich während der Kollision die Kernbausteine in ihre Bestandteile, die Quarks, auflösen.
„Das ist deshalb spannend, weil wir die Grenzmasse in Zukunft aus Beobachtungen ableiten können“, sagt Nikolaos Stergioulas von der Aristoteles-Universität Thessaloniki in Griechenland. Vor wenigen Jahren wurde zum ersten Mal eine Neutronensternverschmelzung mittels Gravitationswellen beobachtet, und einige Stunden später konnten Teleskope das optische Signal der Verschmelzung finden. Bildet sich ein schwarzes Loch, ist dieses optische Signal der Kollision jedoch sehr schwach. Die Teleskopdaten verraten demnach, ob sich ein schwarzes Loch gebildet hat. Gleichzeitig kann aus der Form des Gravitationswellensignals die Gesamtmasse bestimmt werden: Je stärker das Signal ist, umso schwerer waren die Sterne.
Während Gravitationswellendetektoren und Teleskope auf die nächste Neutronensternverschmelzung warten, werden in Darmstadt die Weichen für noch detailliertere Erkenntnisse gestellt. Mit dem neuen Beschleunigerzentrum FAIR, das derzeit bei GSI entsteht, können die Bedingungen in Neutronensternverschmelzungen künftig noch realistischer nachgebildet werden. Schließlich wird nur die Kombination aus astronomischen Beobachtungen, Computer-Simulationen und Schwerionen-Experimenten die Fragen nach den fundamentalen Bausteinen der Materie und deren Eigenschaften klären können und damit auch die Frage, wann der Kollaps zum schwarzen Loch auftritt.
GSI / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. Bauswein et al.: Equation of State Constraints from the Threshold Binary Mass for Prompt Collapse of Neutron Star Mergers, Phys. Rev. Lett. 125, 141103 (2020); DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.141103 - Theorie-Abteilung, GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, Darmstadt
- FAIR – Facility for Antiproton and Ion Research in Europe, Darmstadt