02.12.2020

Wie die Alpen wachsen

Das Gebirge wird schneller angehoben als durch Erosion abgetragen.

Wie schnell werden die Alpen abgetragen? Werden sie schneller abgetragen als gehoben, und hängt die Abtragung vom Niederschlag ab? Diese Fragen konnten nun von einem inter­nationalen Team unter der Leitung des Instituts für Geologie der Universität Bern beantwortet werden. Die Forscher konnten nachweisen, dass die Abtragung insbesondere in den Schweizer Alpen langsamer erfolgt als die Hebung. Sie konnten ebenfalls zeigen, dass die Abtragung hauptsächlich vom Relief und der Gelände­neigung abhängt, während Niederschlag und Wasser­abfluss keinen deutlich erkennbaren Einfluss haben. 

Abb.: Noch immer heben sich die Alpen schneller als sie durch Erosion...
Abb.: Noch immer heben sich die Alpen schneller als sie durch Erosion abgetragen werden. (Bild: Sentinel-3, ESA)

Wenn kosmische Strahlung auf die Erdoberfläche trifft, führt dies zur Kernspaltung von Sauerstoff­atomen, die in Quarzkörnern einge­lagert sind. Dabei entsteht ein neues Isotop, nämlich Beryllium-10. Weil 10Be weitgehend nur auf der Erdoberfläche gebildet wird, lässt sich mit diesem Isotop auch das Oberflächenalter bestimmen. Ist die 10Be-Konzen­tration in den Quarzkörnern hoch, dann war die Oberfläche relativ lange der kosmischen Strahlung ausgesetzt, und ist damit auch relativ alt. Ist dagegen die Konzentration im Quarz gering, war die Expositionszeit kurz und die Oberfläche ist entsprechend jung.

„Mit diesem Prinzip lässt sich auch die Abtragungs­geschwindigkeit der Alpen messen, und zwar gemittelt über ein paar Tausend Jahre“, sagt Fritz Schlunegger von der Universität Bern. Bergbäche und Flüsse sammeln auf der Oberfläche abgetragenes Material und trans­portieren es als Sand und Geröll ins Flachland. Das europäische Team rund um die Berner Forscher hat für die Untersuchungen Sandproben aus mehr als 350 Flüssen aus dem ganzen Alpenraum verteilt auf ihren Quarzgehalt und ins­besondere auf die 10Be-Konzentration in den Quarzkörnern hin untersucht. „Mit dieser Strategie können wir zum ersten Mal ein Bild über die Erosion der gesamten Alpen entwerfen und herausfinden, wovon die Erosion abhängt“, sagt Romain Delunel.

Die Abtragungs­raten zeigen eine große Streuung im Alpenraum und pendeln um die 400 Millimeter in tausend Jahren. Die schnellste Erosion wird im Wallis, und insbesondere im Illgraben gemessen, wo die Erosion etwa 7500 Millimeter pro Jahrtausend beträgt. Das Gebiet mit der langsamsten Abtragung liegt ebenfalls in der Schweiz: Die Landschaft in der Ostschweiz rund um die Thur wurde lediglich um vierzehn Millimeter pro tausend Jahre abgetragen. „Dieser Abtragungswert ist sehr gering, fast schon langweilig“, meint Schlunegger. Interessanter­weise erfolgt die durchschnittliche Hebung in den Zentral­alpen, verursacht durch Kräfte im Erdinnern, aber schneller als die Abtragung. „Das ist eine große Überraschung, denn bis jetzt sind wir davon ausge­gangen, dass Abtragung und Hebung ungefähr gleich schnell ablaufen“, so Fritz Schlunegger. In den Zentralalpen beträgt der Unterschied zwischen Hebung und Abtragung gar rund 800 Millimeter in tausend Jahren. „Damit wachsen die Zentralpen, und zwar überraschend schnell“, stellt Schlunegger fest. In den Westalpen sind Abtragung und Hebung im Gleichgewicht; in den Ostalpen erfolgt die Abtragung sogar schneller als die Hebung.

Die Forscher konnten dank ihren Unter­suchungen auch zeigen, dass Niederschlag und Wasser­abfluss keinen messbaren Einfluss auf die Abtragung haben, die Neigung und das Relief des Geländes hingegen schon. „Dies gilt allerdings nicht für sehr steile Land­schaften“, sagt Romain Delunel. Dort kommt der Fels großflächig zum Vorschein, und die Abtragung ist langsamer als erwartet. „Das war eine weitere Überraschung, denn wir dachten, dass ein sehr steiles Gelände sehr schnell abgetragen wird. Weshalb das nicht der Fall ist, wissen wir noch nicht. Daher sehen wir Bedarf nach weiterer Forschung“, so Delunel.

Die Studie zeigt schließlich, dass die heutigen Abtragungs­geschwindig­keiten- und mechanismen auf das Wirken der grossen Eismassen während der Vergletscherungsphasen zurückgeführt werden können, weil die heutige Geländeform während der letzten großen Verglet­scherungen gebildet wurde. „Es ist unglaublich, welch großen Einfluss die Eismassen und die immer noch andauernde Alpen­kollision auf die Form der Alpen haben“, so die Forscher. Diese Resultate sind das Ergebnis einer mehr als zehn Jahre langen, inter­nationalen Zusammenarbeit unter der Leitung von Romain Delunel und Fritz Schlunegger vom Institut für Geologie der Universität Bern. 

U. Bern / JOL

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