Wenn sich Dipole querstellen
Chemiker suchen eine neue Theorie zum Energietransfer der Photosynthese.
Chemiker suchen eine neue Theorie zum Energietransfer der Photosynthese.
Die Photosynthese, also die Erzeugung energiereicher Verbindungen mit Hilfe von Sonnenlicht, ist die Grundlage des Lebens auf der Erde. Der grüne Farbstoff Chlorophyll agiert dabei als Sonnenkollektor der Pflanzen, der die eingefangene Energie verlustfrei zwischen Molekülen und schließlich auf das Photosynthese-Reaktionszentren zur Fixierung als chemische Energie überträgt. Diesen Vorgang beschreibt die Förster-Theorie. Danach wird die Energie über schwingende elektrische Dipole analog zu Radioantennen weitergegeben, indem sie ihre Nachbarmoleküle ebenfalls elektrisch anregen. Messungen des Chemikers Heinz Langhals der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) widerlegen nun dieses Modell: „Der Energietransfer über Dipole hängt von ihrer Orientierung ab“, sagt Langhals. „Stehen sie senkrecht zueinander, kann kein Transport stattfinden. Wir haben diesen Aspekt nun erstmals experimentell überprüft und dabei festgestellt, dass wider Erwarten trotzdem fast alle Energie in kürzester Zeit übertragen wird.“ Zusammen mit anderen Forschungsgruppen will das Team nun die experimentelle Grundlage für eine Neufassung der Theorie schaffen, auch für die Entwicklung optischer Computer und verbesserter farbstoffbasierter Solarzellen.
Die Chlorophylle und andere Farbstoffmoleküle können großflächige Komplexe bilden, in denen sie Licht effizient einsammeln und weiterleiten, etwa an das Photosynthese-Reaktionszentrum einer Pflanze oder an die leitende Schicht einer Solarzelle. Die Lichtaufnahme selbst findet dabei in bestimmten Atomgruppen der Farbstoffmoleküle statt, den sogenannte Chromophoren. Weil unterschiedliche Chromophore Licht verschiedener Wellenlängen absorbieren, kann ein Verbund mehrerer Farbstoffmoleküle einen sehr großen spektralen Bereich des Lichts verwerten.
Entsprechend wollte das Team um Langhals in Zusammenarbeit mit Physikern der LMU einen breitbandigen Lichtsammler entwickeln. In einem ersten Schritt sollte die Förster-Theorie zum Energietransfer zwischen Farbstoffen überprüft werden. Sie basiert auf der Vorstellung, dass beim Energietransport schwingende elektrische molekulare Dipole, bei denen elektrische Ladungen getrennt sind, benachbarte Dipole zum Schwingen anregen. Die Ausrichtung spielt hier eine entscheidende Rolle: Stehen die Dipole senkrecht zueinander, wird der benachbarte Dipol nicht angeregt. Sind sie dagegen parallel angeordnet, überträgt sich die Energie.
Zur Überraschung der Forscher zeigten die Messungen an senkrecht ausgerichteten Chromophoren jedoch, dass nahezu 100 Prozent der Energie weitergegeben wird. „Der Prozess ist außerordentlich effizient“, betont Langhals. „Das sehen wir auch an der mit 9,4 Billionstel Sekunden extrem kurzen Reaktionszeit. Die Vorstellung von einem Energietransfer über Dipole ist damit widerlegt. Unsere Ergebnisse deuten eher auf eine niederfrequente Kopplung über Bewegungen im Molekül hin.“ Eine Kooperation mit anderen Forschungsgruppen soll nun die experimentelle Grundlage für eine Neuformulierung der Theorie schaffen.
Eine Konsequenz dieser Ergebnisse wird sein, dass das sogenannte Molekulare Lineal überdacht und möglicherweise neu justiert werden muss. Dieses Werkzeug wird eingesetzt, um bestimmte biochemische Reaktionen zu testen, und beruht auf einem weiteren Aspekt der Förster-Theorie: Demnach hängt die Übertragungsgeschwindigkeit vom Abstand der Chromophoren ab. Werden Moleküle mit Chromophoren markiert, kann man so ihren Abstand messen und etwa testen, ob Antikörper bestimmte Bindungen eingehen.
In erster Linie aber könnten sich die Untersuchungen – und eine neu formulierte theoretische Grundlage für den Energietransfer bei Farbstoffmolekülen – auf die Photonik auswirken. Ein wichtiges Beispiel sind optische Computer, die Information mit Licht statt mit Strom übertragen. „Deshalb spielt in molekularen optischen Computern auch die Energieübertragung zwischen Farbstoffen eine zentrale Rolle“, sagt Langhals. „Denn dort spielen Farbstoffe die Rolle von Bauelementen, etwa von Transistoren.“ Optische Computer werden derzeit intensiv erforscht, weil sie auf kleinem Platz extrem hohe Verarbeitungsgeschwindigkeiten erreichen könnten. Eine Neufassung der Förster-Theorie könnte zudem dazu beitragen, farbstoffbasierte Solarzellen effizienter zu machen.
Ludwig-Maximilians-Universität München / AL