Wie aktives Glas altert

Glas-Modelle lebender Systeme liefern überraschende Einsichten in biologische Prozesse.

Auch Materialien wie Kunst­stoffe und Gläser altern: Sie verändern sich langsam mit der Zeit, da ihre Partikel versuchen, sich stärker zu verdichten. Es gibt bereits Computer­modelle, die diesen Vorgang simulieren. Biologische Materialien, wie lebendes Gewebe, können ein ähnliches Verhalten wie Glas zeigen, aller­dings sind die Partikel dann echte Zellen oder Bakterien, die einen eigenen Antrieb haben. Forscher der Uni Göttingen haben jetzt mit Hilfe von Computer­simula­tionen das Alterungs­verhalten dieser „lebenden“ gläsernen Systeme unter­sucht. Über­raschend war, dass die Aktivität der Partikel tatsäch­lich die Alterung antreiben kann, was mögliche Folgen für eine Reihe von Anwendungen hat.

Abb.: Ein aktives Teilchen wird durch eine Energie­land­schaft in einen...
Abb.: Ein aktives Teilchen wird durch eine Energie­land­schaft in einen nied­ri­geren Energie­zu­stand ver­setzt. (Bild: R. Mandal, GAU)

In Materialien wie Glas und Kunst­stoffen verdichten sich die Partikel mit der Zeit besser. Wird dieser Prozess durch mechanische Verformung gestört, zum Beispiel, wenn ein Fest­körper gebogen wird, kehren die Materialien in ihren früheren Zustand zurück und werden so gewisser­maßen verjüngt. Um zu model­lieren, was in biolo­gischen Systemen geschieht, entwickelten die Forscher umfang­reiche Computer­simulationen. Sie unter­suchten ein Glas-Modell, welches aus aktiven Teilchen bestand. „Aktiv“ heißt hier, dass ähnlich wie in einem realen biolo­gischen System jedes Teilchen in der Simulation seine eigene Antriebs­kraft besitzt. Diese Kraft hat eine Richtung, die sich in dem Modell über die Zeit zufällig ändert.

Dann variierten die Forscher die Zeitskala dieser Richtungs­änderungen der aktiven Kräfte. Wenn diese Zeitskala kurz ist, werden die Partikel zufällig angetrieben – als ob sie sich bei einer höheren Temperatur befänden, was zu einer Alterung führt. Bei langsamen Richtungs­änderungen versuchen die Teilchen jedoch, in der gleichen Richtung zu bleiben, was wie eine lokale Verformung wirkt und so die Alterung stoppen sollte. Die Simulationen haben hier jedoch etwas Unerwartetes gezeigt: Wenn die Aktivität der Teilchen sehr anhaltend ist, treibt sie tatsächlich die Alterung in lebenden glasartigen Systemen voran.

„Wir waren wirklich über­rascht, als wir sahen, dass anhaltender aktiver Antrieb Alterung verursachen kann. Wir hatten erwartet, dass er wie eine klein­räumige Verformung im Material wirkt, die es verjüngt“, erklärt Rituparno Mandal von der Uni Göttingen. „Tatsächlich aber ist die lokale Verformung so langsam, dass die Teilchen effektiv mit der Strömung mitgehen und ihre Bewegung nutzen können, um energie­ärmere Anordnungen zu finden. Tatsächlich verdichten sie sich besser.“

Teamleiter Peter Sollich fügt hinzu: „Die Forschung hebt wichtige Merkmale des Glas­ver­haltens in aktiven Materialien hervor, die in herkömm­lichen Gläser nicht in vergleich­barer Form auftreten. Das könnte Aus­wirkungen auf viele biolo­gische Prozesse haben, bei denen glas­artige Effekte fest­ge­stellt wurden, darunter das Zell­ver­halten bei der Wund­heilung, die Gewebe­ent­wick­lung und die Meta­stasierung von Krebs.“

GAU / RK

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