28.08.2020 • Astrophysik

Wie ein junger Stern wächst

Magnetfeld lenkt Material aus der umgebenden Akkretionsscheibe aus Gas und Staub auf die Oberfläche eines entstehenden Sterns.

Ein internationales Team von Astronomen hat mit dem Instrument GRAVITY am Very Large Telescope der Europäischen Südstern­warte ESO die unmittelbare Umgebung eines jungen Sterns detail­lierter als je zuvor untersucht. Die Beobachtungen bestätigen eine dreißig Jahre alte Theorie über das Wachstum junger Sterne: Das Magnetfeld, welches der Stern selbst produziert, lenkt Material aus einer ihn umgebenden Akkretions­scheibe aus Gas und Staub auf seine Oberfläche. Die Ergebnisse helfen den Forschern dabei zu verstehen, wie Sterne entstehen und wie sich aus den Scheiben, die diese Sterne umgeben, erdähnliche Planeten bilden.

Abb.: Künstlerische Darstellung der heißen Gasströme, mit deren Hilfe junge...
Abb.: Künstlerische Darstellung der heißen Gasströme, mit deren Hilfe junge Sterne wachsen. (Bild: A. M. Garlick, MPIA)

Wenn neue Sterne entstehen, sind sie anfangs verhältnis­mäßig klein und befinden sich tief im Inneren einer Gaswolke. Im Laufe von Hundert­tausenden von Jahren ziehen sie immer mehr von dem umgebenden Gas auf sich und werden so immer masse­reicher. Die GRAVITY-Beobachtungen zeigen, wie das Gas auf die jungen Sterne gelenkt wird: Es wird vom Magnetfeld des Sterns in einer schmalen Säule auf die Oberfläche geleitet. Die relevanten Größen­skalen sind so klein, dass Astronomen selbst mit den derzeit besten verfügbaren Teleskopen keine detail­lierten Abbildungen des Prozesses erzeugen können.

Dennoch vermögen die Astronomen mit der neuesten Beobachtungs­technik zumindest einige wichtige Informationen darüber zu gewinnen. GRAVITY kombiniert die vier acht Meter großen VLT-Teleskope der ESO zu einem virtuellen Teleskop, das kleine Details ebenso gut unter­scheiden kann wie ein Teleskop mit einem 100-Meter-Spiegel. Mit Hilfe von GRAVITY konnten die Forscher den inneren Teil der Gasscheibe beobachten, die den Stern TW Hydrae umgibt.

„Dieser Stern ist etwas Besonderes, weil er nur 196 Lichtjahren Entfernung liegt und die den Stern umgebende Materie­scheibe uns direkt zugewandt ist“, sagt Rebeca García López vom MPI für Astronomie, die Leiterin der Studie. „Das macht ihn zum idealen Kandidaten, um zu unter­suchen, wie Materie von einer Planeten bildenden Scheibe auf die Stern­ober­fläche geleitet wird.“ Die Messung erlaubte es den Forschern zu zeigen, dass die vom Gesamt­system ausgesandte Nahinfrarot-Emission tatsächlich in der innersten Region entsteht, wo Wasser­stoff­gas auf die Ober­fläche des Sterns fällt. Die Ergebnisse deuten klar auf einen Prozess hin, der als magneto­sphärische Akkretion bezeichnet wird, nämlich auf einfallende Materie, die durch das Magnetfeld des Sterns auf die Oberfläche geleitet wird.

