Wie groß sind Protonen denn nun?
Laserspektroskopie an exotischem Wasserstoff bestätigt unerwartet kleinen Protonenradius.
Dieses Ergebnis sorgte bereits vor knapp drei Jahren für großes Aufsehen: Untersuchungen an exotischem Wasserstoff, bei dem statt eines Elektrons ein negativ geladenes Myon den Atomkern umkreist, lieferten einen signifikant kleineren Wert für den Protonenradius – genauer: ihren Ladungsradius –, als die bis dahin erfolgten Messungen an natürlichem Wasserstoff oder der Elektron-Proton-Streuung. Eine neue Messung desselben Teams bestätigt nun einerseits diesen Wert für den Ladungsradius und ermöglicht andererseits erstmalig die Bestimmung des magnetischen Radius des Protons mittels Laserspektroskopie an myonischem Wasserstoff.
Abb.: Aldo Antognini und Franz Kottmann stehen auf der Galerie der großen PSI-Experimentierhalle. Hier befindet sich der Versuchsaufbau zur Protonenradiusbestimmung. (Bild: PSI, M. Fischer)
Die neuen Ergebnisse fachen erneut die Debatte darüber an, ob die beobachteten Diskrepanzen eine konservative Erklärung finden werden, weil sie etwa auf mangelndes Verständnis der in allen Messungen auftretenden systematischen Fehler zurückgehen, oder ob am Ende doch „neue Physik“ dahinter steckt.
Bei den Untersuchungen der Naturgesetze spielt Wasserstoff seit vielen Jahren eine Schlüsselrolle. Für die Energieniveaus in diesem denkbar einfachen Atom liefert die Quantenelektrodynamik sehr genaue Vorhersagen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die elektrische Ladung des Protons – im Gegensatz zur Ladung des Elektrons – nicht in einem Punkt vereint ist. Vielmehr besteht das Proton aus Quarks, die durch Gluonen zusammengehaltenen werden, sodass sowohl die elektrische Ladung als auch der Magnetismus im Proton über einen ausgedehnten Bereich verteilt sind. Diese Ausdehnung des Protons führt zu Verschiebungen der Energieniveaus im Wasserstoff – und im Umkehrschluss lassen sich aus gemessenen Verschiebungen die elektrischen und magnetischen Protonenradien bestimmen.
2010 veröffentlichten die Wissenschaftler die ersten spektroskopischen Messungen der Verschiebung des 2S-Energieniveaus in myonischem Wasserstoff. Für die Herstellung dieser exotischen Variante beschossen sie Wasserstoff mit Myonen aus einem Beschleuniger am PSI. Diese nehmen, wenn sie langsam genug sind, im Wasserstoffatom den Platz der Elektronen ein. Auf Grund seiner großen Masse kommt das Myon dem Proton sehr viel näher als das Elektron, dementsprechend stärker ist auch die Verschiebung der Energieniveaus. Ihre Messung stellt hohe technische Anforderungen an das Experiment: Da die myonischen Wasserstoffatome sehr kurzlebig sind, müssen die Lichtpulse für die Anregung der Resonanz innerhalb von Nanosekunden nach der Registrierung eines Myons auf das Wasserstofftarget abgefeuert werden. Der am Institut für Strahlwerkzeuge (IFSW) der Universität Stuttgart entwickelte Scheibenlaser war dabei ein wesentlicher Baustein zur Erfüllung dieser Anforderung. Die für die Anregung notwendigen Spektroskopielaser wurden gemeinsam vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik und dem Laboratoire Kastler Brossel (Paris) entwickelt.
In dem jetztigen Experiment wurde die Verschiebung für einen weiteren Übergang in myonischem Wasserstoff bestimmt. Daraus konnten die Wissenschaftler zum einen erneut den elektrischen Protonenradius ermitteln. Der Wert von 0.84087(39) fm ist in Übereinstimmung mit den 2010 veröffentlichten 0,84184 fm, jedoch noch 1,7mal genauer. Die Diskrepanz zu den Messungen im normalen Wasserstoff bzw. zur Elektron-Proton-Streuung hat also an Gewicht gewonnen.
Die neue Messung erlaubt zudem nun erstmals die Bestimmung des magnetischen Radius des Protons aus der Laserspektroskopie an myonischem Wasserstoff. Der so bestimmte Wert von 0.87(6) Femtometern stimmt gut mit den bisherigen Werten überein. Auch wenn die Genauigkeit derzeit nicht besser ist als die der bisherigen Messungen, birgt die Laserspektroskopie von myonischem Wasserstoff das Potenzial, die Messgenauigkeit für den magnetischen Radius in Zukunft deutlich zu steigern.
Den Ursachen des Proton-Rätsels auf den Grund zu gehen ist weltweit Motivation für vielseitige Untersuchungen. Einerseits werden die alten Messungen im Wasserstoff und in der Elektronenstreuung neu analysiert oder wiederholt. Zum andern beteiligen sich Theoretiker vieler Fachrichtungen intensiv an der Suche nach der Lösung. Äußerst spannende Vorschläge versuchen, die beobachtete Diskrepanz durch Elementarteilchenphysik jenseits des Standardmodells zu erklären. Aber es könnte auch sein, dass das Proton eine viel komplexere Struktur hat als bisher angenommen, die jedoch erst unter dem Einfluss des schweren Myons deutlich wird. Um diesen Effekt abzuklären, sind weitere Messungen notwendig. So sind bereits Experimente zur Myon-Proton-Streuung am PSI in Planung. Am Elektronenbeschleuniger in Mainz sind neue Präzisionsmessungen im Gespräch. Und die Spektroskopie myonischer Atome wird vorangetrieben: So wird dieses Jahr erstmalig auch myonisches Helium spektroskopisch vermessen – von derselben Forschergruppe, wiederum am PSI. Dazu wird auch das Lasersystem angepasst und überarbeitet, wozu an der ETH Zürich (Kirch, Antognini) und am IFSW (Graf, Voß) derzeit das vom SNF und der DFG geförderte Gemeinschaftsprojekt „Thin-disk laser for muonic atoms spectroscopy“ läuft. Auch der European Research Council fördert das Projekt „Myonisches Helium“, Randolf Pohl vom MPQ in Garching erhielt hierfür einen ERC Starting Grant.
MPQ / PSI / OD