Wie ein junger Stern wächst
Magnetfeld lenkt Material aus der umgebenden Akkretionsscheibe aus Gas und Staub auf die Oberfläche eines entstehenden Sterns.
Ein internationales Team von Astronomen hat mit dem Instrument GRAVITY am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO die unmittelbare Umgebung eines jungen Sterns detaillierter als je zuvor untersucht. Die Beobachtungen bestätigen eine dreißig Jahre alte Theorie über das Wachstum junger Sterne: Das Magnetfeld, welches der Stern selbst produziert, lenkt Material aus einer ihn umgebenden Akkretionsscheibe aus Gas und Staub auf seine Oberfläche. Die Ergebnisse helfen den Forschern dabei zu verstehen, wie Sterne entstehen und wie sich aus den Scheiben, die diese Sterne umgeben, erdähnliche Planeten bilden.
Wenn neue Sterne entstehen, sind sie anfangs verhältnismäßig klein und befinden sich tief im Inneren einer Gaswolke. Im Laufe von Hunderttausenden von Jahren ziehen sie immer mehr von dem umgebenden Gas auf sich und werden so immer massereicher. Die GRAVITY-Beobachtungen zeigen, wie das Gas auf die jungen Sterne gelenkt wird: Es wird vom Magnetfeld des Sterns in einer schmalen Säule auf die Oberfläche geleitet. Die relevanten Größenskalen sind so klein, dass Astronomen selbst mit den derzeit besten verfügbaren Teleskopen keine detaillierten Abbildungen des Prozesses erzeugen können.
Dennoch vermögen die Astronomen mit der neuesten Beobachtungstechnik zumindest einige wichtige Informationen darüber zu gewinnen. GRAVITY kombiniert die vier acht Meter großen VLT-Teleskope der ESO zu einem virtuellen Teleskop, das kleine Details ebenso gut unterscheiden kann wie ein Teleskop mit einem 100-Meter-Spiegel. Mit Hilfe von GRAVITY konnten die Forscher den inneren Teil der Gasscheibe beobachten, die den Stern TW Hydrae umgibt.
„Dieser Stern ist etwas Besonderes, weil er nur 196 Lichtjahren Entfernung liegt und die den Stern umgebende Materiescheibe uns direkt zugewandt ist“, sagt Rebeca García López vom MPI für Astronomie, die Leiterin der Studie. „Das macht ihn zum idealen Kandidaten, um zu untersuchen, wie Materie von einer Planeten bildenden Scheibe auf die Sternoberfläche geleitet wird.“ Die Messung erlaubte es den Forschern zu zeigen, dass die vom Gesamtsystem ausgesandte Nahinfrarot-Emission tatsächlich in der innersten Region entsteht, wo Wasserstoffgas auf die Oberfläche des Sterns fällt. Die Ergebnisse deuten klar auf einen Prozess hin, der als magnetosphärische Akkretion bezeichnet wird, nämlich auf einfallende Materie, die durch das Magnetfeld des Sterns auf die Oberfläche geleitet wird.
Protosterne bis etwa zur zweifachen Masse der Sonne befinden sich während der etwa zehn Millionen Jahre unmittelbar vor der Zündung der Proton-Proton-Kernfusion in der T-Tauri-Phase. Sterne in dieser Phase ihrer Entwicklung leuchten sehr hell im Infrarot-Bereich. Diese jungen stellaren Objekte haben ihre endgültige Masse noch nicht erreicht: Sie sind umgeben von den Überresten der Wolke, aus der sie geboren wurden, insbesondere von Gas, das sich zu einer zirkumstellaren Scheibe um den Stern zusammengezogen hat. In den äußeren Regionen dieser Scheibe verklumpen Staub und Gas und bilden immer größere Körper, die schließlich zu Planeten werden. Große Mengen von Gas und Staub aus der inneren Scheibenregion werden dagegen auf den Stern gezogen und lassen dessen Masse weiter anwachsen. Zusätzlich treibt die intensive Strahlung des Sterns einen beträchtlichen Teil des Gases als Sternwind nach außen.
Allerdings ist es keineswegs einfach für Gas oder Staub, die Oberfläche eines jungen Sterns zu erreichen: Die Drehimpulserhaltung sorgt dafür, dass es natürlicher ist, den Stern zu umkreisen, als direkt auf seine Oberfläche zu fallen. Prozesse innerhalb Akkretionsscheibe sorgen jedoch dafür, dass trotzdem Materie die Oberfläche erreicht. In der Scheibe wirkt eine starke innere Reibung, die es immer wieder einem Teil des Gases erlaubt, seinen Drehimpuls auf andere Teile des Gases zu übertragen und sich damit weiter nach innen zu bewegen. Bei einem Abstand vom Stern von weniger als dem zehnfachen Sternradius wird es dann allerdings noch einmal schwierig.
Vor dreißig Jahren hat Max Camenzind von der Landessternwarte eine Lösung vorgeschlagen. Sterne besitzen ein Magnetfeld. Bei der magnetosphärischen Akkretion leiten die Magnetfelder des jungen Sterns Gas in säulenartigen Strömungen vom inneren Rand der zirkumstellaren Scheibe an die Sternoberfläche. Sie helfen dem Gas dabei, Drehimpuls zu verlieren, so dass das Gas auf den Stern strömen kann. Ein Modell zu entwickeln, das physikalische Vorgänge erklärt, ist eine Sache. Wichtig ist jedoch, dieses Modell anhand von Beobachtungen testen zu können. Aber die Längenskalen, um die es hier geht, liegen in der Größenordnung von Sternradien. Bis vor kurzem waren solche Längenskalen selbst für die nächstgelegenen jungen Sterne zu klein, als dass die Astronomen ein Bild mit den relevanten Details hätten aufnehmen könnten.