Protosterne bis etwa zur zweifachen Masse der Sonne befinden sich während der etwa zehn Millionen Jahre unmittelbar vor der Zündung der Proton-Proton-Kernfusion in der T-Tauri-Phase. Sterne in dieser Phase ihrer Entwicklung leuchten sehr hell im Infrarot-Bereich. Diese jungen stellaren Objekte haben ihre endgültige Masse noch nicht erreicht: Sie sind umgeben von den Über­resten der Wolke, aus der sie geboren wurden, insbesondere von Gas, das sich zu einer zirkum­stellaren Scheibe um den Stern zusammen­gezogen hat. In den äußeren Regionen dieser Scheibe verklumpen Staub und Gas und bilden immer größere Körper, die schließlich zu Planeten werden. Große Mengen von Gas und Staub aus der inneren Scheiben­region werden dagegen auf den Stern gezogen und lassen dessen Masse weiter anwachsen. Zusätzlich treibt die intensive Strahlung des Sterns einen beträcht­lichen Teil des Gases als Sternwind nach außen.

Allerdings ist es keineswegs einfach für Gas oder Staub, die Oberfläche eines jungen Sterns zu erreichen: Die Dreh­impuls­erhaltung sorgt dafür, dass es natür­licher ist, den Stern zu umkreisen, als direkt auf seine Oberfläche zu fallen. Prozesse innerhalb Akkretions­scheibe sorgen jedoch dafür, dass trotzdem Materie die Oberfläche erreicht. In der Scheibe wirkt eine starke innere Reibung, die es immer wieder einem Teil des Gases erlaubt, seinen Drehimpuls auf andere Teile des Gases zu übertragen und sich damit weiter nach innen zu bewegen. Bei einem Abstand vom Stern von weniger als dem zehnfachen Stern­radius wird es dann allerdings noch einmal schwierig.

Vor dreißig Jahren hat Max Camenzind von der Landes­sternwarte eine Lösung vorgeschlagen. Sterne besitzen ein Magnetfeld. Bei der magneto­sphärischen Akkretion leiten die Magnet­felder des jungen Sterns Gas in säulen­artigen Strömungen vom inneren Rand der zirkum­stellaren Scheibe an die Stern­ober­fläche. Sie helfen dem Gas dabei, Drehimpuls zu verlieren, so dass das Gas auf den Stern strömen kann. Ein Modell zu entwickeln, das physikalische Vorgänge erklärt, ist eine Sache. Wichtig ist jedoch, dieses Modell anhand von Beobachtungen testen zu können. Aber die Längen­skalen, um die es hier geht, liegen in der Größen­ordnung von Stern­radien. Bis vor kurzem waren solche Längen­skalen selbst für die nächst­gelegenen jungen Sterne zu klein, als dass die Astronomen ein Bild mit den relevanten Details hätten aufnehmen könnten.

Einen ersten Hinweis darauf, dass in solchen Situationen tatsächlich magneto­sphärische Akkretion eine Rolle spielt, ergaben Unter­suchungen der Spektren einiger T-Tauri-Sterne. Spektren von Gaswolken enthalten Informationen über die Bewegung des Gases. Bei einigen T-Tauri-Sternen zeigten die Spektren Scheiben­material, das mit Geschwindig­keiten von bis zu mehreren hundert Kilometern pro Sekunde auf die Stern­ober­fläche fiel, und lieferten damit einen indirekten Beleg für das Vorhanden­sein von Akkretions­strömen entlang der Magnet­feld­linien. In einigen wenigen Fällen konnte auch die Stärke des Magnet­felds in der Nähe eines T-Tauri-Sterns gemessen werden. Dazu nutzte man eine Kombination aus hoch­auf­lösenden Spektren und Polarimetrie, also einem Verfahren, das die Orientierung der elektro­magne­tischen Wellen erfasst, die wir von einem Objekt empfangen.

