Wie Prozesse im Erdmantel Kontinente wandern lassen
Neues, geodynamisches Modell verfeinert Theorie der Plattentektonik und soll seltene Erdbeben erklären helfen.
Vor 100 Jahren revolutionierte der deutsche Polarforscher Alfred Wegener mit seiner Idee zur Verschiebung der Kontinente das Wissen über die Erde. Zwar setzte sich die Theorie der Plattentektonik erst nach seinem Tod allgemein durch, doch kann sie heute einen Großteil der Erdbeben und die Genese von Gebirgen oder Tiefseegräben qualitativ erklären. Einige Detailfragen – etwa zu den unterschiedlichen Driftgeschwindigkeiten der Kontinente oder seltenen Erdbeben inmitten eigentlich stabiler Erdplatten – bleiben aber bis heute Gegenstand kontroverser Diskussionen. Diese Wissenslücke können nun amerikanische Geophysiker mit ihrem komplexen Modell der globalen Geodynamik zumindest teilweise stopfen.
Abb.: Die Simulation der geodynamischen Mechanismen zeigt die Ursache für das starke Beben 2010 auf Haiti (rechts unten) und für seltene Beben weit von Plattengrenzen entfernt in den US-Bundesstaaten Virginia und Oklahoma. (Bild: AAAS, Science / pro-physik.de)
„Wir fanden heraus, dass die Plattentektonik ein integriertes System darstellt, das von Dichteunterschieden von der Erdoberfläche bis hinunter zur Kern-Mantel-Grenze angetrieben wird", sagt Attreyee Ghosh vom Geosciences Department der Stony Brook University. Daher simulierten er und William Holt am Rechner ein Erdmodell, das Schwankungen der Viskosität des flüssigen Gesteinsmaterials bis in 200 Kilometer Tiefe berücksichtigte. Die umwälzende Dynamik der Konvektionszellen im Erdmantel, in denen ständig leichteres Material aufsteigt und schwereres absinkt, koppelten sie mit der jeweiligen Topografie und dem Aufbau der oberen festen Erdkruste, einem Teil der Lithosphäre.
Dieser Ansatz zeigte ihnen, wie die gigantischen Umwälzungen im Erdmantel sowohl die Bewegung der Platten unterstützen, aber an anderen Stellen auch abbremsen können. Auch die an der Erdoberfläche sichtbare Landschaftsform mit Gebirgen, Tälern und Seen und die Mächtigkeit der Erdkruste beeinflusst in ihrem Modell die Kopplung der starren Lithosphäre mit der zähflüssigen Asthenosphäre im oberen Erdmantel. Auf der Basis dieser Annahmen berechneten Ghosh und Holt das Driftverhalten der Erdplatten und die Spannungen, die sich entlang der Grenzen und auch inmitten der Platten aufbauen können.
Ihre Simulationen verglichen die beiden Forscher darauf mit Datensätzen des GPS-Systems, die die Bewegung der Kontinente beschreiben, und fanden rund um den Globus eine verblüffende Übereinstimmung. Auch dem Vergleich mit der Weltkarte der Gesteinsspannungen, der World Stress Map, hielten die simulierten Spannungsdaten weitestgehend stand. Selbst selten auftretende Erdbeben weit entfernt von der Plattenrändern wie beispielsweise in den US-Staaten Virginia und Oklahoma konnte das Computermodell mit sich stetig aufbauenden Spannungen in Zusammenhang bringen.
So gut dieses neue geodynamische Modell die Messungen der Kontinentaldrift nachvollziehen kann, stößt es dennoch an seine Grenzen. So kann es beispielsweise nicht das exakte Verhalten von Subduktionszonen simulieren, in denen eine schwere, ozeanische unter eine leichtere, kontinentale Kruste abtaucht. Dennoch bietet es eine viel versprechende Grundlage, um in weiteren Schritten auch regional mit einer höheren Auflösung geodymanische Prozesse besser verstehen zu können.
Jan Oliver Löfken
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Weiterführende Literatur
OD