Einen ersten Hinweis darauf, dass in solchen Situationen tatsächlich magnetosphärische Akkretion eine Rolle spielt, ergaben Untersuchungen der Spektren einiger T-Tauri-Sterne. Spektren von Gaswolken enthalten Informationen über die Bewegung des Gases. Bei einigen T-Tauri-Sternen zeigten die Spektren Scheibenmaterial, das mit Geschwindigkeiten von bis zu mehreren hundert Kilometern pro Sekunde auf die Sternoberfläche fiel, und lieferten damit einen indirekten Beleg für das Vorhandensein von Akkretionsströmen entlang der Magnetfeldlinien. In einigen wenigen Fällen konnte auch die Stärke des Magnetfelds in der Nähe eines T-Tauri-Sterns gemessen werden. Dazu nutzte man eine Kombination aus hochauflösenden Spektren und Polarimetrie, also einem Verfahren, das die Orientierung der elektromagnetischen Wellen erfasst, die wir von einem Objekt empfangen.
Erst seit kurzem sind neue astronomische Instrumente verfügbar, deren Auflösungsvermögen so hoch ist, dass sie in der Lage sind, solche Details zu erkennen und zu studieren. Sie ermöglichen nun direkte Beobachtungen, die Erkenntnisse über die magnetosphärische Akkretion liefern. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Instrument GRAVITY. Im Sommer 2019 verwendete ein Team von Astronomen unter der Leitung von Jerome Bouvier von der Universität Grenobles Alpes dieses Instrument, um die inneren Regionen des T-Tauri-Sterns DoAr 44 zu untersuchen. Die energiereiche ultraviolette Strahlung des Sterns ionisiert Wasserstoffatome in der Akkretionsscheibe, die den Stern umgibt. Das Magnetfeld beeinflusst daraufhin die elektrisch geladenen Wasserstoffkerne. Die Einzelheiten der physikalischen Prozesse, die das Wasserstoffgas aufheizen, während es sich entlang des Akkretionsstroms in Richtung des Sterns bewegt, sind noch nicht verstanden. Dass es zu einer Aufheizung kommt, zeigen die stark verbreiterten Spektrallinien.
Bei diesen GRAVITY-Beobachtungen war die Winkelauflösung ausreichend hoch, um zu zeigen, dass das Licht nicht in der zirkumstellaren Scheibe, sondern näher an der Sternoberfläche erzeugt wurde. Außerdem war die Quelle des beobachteten Lichts relativ zum Mittelpunkt des Sterns leicht verschoben. Beide Eigenschaften passen zu Licht, das in der Nähe eines Endes des von Magnetfeldlinien geleiteten Stroms emittiert wird, also dort, wo das einfallende Wasserstoffgas mit der Oberfläche des Sterns kollidiert. Die neuen Ergebnisse gehen noch einen Schritt weiter. Sie basieren auf GRAVITY-Beobachtungen des T-Tauri-Sterns TW Hydrae – er dürfte inzwischen das am besten untersuchte System dieser Art sein: Mit den Beobachtungen haben López und ihre Kollegen die Grenzen noch weiter nach innen verschoben. GRAVITY detektierte Spektrallinien, die mit hoch angeregtem Wasserstoff assoziiert sind. Das Instrument konnte außerdem nachweisen, dass dieses Licht aus einer Region stammt, deren Durchmesser nicht größer als der 3,5-fachen Radius des beobachteten Sterns ist.
Diese Beobachtung ist äußerst aufschlussreich. Denn nach allem, was aus physikalischen Modellierungen solcher zirkumstellaren Scheiben bekannt ist, können ihre inneren Ränder unmöglich so nahe an den Stern heranreichen. Erreicht uns Licht aus einer derart sternnahen Region, dann stammt es nicht aus der Scheibe. Auch auf einen Sternwind kann es bei dieser Entfernung nicht zurückzuführen sein. Übrig bleibt als plausible Erklärung einzig das Modell der magnetosphärischen Akkretion.
Aus künftigen Beobachtungen mit GRAVITY erhoffen sich die Forscher Daten, die eine detailliertere Rekonstruktion der physikalischen Prozesse in der Nähe des Sterns ermöglichen. „Dazu sollen Beobachtungen gehören, bei denen verfolgt wird, wie sich der Auftreffpunkt des Gases auf die Sternoberfläche mit der Zeit verschiebt“, erklärt Team-Mitglied Wolfgang Brandner vom MPI für Astronomie. „Wir erhoffen uns darüber Hinweise darauf, wie weit die Magnetpole des Sterns gegenüber der Rotationsachse verschoben sind.“ Lägen Nord- und Südpol direkt auf der Rotationsachse, würde sich ihre Position im Laufe der Zeit überhaupt nicht verändern.
Die Forscher versprechen sich außerdem Erkenntnisse darüber, ob das Magnetfeld des Sterns wirklich so einfach ist wie eine bloße Nordpol-Südpol-Konfiguration. Denn Magnetfelder können deutlich komplizierter sein und zusätzlichen Pole aufweisen. Außerdem können die Felder sich mit der Zeit verändern, was Teil einer vermuteten Erklärung für die Helligkeitsschwankungen von T-Tauri-Sternen ist.
MPIA / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
GRAVITY Collaboration: A measure of the size of the magnetospheric accretion region in TW Hydrae, Nature 584, 547 (2020); DOI: 10.1038/s41586-020-2613-1
J. Bouvier et al.: Probing the magnetospheric accretion region of the young pre-transitional disk system DoAr 44 using VLTI/GRAVITY, Astron. Astroph. 636, A108 (2020); DOI: 10.1051/0004-6361/202037611 - Abt. Planeten- und Sternentstehung, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
- GRAVITY, Very Large Telescope, European Southern Observatory