Wenn Photonen sich wie Elektronen verhalten
Photonische topologische Isolatoren als Lichtwellenleiter.
Auf der Basis theoretischer Überlegungen von Physikern der Universität Greifswald ist es Mitarbeitern der Arbeitsgruppe Festkörperoptik um Alexander Szameit an der Universität Rostock gelungen, photonische topologische Isolatoren als Lichtwellenleiter zu realisieren. In diesen verhalten sich Photonen wie Elektronen und zeigen somit fermionische Eigenschaften.
Dass es elektronische topologische Isolatoren gibt – Festkörper, die im Innern keinen elektrischen Strom leiten, dafür aber umso besser entlang ihrer Oberfläche – haben 2007 Laurens Molenkamp und sein Team von der Universität Würzburg erstmals im Experiment nachweisen können. Ob es allerdings ein solches System auch für Licht geben könnte, also einen photonischen topologischen Isolator? – „Das ist unmöglich“, zitiert Alexander Szameit, Quantenoptiker am Institut für Physik der Universität Rostock, gern die landläufige Meinung des Fachgebiets. „Das ist erst einmal auch ganz richtig“, führt er aus. „Denn Lichtteilchen gehören zur Klasse der Bosonen. Die verhalten sich vollkommen anders als Elektronen, die Ladungsträger des elektrischen Stromes, welche zur Klasse der Fermionen gehören.“
Was die beiden Teilchenklassen so gravierend unterscheidet, ist die quantenmechanische Eigenschaft des Spins. Bosonen haben einen ganzzahligen Spin, Fermionen hingegen einen halbzahligen, und das eine lasse sich nicht in das andere verwandeln. Deshalb ließen sich die Spineigenschaften von Lichtteilchen, den Photonen, auch nicht verändern. Was aber, wenn sich gar nicht die Teilcheneigenschaften ändern müssten, sondern wenn die Eigenschaften des Mediums sich so modifizieren ließen, dass die Photonen gezwungen wären, sich wie Elektronen zu verhalten? Mit einem Schlitten kann man nicht auf Asphalt fahren, aber auf einem Wasser-Seifenfilm rutscht er wie auf Schnee. Warum also nicht einfach den Untergrund so anpassen, sodass der Schlitten sich verhält wie im besten Winter?
Holger Fehskes Arbeitsgruppe von der Universität Greifswald befasst sich mit dem abstrakten Verhalten komplexer Quantensysteme. Die Idee seines Teams, den quantenmechanischen Spin als Eigenschaft dem Medium aufzuprägen, faszinierte den experimentellen Physiker Szameit: „Prinzipiell braucht man nur ein Material, bei dem sich die Atomabstände sprunghaft zu bestimmten Zeiten ändern.“ Szameit schmunzelt: „So etwas gibt es natürlich nicht.“ Das Problem löste sein Doktorand Lukas Maczewsky. Er hat die erforderliche zeitliche Veränderung des Materials in eine räumliche Struktur übersetzt, durch die die Photonen mit Lichtgeschwindigkeit rasen. „Genau zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Atomstruktur sprunghaft ändern müsste, haben wir das Licht gezwungen, sich in Lichtwellenleitern um die Kurve zu bewegen und sich dann bis auf eine kritische Distanz zu nähern. Genau dort kann das Licht für eine sehr kurze Zeit wechselwirken“, erläutert Maczewsky die Überlegung.
Wie aber müssen die Lichtwellenleiter gestaltet sein? Der Quantenphysiker Maczewsky hat sich der Lösung Schritt für Schritt angenähert. Er erprobte mathematische Funktionen, mit denen er den Bearbeitungs-Laser programmierte, der ähnlich einer CNC-Maschine die Wellenleiter ins Glas brennt. Zwei Jahre Forschungsarbeit und unzählige Stunden im Laserlabor liegen hinter ihm. Seine Mühen wurden belohnt. Zwei geschickt ineinander verwobene Gitter aus kompliziert gebogenen Wellenleitergespinsten, die abschnittsweise einer Sinusquadratfunktion gehorchen, leiten das Licht so durch den Wellenleiter, als bestünde es aus Elektronen und nicht aus Photonen. Die neuartige Struktur der Wellenleiter führt dazu, dass das Licht die Wellenleiterstruktur an seinem Rand entlang in beide Richtungen völlig ungehindert passieren kann, ohne Rückstreuung oder ähnliche Effekte. Die entscheidende Eigenschaft, die dies erlaubt, kann sonst nur bei Elektronen beobachtet werden: ein halbzahliger Eigendrehimpuls, auch Spin genannt. Dies auf Photonen zu übertragen, ist nur durch einen Trick möglich: der Spin beider Bewegungszustände, die entweder nach links oder nach rechts laufen, ist in der Struktur des Wellenleitersystems kodiert.
„Die gleichzeitige Existenz zweier solcher entgegengesetzer Randzustände ist eine absolute Neuheit in diesem Feld“, so Szameit. Welche Richtung das Licht übrigens einschlage, hänge vom Anfangszustand ab. Das Phänomen, das die Quantenphysiker erstmals nachweisen konnten, lasse sich mit einer perfekten Diode für den Stromfluss vergleichen, bei der die eine Richtung supraleitend sei, die andere aber unendlichen Widerstand zeige, wobei sich zudem diese beiden Richtungen auf Knopfdruck tauschen lassen.
Mit der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen den Physikern der Universitäten Rostock und Greifswald ist die Grundlagenforschung in der Quantenoptik und auf dem dynamischen Gebiet der topologischen Isolatoren wieder ein Stück vorangekommen. Bis sich eines Tages das Puzzle zu einem Quantencomputer fügt, ist noch einiges an Forschung nötig, etwa wie sich ein optischer, idealer Schalter realisieren lasse. Mit der Entdeckung der Physiker in diesem exotischen Gebiet reiner Grundlagenforschung verbindet sich dennoch die Erwartung vielversprechender Anwendungen in der Zukunft. Optische Synapsen, das ist es, wovon die enthusiastischen Quantenoptiker Szameit und Maczewsky träumen. So rasant wie sich die Quantenoptik derzeit weltweit entwickelt, könnte ihr Traum bald wahr werden.
U. Rostock / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
L. J. Maczewsky et al.: Fermionic time-reversal symmetry in a photonic topological insulator, Nat. Mat., online 23. März 2020; DOI: 10.1038/s41563-020-0641-8 - Experimentelle Festkörperoptik, Institut für Physik, Universität Rostock
- Komplexe Quantensysteme, Institut für Physik, Universität Greifswald