Wie Quantensysteme zur Ruhe kommen
Interne Wechselwirkungen und Verschränkungen sorgen für Besonderheiten beim Erreichen von Gleichgewichtszuständen.
In der klassischen Physik sind die Dinge wohlgeordnet. Nicht nur lassen sich Messgrößen wie Ort und Impuls eines Objekts gleichzeitig bestimmen, sondern auch die Zeitentwicklung einer Vielzahl von Teilchen ist gut verstanden. Nach den Hauptsätzen der Thermodynamik kann die Entropie eines Systems nie abnehmen. Als Maß für die Unordnung eines Systems kann sie nur zunehmen oder, wenn schließlich ein Gleichgewichtszustand erreicht ist, konstant bleiben. In der Quantenwelt mitsamt ihren Quantenfluktuationen und Verschränkungszuständen sieht das Ganze jedoch deutlich komplizierter aus, weshalb eine befriedigende Theorie zur Entstehung von Gleichgewichtszuständen im Quantenbereich noch aussteht. Denn die quantentypischen Eigenheiten lassen sich nicht einfach in den bekannten klassisch-thermodynamischen Formalismus integrieren.
In der Welt der klassischen Physik zeichnet die Entropie einen Zeitpfeil aus, der durch die stetige Zunahme der Unordnung eines sich selbst überlassenen Systems gekennzeichnet ist. Obwohl die Bewegungsgleichungen selbst zeitsymmetrisch sind, folgt aus der Wechselwirkung vieler Teilchen mit statistischer Notwendigkeit, dass sich ein solches System zu einem Zustand höherer Unordnung und Entropie bewegt. Im Quantenkosmos ist die gesamte Dynamik, die mit diesen Fragen zusammenhängt, aber bislang nicht gut verstanden. Zwei Forscherteams haben deshalb nun auf verschiedene Weise die Dynamik solcher Quantensysteme untersucht, um neues Licht auf das Verständnis des Zeitpfeils im Mikrokosmos zu werfen und um die fundamentalen Fragen zur Herausbildung quantentypischer Gleichgewichtszustände zumindest ein Stück weit zu beantworten.
Krzysztof Ptaszyński von der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Massimiliano Esposito von der Universität Luxemburg untersuchten ein spezielles Problem, bei dem ein vergleichsweise kleines Quantensystem an ein deutlich größere externes Wärmereservoir gekoppelt war. Es handelte sich also um ein typisches offenes Quantensystem. Wie die Forscher herausfanden, lässt sich hier die Zunahme der Entropie in zwei fundamental unterschiedliche Mechanismen aufteilen.
Einerseits stieg sie, weil sich zwischen dem Quantensystem und dem Wärmebad Korrelationen herausbilden. Das entspricht in etwa der Quantenvariante des klassischen Analogons. Es tritt andererseits aber auch ein weiterer Faktor auf, der davon abhängt, wie stark das Wärmebad durch die Wechselwirkung mit dem Quantensystem selbst aus dem Gleichgewichtszustand gerät. Interessanterweise oszilliert die Stärke dieses Beitrags zur Entropiezunahme mit der Zeit, nimmt aber meistens im Lauf der Zeit nicht zu. Daraus folgt eine wichtige Beobachtung: Wenn man bestimmt, wie stark sich das Wärmebad selbst aus seinem thermischen Gleichgewicht entfernt hat, lässt sich daraus auch ermitteln, wie weit sich das Quantensystem ungefähr noch von seinem Gleichgewichtszustand befindet. Wie die Forscher berichten, ist aber noch nicht ganz klar, inwieweit sich diese Ergebnisse extrapolieren lassen, wenn man bestimmte Annahmen ihres theoretischen Modells verändert. So könnten etwa zusätzliche Freiheitsgrade oder periodische Unterbrechungen beim Wärmefluss die Angelegenheit nochmals komplizierter erscheinen lassen.
Das zweite Forscherteam, Henrik Wilming von der ETH Zürich und Kollegen von der FU Berlin, untersuchte ein abgeschlossenes Quantensystem, wobei der dazugehörige Hamiltonoperator einige besondere Symmetrien aufwies. Die Forscher wollten insbesondere analysieren, inwieweit eine gängige Annahme bisheriger Theorien notwendig war. So ging man bislang davon aus, dass sich in einem isolierten Quantensystem nur dann ein Gleichgewicht herausbilden kann, wenn der Ausgangszustand eine Mischung energetischer Zustände beinhaltet. Nach den Berechnungen des Teams reichen jedoch wesentlich schwächere Bedingungen aus. Stattdessen ist es schon hinreichend, wenn bestimmte Quantenkorrelationen vorliegen, damit ein solches System hin zu einem Gleichgewichtszustand relaxiert.
Aus diesen Betrachtungen folgt, dass eine wesentlich größere Anzahl von Quantensystemen in der Lage ist, sich hin zu einem Gleichgewichtszustand zu entwickeln, als man bislang gedacht hatte. Es wird spannend sein zu sehen, wie gut sich diese theoretischen Vorhersagen auch experimentell bestätigen lassen werden. Erste Versuche hierzu sollen schon bald stattfinden.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen:
K. Ptaszyński & M. Esposito: Entropy Production in Open Systems: The Predominant Role of Intraenvironment Correlations, Phys. Rev. Lett. 123, 200603 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.123.200603
H. Wilming et al.: Entanglement-Ergodic Quantum Systems Equilibrate Exponentially Well, Phys. Rev. Lett. 123, 200604 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.123.200604 - Institute of Molecular Physics, Polish Academy of Sciences, Poznań, Polen
- Quantum Information Theory (R. Renner), Eidgenössisch-Technische Hochschule Zürich, Schweiz
RK