Wie man mit einer Eichtransformation Quanten zählt
Zwei Forscher haben ein theoretisches Konzept entwickelt, mit dem sich aus der Vielteilchen-Wellenfunktion eines Quantensystems Informationen über statistische Schwankungen von Teilchenzahlen ziehen lassen.
Bei Systemen, die aus einer Vielzahl an Teilchen bestehen, sind für gewöhnlich nur Mittelwerte physikalischer Größen von Interesse, da sich die statistischen Schwankungen makroskopisch nicht bemerkbar machen. Es gibt jedoch Situationen, in denen das Gegenteil gilt: Nanostrukturen können zum Beispiel starke quantenphysikalische Schwankungen in ihren Eigenschaften an den Tag legen; auch interferierende Bose-Einstein-Kondensate zeigen als makroskopische, kohärente Quantensysteme ein solches Verhalten. In diesen Situationen ist eine feinmaschigere Auswertung der Informationen, die in der Vielteilchen-Wellenfunktion stecken, nötig. Um sie zu gewinnen bedarf es anderer Ansätze als bei der Untersuchung auf Mittelwerte physikalischer Größen.
Abb.: Ein so genannter Doppel-Quantenpunkt: Es ist möglich ein einzelnes Elektron in dessen Hohlraum einzubringen und seine Gegenwart mit den Quantenpunkt-Kontakten daneben nachzuweisen. (Bild: Umeå Universität)
Jörgen Rammer und Andrei Shelankov von der Umeå Universität in Schweden haben nun eine theoretische Methode vorgestellt, mit der sie solcher Situationen Herr werden wollen. Sie basiert auf der eindeutigen Identifizierung von Teilchen (tagging) mittels spezieller Eichtransformationen. Die Forscher können mit dieser theoretischen Erweiterung, die die Dynamik des Systems nicht weiter stört, gewissermaßen Quanten zählen. Sie betreiben Quantenstatistik und erhalten als Ergebnis eine Erzeugende Funktion, die sich als Wahrscheinlichkeitsverteilung deuten lässt.
In drei Beispielen erläuterten die Forscher ihren Ansatz für verschiedene physikalische Szenarien. Zunächst zeigten sie, unter welchen Umständen sich die Eigenschaften eines Teilchenstroms als diskreter Transport einzelner Teilchen von einem Gebiet in ein zweites auffassen lassen. Der Transport von Elektronen in Nanostrukturen unterliegt beispielsweise starken Schwankungen, die intrinsische Ursachen haben, oder aus der Kopplung an die Umgebung herrühren können. Um die Quantennatur dieser Schwankungen zu verstehen, und eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ladungen, die durch das System wandern zu erhalten, wendeten Rammer und Shelankov eine Eichtransformation auf die Vielteilchen-Wellenfunktion an. Diese ließ sich als quantenmechanische „Raumladungprojektion“ auffassen.
Im zweiten Beispiel betrachteten die Forscher einen Tunnelkontakt, der an ein quantenmechanisches Zwei-Niveau-System gekoppelt war. Vergleichbare Kopplungen sind in Nano-Bauteilen allgegenwärtig. Das System diente den Forschern daher als grundlegendes Modell. Sie konnten zeigen, dass die von ihnen entwickelte Untersuchungsmethode der „Ladungsprojektion“ (charge projection) mittels einer Eichfunktion, in diesem System aus der Zahl der getunnelten Ladungen Rückschlüsse auf die Eigenschaften eines an den Tunnelkontakt gekoppelten Quantensystems zulässt.
Schließlich untersuchten Rammer und Shelankov in einem dritten Beispiel die Interferenz zweier Bose-Einstein-Kondensate. Dazu definierten sie räumliche Zellen, deren Teilchengehalt sie wieder mittels einer Eichtransformation abzählten. Sie konnten so die Ergebnisse von Experimenten zur Überlappung zweier quantenmechanisch zunächst unabhängiger Bose-Einstein-Kondensate reproduzieren: Im Gegensatz zum Doppelspalt-Experiment sieht man bei der Mischung zweier Bose-Einstein-Kondensate schon bei einzelnen Schnappschüssen der Dichteverteilung Interferenzmuster. Deren Phase ist jedoch zufällig und von Schnappschuss zu Schnappschuss verschieden.
Die Forscher glauben, dass dieser Ansatz ein effizientes Werkzeug für detaillierte Analysen interferierender Materiewellen darstellt und neue Einblicke in dieses grundlegende physikalische Problem zulässt.
Philipp Hummel