Wie aus Staubkörnchen Planeten werden
Mikrogravitationsexperimente im Fallturm belegen universelle Regeln bei Stoßprozessen.
Am Anfang aller Planeten steht kosmischer Staub, der sich in einem neu entstehenden Sternensystem in einer protoplanetaren Scheibe sammelt. Von der gravitativen Verdichtung, Turbulenzen und dem sich bildenden Stern im Zentrum erwärmt, verbacken diese Staubteilchen auch dank umfangreicher Kondensationsprozesse zu immer größeren Konglomeraten, die dann schrittweise zu Planetesimalen heranwachsen und schließlich zu Planeten werden. Das ist zumindest die grobe Theorie. Im Einzelnen sind viele der Schritte bei der Planetenentstehung noch schlecht verstanden. Das liegt zum einen daran, dass sich die Dynamik der frei fliegenden kleinen Körper in der irdischen Schwerkraft nicht leicht experimentell überprüfen lässt. Und auf der anderen Seite ist gerade der Übergang von kleinen Körpern, die durch Adhäsion aneinander halten, hin zu größeren Körpern, die gravitativ fest genug gebunden sind, um auch heftige Kollisionen zu überstehen, bislang schlecht verstanden.
Abb.: Zwei Arten von Kollisionen: Eine Glaskugel trifft auf einen Klumpen aus Staubagglomeraten (oben) oder auf einen Klumpen aus Glasperlen (unten). (Bild: I. v. Borstel, H. Katsuragi, J. Blum, TU Braunschweig)
Insbesondere die mitunter starken Zusammenstöße können kleinere Konglomerate völlig zerreißen und neuen Staub und Trümmerstücke freisetzen. Für Simulationen zur Planetenbildung ist es deshalb wichtig zu verstehen, wie stark der Impulsübertrag bei solchen Kollisionen in Schwerelosigkeit, beziehungsweise unter Mikrogravitation, ist. Um diese Vorgänge genauer zu untersuchen, haben sich Hiroaki Katsuragi, ein Spezialist für Granularphysik von der Nagoya University, Japan, und der Planetenforscher Jürgen Blum vom Institut für Geophysik und Extraterrestrische Physik (IGEP) an der TU Braunschweig zusammengeschlossen, um ein Experiment in einem eigens für diese Versuche gebauten kleinen Fallturm zu realisieren. Dabei ging es insbesondere um die Frage, inwieweit sich hierarchische Konglomerate, die aus kleineren Subeinheiten zusammengesetzt sind, bei Zusammenstößen mit anderen Teilchen verhalten.
Wie wenig diese Prozesse bei der Planetenentstehung bislang verstanden sind, lässt sich etwa am Stern TYC 8241 2652 1 ablesen, der sich mit seinem Alter von gerade einmal zehn Millionen Jahren gerade auf dem Höhepunkt seiner Planetenbildung befinden sollte. Doch wie Astronomen vor wenigen Jahren feststellten, verschwand die Staubscheibe um diesen Stern innerhalb von nur zwei Jahren – ein sehr überraschender Befund, sollten derartige Prozesse doch Hunderttausende oder Millionen von Jahren dauern. Auch neuere Untersuchungen haben keinen Begleitstern gefunden, der vielleicht dafür verantwortlich sein könnte. Offensichtlich kann die Entstehung eines Planetensystems oder auch das Herausblasen von Staub und Gas aus der protoplanetaren Scheibe sehr viel schneller geschehen, als die Modelle es vorhersagen. Ein Grund dafür ist das mangelnde Verständnis des Verhaltens granularer Konglomerate.
Der Fallturm war nur rund anderthalb Meter hoch, aber hermetisch abgeriegelt, um ein Vakuum wie unter Weltraumbedingungen zu ermöglichen. Vom oberen Rand schossen die Forscher ein etwa millimetergroßes Projektil auf einen Cluster aus Staubpartikel knapp darunter. Diesen versetzten sie in freien Fall, indem sie den Becher, in dem sie sich befanden, blitzschnell nach unten wegklappten. Durch den Impulsübertrag zerteilte sich der Cluster, wenn das Projektil auf ihn prallte. Das Ganze filmten die Forscher mit einer Hochgeschwindigkeitskamera, die 3000 Bilder pro Sekunde machte. Die Forscher variierten auch das Clustermaterial sowie das Projektil, um deren Einfluss auf die Dynamik zu untersuchen. Einmal wählten sie poröse Staubteilchen von gut einem Millimeter Durchmesser, ein andermal dichte, starre Glasperlen mit ähnlichem Durchmesser.
Das Projektil bestand entweder aus Plastik, Blei oder Glas und war gut vier Mal größer als die Clusterteilchen. Damit konnten die Forscher zum ersten Mal solche Stoßprozesse in einem frei fallenden hierarchischen Granulat überprüfen. Dabei wandelte sich der Großteil der Energie des Projektils in Verformungs- und Wärmeenergie um, während rund zwei bis sieben Prozent seiner kinetischen Energie auf den Cluster übertragen wurden. Das Projektil selbst behielt rund 15 Prozent seiner ursprünglichen kinetischen Energie bei.
Interessanterweise zeigte sich kein nennenswerter Unterschied bei der Expansionsdynamik der porösen Cluster im Vergleich zu den starren Kugelhaufen. Das durch den Stoß induzierte Auseinanderfliegen hing nicht davon ab, wie hierarchisch der Cluster organisiert war. Es war auch nicht davon abhängig, wie hoch die Projektilgeschwindigkeit war. Diese doppelte Unabhängigkeit weist auf universelle dynamische Regeln bei solchen Stoßprozessen hin. Die Forscher stellten auch ein Random-Walk-Modell auf, mit dem sich diese Befunde theoretisch nachvollziehen ließen.
Für die Modellierung protoplanetarer Scheiben ist es ein wichtiges Ergebnis, dass das Material des Clusters keine Rolle bei solchen Stoßprozessen spielt. Allerdings betrugen die Projektilgeschwindigkeiten nur zwischen 0,045 und 1,6 Meter pro Sekunde. In Zukunft werden auf jeden Fall noch Messungen bei niedrigeren und höheren Geschwindigkeiten notwendig sein.
Dirk Eidemüller
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