Wenn Spins sich austauschen
Kohärente Ausbreitung einzelner quantenmagnetischer Störstellen in einer Kette ultrakalter Atomen beobachtet.
Bislang waren es vor allem Theoretiker, die die ungewöhnliche Eigenschaften von Supraleitern mit eigens dafür entwickelten Modellen erklärten. Doch man kann nicht direkt nachschauen, wie der Ladungstransport in einem Festkörperkristall wirklich abläuft, denn dieser Prozess ereignet sich auf extrem kleinen Zeit- und Längenskalen. Ein Team um Immanuel Bloch hat jetzt erstmals die kohärente Ausbreitung von einzelnen Spinanregungen in einem ultrakalten Quantengas aus stark korrelierten Atomen beobachtet. Dies ist einer der elementaren Prozesse im Magnetismus von Quantensystemen. In enger Zusammenarbeit mit theoretischen Physikern der Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität Genf konnten die Wissenschaftler auch zeigen, dass der Transport der Spin-Störung in schwächer korrelierten Systemen durch die Ausbildung von Polaronen genannten Quasiteilchen verlangsamt wird.
Abb.: Veranschaulichende Darstellung der Ausbreitung der Spin-Störung (rot) in einer Kette von Atomen, deren Spin anfänglich entgegengesetzt gerichtet ist. (Bild: MPQ, Abt. Quanten-Vielteilchensysteme)
Festkörpereigenschaften wie Magnetismus, elektrische Leitfähigkeit oder Supraleitung sind durch das Verhalten der Elektronen in dem periodischen Kristallgitter bestimmt. Eine besondere Rolle spielt dabei der Spin der Elektronen. So führt man die Hochtemperatur-Supraleitung bestimmter Kupferverbindungen auf die Spin-Kopplung von stark korrelierten Elektronen zurück. Ultrakalte Atome in optischen Gittern sind ideale Systeme, um diese „quantenmagnetischen“ Phänomene unter kontrollierten experimentellen Bedingungen zu untersuchen.
Die Wissenschaftler kühlten zunächst Rubidium-Atome auf eine Temperatur dicht oberhalb des absoluten Nullpunkts ab. Mit Hilfe von Lichtfeldern erreichten sie, dass sich die Atome nur noch entlang eindimensionaler, parallel verlaufender Röhren bewegen durften. Diesen Röhren wurde eine stehende Laserwelle überlagert, so dass eine periodische Folge heller und dunkler Gebiete entstand – ein optisches Gitter, in dem auf jedem Gitterplatz genau ein Atom Platz hat. Dieser perfekt geordnete Zustand wird nach dem britischen Physiker Sir Neville Mott als „Mott-Isolator“ bezeichnet. Auf diese Weise bildet esich schließlich eine Anordnung von parallel verlaufenden Ketten aus jeweils zirka fünfzehn Atomen aus.
Die Atome in dem optischen Gitter spielen die Rolle der Elektronen in dem Festkörpergitter, Genau wie diese sind sie durch ihren Spin, charakterisiert, jedoch können die Wissenschaftler auf den atomaren Spin, der sich – wie bei kleinen Magnetnadeln – in zwei entgegengesetzte Richtungen einstellen kann, direkt Einfluss nehmen. Anfangs waren alle Atome in dem Ensemble einheitlich ausgerichtet. Dann wurde ein Atom in der Mitte jeder Kette zunächst mit einem Laserstrahl gezielt angesprochen und sein Spin durch Bestrahlen mit Mikrowellenpulsen umgeklappt. Nun verfolgten die Wissenschaftler, wie sich diese künstlich erzeugte Spin-Störung in dem eindimensionalen Gitter ausbreitet.
Mit Hilfe eines in der Gruppe entwickelten Abbildungsverfahrens, das einzelne Atome auf ihren Gitterplätzen mit hoher Auflösung sichtbar macht, wurde der Ort der Störung nach unterschiedlichen Zeitabständen bestimmt, und zwar gleichzeitig für alle Ketten. Die daraus resultierenden Verteilungen wies eine Struktur auf, wie sie aus der Interferenz kohärenter Wellen zu erwarten ist. „Die Ausbreitung der Spin-Störung führen wir auf den Mechanismus des ‚korrelierten Super-Austauschs’ zurück“, erklärt Christian Groß, Wissenschaftler am Experiment. „Wenn die Spin-Störung einen Platz nach rechts wandert, nimmt im Gegenzug das Nachbaratom dessen Platz ein. Da dieser Vorgang mit der gleichen Wahrscheinlichkeit gleichzeitig in der anderen Richtung stattfindet, kommt es zu der von uns beobachteten Interferenz. In einem klassischen System dagegen würde die Verteilung im Laufe der Zeit lediglich breiter werden. Wir haben damit den Beweis erbracht, dass sich die Spinwelle kohärent ausbreitet.“
In der Mott-Phase sind die Barrieren zwischen den Gitterplätzen so hoch, dass die Teilchen fest an ihre Plätze gebunden sind und lediglich der oben erwähnte korrelierte Superaustausch möglich ist. Wird die Gitterhöhe – d.h. die Intensität der Laserwelle – herunter gefahren, dann können die Teilchen unterhalb einer bestimmten Schwelle mit einer quantenmechanisch festgelegten Wahrscheinlichkeit zu ihren jeweiligen Nachbarplätzen hinüber tunneln. In dieser suprafluiden Phase ist die Beweglichkeit der Atome eigentlich erhöht, allerdings wird die Ausbreitung der Störstelle – wie die Messungen zeigten – abgebremst. „Das liegt daran, dass die Tunnelprozesse die Wechselwirkung der Spin-Störung mit den Hintergrundatomen und deren Dynamik sehr viel komplexer machen“, erläutert Takeshi Fukuhara, der an dem Experiment als Postdoc forscht. „Im Endeffekt stößt die Spin-Störung unmittelbar benachbarte Teilchen von sich weg.“
Dadurch entsteht in dem Bad aus Hintergrundatomen eine Vertiefung, die von der Störung mit geschleppt werden muss, wodurch diese schwerfälliger und auch langsamer wird. „Das ist so, wie wenn man sich auf dem Weg zur U-Bahn einen Weg durch einen Menschenmenge bahnen muss: auch das geht natürlich nur langsam, da man sich ständig aufs neue Platz schaffen, also ein ‚Loch mit sich ziehen muss“, führt Fukuhara aus. „Die in unserer Messung beobachtete Störstellenbewegung lässt sich mit der Entstehung von Quasiteilchen, den auch in der Festkörperphysik auftretenden Polaronen, erklären.“
Die hier beschriebenen Messungen sind unter zwei Aspekten von Bedeutung. Zum einen demonstrieren sie die herausragenden Kontrollmöglichkeiten von ultrakalten Quantensystemen, die die Grundlage für die Simulation von kollektiven Festkörperanregungen sind, insbesondere von quantenmagnetischen Phänomenen. Zum anderen geben sie einen direkten Einblick in die Prozesse, die dem Transport von elektrischen Ladungen und Störstellen in Festkörperkristallen zu Grunde liegen.
MPQ / DE