22.11.2018

Wie aus Staubkörnchen Planeten werden

Mikrogravitationsexperimente im Fallturm belegen universelle Regeln bei Stoßprozessen.

Am Anfang aller Planeten steht kosmischer Staub, der sich in einem neu entstehenden Sternen­system in einer proto­planetaren Scheibe sammelt. Von der gravi­tativen Verdichtung, Turbu­lenzen und dem sich bildenden Stern im Zentrum erwärmt, verbacken diese Staub­teilchen auch dank umfang­reicher Kondensations­prozesse zu immer größeren Konglomeraten, die dann schritt­weise zu Planete­simalen heran­wachsen und schließlich zu Planeten werden. Das ist zumindest die grobe Theorie. Im Einzelnen sind viele der Schritte bei der Planeten­entstehung noch schlecht verstanden. Das liegt zum einen daran, dass sich die Dynamik der frei fliegenden kleinen Körper in der irdischen Schwer­kraft nicht leicht experimentell überprüfen lässt. Und auf der anderen Seite ist gerade der Übergang von kleinen Körpern, die durch Adhäsion aneinander halten, hin zu größeren Körpern, die gravi­tativ fest genug gebunden sind, um auch heftige Kollisionen zu überstehen, bislang schlecht verstanden.

Abb.: Zwei Arten von Kollisionen: Eine Glaskugel trifft auf einen Klumpen aus Staubagglomeraten (oben) oder auf einen Klumpen aus Glasperlen (unten). (Bild: I. v. Borstel, H. Katsuragi, J. Blum, TU Braunschweig)

Insbesondere die mitunter starken Zusammen­stöße können kleinere Konglo­merate völlig zerreißen und neuen Staub und Trümmer­stücke freisetzen. Für Simu­lationen zur Planeten­bildung ist es deshalb wichtig zu verstehen, wie stark der Impulsübertrag bei solchen Kollisionen in Schwere­losigkeit, beziehungs­weise unter Mikro­gravitation, ist. Um diese Vorgänge genauer zu untersuchen, haben sich Hiroaki Katsuragi, ein Spezialist für Granular­physik von der Nagoya University, Japan, und der Planeten­forscher Jürgen Blum vom Institut für Geophysik und Extra­terrestrische Physik (IGEP) an der TU Braunschweig zusammen­geschlossen, um ein Experiment in einem eigens für diese Versuche gebauten kleinen Fallturm zu rea­lisieren. Dabei ging es insbe­sondere um die Frage, inwieweit sich hier­archische Konglom­erate, die aus kleineren Subein­heiten zusammen­gesetzt sind, bei Zusammen­stößen mit anderen Teilchen verhalten.

Wie wenig diese Prozesse bei der Planeten­entstehung bislang verstanden sind, lässt sich etwa am Stern TYC 8241 2652 1 ablesen, der sich mit seinem Alter von gerade einmal zehn Millionen Jahren gerade auf dem Höhepunkt seiner Planeten­bildung befinden sollte. Doch wie Astro­nomen vor wenigen Jahren feststellten, verschwand die Staub­scheibe um diesen Stern innerhalb von nur zwei Jahren – ein sehr über­raschender Befund, sollten derartige Prozesse doch Hundert­tausende oder Millionen von Jahren dauern. Auch neuere Unter­suchungen haben keinen Begleit­stern gefunden, der vielleicht dafür verant­wortlich sein könnte. Offen­sichtlich kann die Entstehung eines Planeten­systems oder auch das Herausblasen von Staub und Gas aus der proto­planetaren Scheibe sehr viel schneller geschehen, als die Modelle es vorhersagen. Ein Grund dafür ist das mangelnde Verständnis des Verhaltens granularer Konglo­merate.

Der Fallturm war nur rund anderthalb Meter hoch, aber hermetisch abgeriegelt, um ein Vakuum wie unter Weltraum­bedingungen zu ermöglichen. Vom oberen Rand schossen die Forscher ein etwa millimeter­großes Projektil auf einen Cluster aus Staub­partikel knapp darunter. Diesen versetzten sie in freien Fall, indem sie den Becher, in dem sie sich befanden, blitz­schnell nach unten wegklappten. Durch den Impuls­übertrag zerteilte sich der Cluster, wenn das Projektil auf ihn prallte. Das Ganze filmten die Forscher mit einer Hoch­geschwindigkeits­kamera, die 3000 Bilder pro Sekunde machte. Die Forscher variierten auch das Cluster­material sowie das Projektil, um deren Einfluss auf die Dynamik zu unter­suchen. Einmal wählten sie poröse Staub­teilchen von gut einem Millimeter Durchmesser, ein andermal dichte, starre Glasperlen mit ähnlichem Durch­messer.

Das Projektil bestand entweder aus Plastik, Blei oder Glas und war gut vier Mal größer als die Cluster­teilchen. Damit konnten die Forscher zum ersten Mal solche Stoß­prozesse in einem frei fallenden hierarchischen Granulat über­prüfen. Dabei wandelte sich der Großteil der Energie des Projektils in Verformungs- und Wärme­energie um, während rund zwei bis sieben Prozent seiner kine­tischen Energie auf den Cluster übertragen wurden. Das Projektil selbst behielt rund 15 Prozent seiner ursprüng­lichen kinetischen Energie bei.

Interessanter­weise zeigte sich kein nennens­werter Unterschied bei der Expansions­dynamik der porösen Cluster im Vergleich zu den starren Kugelhaufen. Das durch den Stoß induzierte Auseinander­fliegen hing nicht davon ab, wie hier­archisch der Cluster orga­nisiert war. Es war auch nicht davon abhängig, wie hoch die Projektilgeschwindigkeit war. Diese doppelte Unabhän­gigkeit weist auf universelle dynamische Regeln bei solchen Stoß­prozessen hin. Die Forscher stellten auch ein Random-Walk-Modell auf, mit dem sich diese Befunde theoretisch nachvoll­ziehen ließen.

Für die Model­lierung proto­planetarer Scheiben ist es ein wichtiges Ergebnis, dass das Material des Clusters keine Rolle bei solchen Stoßprozessen spielt. Allerdings betrugen die Projektil­geschwindig­keiten nur zwischen 0,045 und 1,6 Meter pro Sekunde. In Zukunft werden auf jeden Fall noch Messungen bei niedrigeren und höheren Geschwindig­keiten notwendig sein.

Dirk Eidemüller

JOL

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