Wie Glas entsteht
Klumpenbildung verringert innere Dynamik in der Schmelze.
In einer Schmelze existieren kleine verdichtete Bereiche, die den Ausgangspunkt für die Glasbildung darstellen. Das zeigen Experimente von Forschern der Uni Mainz. Die Wissenschaftler haben damit ein entscheidendes Puzzleteilchen zur Erklärung der Glasbildung gefunden und können so eine jahrzehntelange Kontroverse beenden. In den verdichteten Regionen ist die Beweglichkeit der Teilchen stark eingeschränkt und es findet eine Art Klumpenbildung statt. Je mehr dieser verklumpten Regionen auftreten, desto langsamer wird ihre innere Dynamik. Ab einem bestimmten Punkt ist schließlich keine Kristallbildung mehr möglich, sondern die Schmelze verfestigt sich in einer Glasstruktur. Die Ergebnisse zeigen auch die enge Verbindung zwischen den Mechanismen der Kristallisation und der Glasbildung auf.
Abb.: Die dynamische Karte gibt die Geschwindigkeit der Teilchen im Modellsystem wieder (langsamere Bereiche sind rot und orange, schnellere Bereiche blau). Rote Punkte zeigen an, wo der Übergang von der Schmelze zum Glas bereits stattgefunden hat. (Bild: U. Mainz)
Glas und Kristall sind zwei verschiedene Strukturen, die jeweils aus einer ungeordneten Schmelze entstehen können. In Gläsern behalten die Atome einen ungeordneten Zustand bei wie in einer Flüssigkeit, in Kristallen nehmen sie eine sehr regelmäßige Gitterstruktur ein. Welche Struktur sich herausbildet, entscheidet der Verfestigungsprozess. Glasbildung bezieht sich bei den physikalischen Untersuchungen nicht auf die Herstellung etwa von Fensterglas oder Trinkgläsern, sondern beschreibt die Bildung von amorphen Feststoffen, die also im Gegensatz zu Kristallen kein regelmäßiges Muster erkennen lassen.
Seit den 1990er Jahren ist bekannt, dass Schmelzen einerseits Bereiche unterschiedlicher Dichte aufweisen, andererseits aber auch Bereiche, die sich in der Beweglichkeit der Atome unterscheiden, also sowohl strukturelle als auch dynamische Inhomogenitäten. Seither haben theoretische Physiker kontroverse Debatten geführt, welche Rolle den beiden Bereichen bei der Verfestigung jeweils zukommt. „Wir haben jetzt festgestellt, dass diese Bereiche zusammenfallen. Damit ist die Kontroverse gelöst“, sagt Thomas Palberg von der Uni Mainz.
Um die ablaufenden Prozesse zu verstehen, hat Sebastian Golde im Arbeitskreis von Palberg Modellsysteme aus Hartkugeln mit einem optischen Experiment untersucht. Dazu hat er Hartkugelschmelzen verwendet und sie über die Streuung von Laserlicht analysiert. „Wir konnten zeigen, dass die Regionen mit dichter gepackten Kugeln und einer etwas größeren Ordnung mit den Regionen übereinstimmen, in denen sich die Hartkugeln deutlich langsamer bewegen“, erläutert Golde. Damit ist das alte Rätsel über die zwei unterschiedlichen Inhomogenitäten aufgeklärt.
Die eingesetzte Methode, eine Kombination aus statischer und dynamischer Lichtstreuung, hat aber noch weitere Einsichten ermöglicht. Die Beleuchtung der Proben mit Laser und die Verteilung des gestreuten Lichts machen die Struktur und Größe einzelner Bereiche sichtbar und lassen die Geschwindigkeit und Dynamik genau erkennen – ähnlich wie bei einer Kameraaufnahme ist das Ergebnis eine Art Foto, das die Dynamik ortsaufgelöst wiedergibt. So beobachteten die Wissenschaftler, dass bei zunehmender Packungsdichte – gemessen als Volumenanteil der Hartkugeln am Gesamtvolumen der Schmelze – mehr und mehr kleine verdichtete Bereiche mit langsamen Kugeln entstehen. Bei niedriger Konzentration dieser Bereiche wachsen Kristallstrukturen, steigt die Konzentration, verkeilen die Bereiche und das System erstarrt als Glas.
„Gläser entstehen also, wenn zu große Mengen an Kristallisationsvorstufen gebildet werden, sodass sie sich gegenseitig blockieren“, so Palberg. „Damit ist das Puzzleteilchen gefunden. Das Verklumpungsbild gehört zur Beschreibung des Glasübergangs eindeutig dazu.“ Als Grenze für die Kristallbildung haben die Forscher eine Packungsdichte von 59 Prozent ermittelt – ist der Anteil der Hartkugeln größer, wird aus der Schmelze ein Glas.
JGU / RK