Erst seit kurzem sind neue astro­nomische Instrumente verfügbar, deren Auflösungs­vermögen so hoch ist, dass sie in der Lage sind, solche Details zu erkennen und zu studieren. Sie ermöglichen nun direkte Beobachtungen, die Erkennt­nisse über die magneto­sphärische Akkretion liefern. Eine Schlüssel­rolle spielt dabei das Instrument GRAVITY. Im Sommer 2019 verwendete ein Team von Astronomen unter der Leitung von Jerome Bouvier von der Universität Grenobles Alpes dieses Instrument, um die inneren Regionen des T-Tauri-Sterns DoAr 44 zu unter­suchen. Die energie­reiche ultra­violette Strahlung des Sterns ionisiert Wasser­stoff­atome in der Akkretions­scheibe, die den Stern umgibt. Das Magnet­feld beeinflusst daraufhin die elektrisch geladenen Wasser­stoff­kerne. Die Einzel­heiten der physika­lischen Prozesse, die das Wasser­stoff­gas aufheizen, während es sich entlang des Akkretions­stroms in Richtung des Sterns bewegt, sind noch nicht verstanden. Dass es zu einer Aufheizung kommt, zeigen die stark verbreiterten Spektral­linien.

Bei diesen GRAVITY-Beobachtungen war die Winkel­auflösung ausreichend hoch, um zu zeigen, dass das Licht nicht in der zirkum­stellaren Scheibe, sondern näher an der Stern­ober­fläche erzeugt wurde. Außerdem war die Quelle des beobachteten Lichts relativ zum Mittel­punkt des Sterns leicht verschoben. Beide Eigen­schaften passen zu Licht, das in der Nähe eines Endes des von Magnet­feld­linien geleiteten Stroms emittiert wird, also dort, wo das ein­fallende Wasser­stoff­gas mit der Oberfläche des Sterns kollidiert. Die neuen Ergebnisse gehen noch einen Schritt weiter. Sie basieren auf GRAVITY-Beobach­tungen des T-Tauri-Sterns TW Hydrae – er dürfte inzwischen das am besten unter­suchte System dieser Art sein: Mit den Beobachtungen haben López und ihre Kollegen die Grenzen noch weiter nach innen verschoben. GRAVITY detektierte Spektral­linien, die mit hoch angeregtem Wasser­stoff assoziiert sind. Das Instrument konnte außerdem nachweisen, dass dieses Licht aus einer Region stammt, deren Durch­messer nicht größer als der 3,5-fachen Radius des beobachteten Sterns ist.

Diese Beobachtung ist äußerst aufschluss­reich. Denn nach allem, was aus physika­lischen Model­lierungen solcher zirkum­stellaren Scheiben bekannt ist, können ihre inneren Ränder unmöglich so nahe an den Stern heran­reichen. Erreicht uns Licht aus einer derart sternnahen Region, dann stammt es nicht aus der Scheibe. Auch auf einen Sternwind kann es bei dieser Entfernung nicht zurück­zu­führen sein. Übrig bleibt als plausible Erklärung einzig das Modell der magneto­sphärischen Akkretion.

Aus künftigen Beobachtungen mit GRAVITY erhoffen sich die Forscher Daten, die eine detail­liertere Rekon­struktion der physika­lischen Prozesse in der Nähe des Sterns ermöglichen. „Dazu sollen Beobachtungen gehören, bei denen verfolgt wird, wie sich der Auftreff­punkt des Gases auf die Stern­ober­fläche mit der Zeit verschiebt“, erklärt Team-Mitglied Wolfgang Brandner vom MPI für Astronomie. „Wir erhoffen uns darüber Hinweise darauf, wie weit die Magnet­pole des Sterns gegen­über der Rotations­achse verschoben sind.“ Lägen Nord- und Südpol direkt auf der Rotations­achse, würde sich ihre Position im Laufe der Zeit überhaupt nicht verändern.

Die Forscher versprechen sich außerdem Erkenntnisse darüber, ob das Magnetfeld des Sterns wirklich so einfach ist wie eine bloße Nordpol-Südpol-Konfiguration. Denn Magnet­felder können deutlich komplizierter sein und zusätzlichen Pole aufweisen. Außerdem können die Felder sich mit der Zeit verändern, was Teil einer vermuteten Erklärung für die Helligkeits­schwankungen von T-Tauri-Sternen ist.

MPIA / RK

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