Wie scharf schwingt das Licht?
Schwache Messungen erlauben es, den vollen quantenmechanischen Polarisationszustand zu bestimmen.
Die quantenmechanische Wellenfunktion gibt den Zustand eines Quantensystems wieder. Sie enthält alle Informationen über mögliche Messergebnisse an diesem System. Eine Besonderheit der Quantenphysik im Vergleich zur klassischen Physik ist jedoch, dass in ihr der Einfluss einer Messung auf das untersuchte System nicht beliebig zu verringern ist. Es ist geradezu eine definierende Eigenschaft der Quantenphysik, dass sich die Endlichkeit des Planckschen Wirkungsquantum in der Weise bemerkbar macht, dass jede Messung den zu bestimmenden Quantenzustand verändert. Dadurch kann immer nur eine von mehreren konjugierten Observablen scharf gemessen werden, die anderen werden unscharf.
Abb.: Ein Strahlteiler und zwei Verzögerungsplatten präparieren die Polarisationszustände. Ein schräger Quarzkristall vollführt zunächst eine schwache Messung, dann folgt die starke Messung in diagonaler Ausrichtung.
(Bild: J. Salvail et al. / Nature)
Die Heisenbergsche Unschärferelation beschreibt die minimale Varianz in den Verteilungen konjugierter Observablen. Während Heisenberg noch davon ausging, dass die in seinen Relationen beschriebene Unschärfe nicht nur in der Natur der Quantenobjekte liegt, sondern auch den bei Messungen hervorgerufenen stochastischen Zustandsänderungen entspricht, hat sich mittlerweile die Sicht auf quantenmechanische Messungen verändert. Der japanische Physiker Masanao Ozawa konnte eine verallgemeinerte Version der Unschärferelation aufstellen, derzufolge die durch Messprozesse hervorgerufene Unschärfe durchaus kleiner bleiben kann als von der Heisenbergschen Formulierung vorgesehen.
Aber auch von der experimentellen Seite her ist mittlerweile mehr Schärfe in den Mikrokosmos gekommen. Mit Hilfe der Quantentomographie oder sogenannter schwacher Messungen können Quantenoptiker Wellenfunktionen rekonstruieren. Bei solchen schwachen Messungen koppelt das Messgerät nur äußerst schwach an das Quantensystem, so dass der Zustand der Wellenfunktion nicht gestört wird. Er kollabiert deshalb durch eine solche Messung nicht. Bei den üblichen starken Messungen hingegen geht die Wellenfunktion nach der Messung in den Eigenzustand der gemessenen Observablen über, wodurch die konjugierte Observable unscharf wird. Das Prinzip schwacher Messungen ist zwar seit 25 Jahren bekannt, aber erst in den letzten Jahren häufen sich die experimentellen Anwendungen. Durch eine Kombination schwacher und starker Messungen ist es kanadischen Physiker nun gelungen, den Polarisationszustand von Licht vollständig zu bestimmen.
Hierzu benutzten sie das Licht eines Helium-Neon-Lasers, das sie mit Hilfe eines speziellen Strahlteilers polarisierten. Das Licht besaß eine ebene Wellenfront mit Gauß-Mode. Zunächst führten sie dann eine schwache Messung durch, indem sie das Licht durch einen dünnen Quarzkristall schickten, der schräg zur Lichtachse angebracht war. Dadurch verschob er den horizontal und vertikal polarisierten Anteil des Lichtes ganz leicht. Danach vollführten sie eine starke Messung in diagonaler Richtung. Hierbei teilten sich die beiden Anteile des Lichts eindeutig auf. Diese nahmen die Forscher mit einer CCD-Kamera auf.
Abb.: Bei einer schwachen Messung werden die horizontal und die vertikal polarisierte Komponente von Licht nur leicht separiert, so dass ein Überlapp zwischen beiden Wellenfunktionen bestehen bleibt. Bei einer starken Messung wären sie klar unterschieden. (Bild: J. Leach)
Da durch den experimentellen Aufbau die Polarisationsinformation mit den räumlichen Koordinaten gekoppelt war, konnten die Forscher einfach aus den räumlichen Daten auf den ursprünglichen Polarisationszustand schließen. Schwache Messungen enthalten aber nur sehr wenig Informationen, weshalb sie an einer Vielzahl von Objekten wiederholt werden müssen. Die Bildung des Mittelwertes über diese Messungen lieferte dann das gesuchte Messergebnis. Die Forscher überprüften die Güte ihres Verfahrens, indem sie die ursprüngliche Wellenfunktion variierten. Dazu setzten sie Verzögerungsplättchen mit halber oder viertel Wellenlänge in den Strahl. Auch in diesem Fall gelang es ihnen, die Wellenfunktion vollständig zu charakterisieren.
„Der Schlüssel zur Charakterisierung eines Quantensystems liegt darin, Informationen über konjugierte Observable zu sammeln“, sagt Mitautor Jonathan Leach von der Heriot-Watt Universität. „Der Grund, warum man es für unmöglich hielt, zwei konjugierte Größen zu messen, liegt darin, dass man durch die Messung der ersten die Wellenfunktion zerstört, bevor die andere gemessen werden kann.“ Dies lässt sich nur über schwache Messungen umgehen.
Im Gegensatz zur Quantentomographie, bei der die Wellenfunktion auf indirektem Weg rekonstruiert wird, erlaubt die neue Methode eine direkte Bestimmung. Sie ist nicht nur auf reine Zustände beschränkt, sondern eignet sich auch für gemischte Zustände, wie die Forscher anhand eines zweiten Experimentes nachweisen konnten. Sie mussten hierfür den Versuchsaufbau nur leicht variieren und einen Kalzit-Kristall in den Strahlgang einführen.
Bei diesem Experiment maßen sie die Diracsche Quasi-Wahrscheinlichkeitsverteilung der Lichtstrahlen. Diese Verteilung ist eine Phasenraumdarstellung und besitzt denselben Informationsgehalt wie die Dichtematrix. Die zusätzliche räumliche Aufteilung des Strahls durch den Kalzit-Kristall führte zu einem weiteren räumlichen Freiheitsgrad in den Messergebnissen, den die Forscher nutzten, um das Gemisch aus Polarisationszuständen zu beschreiben.
Damit konnten sie eine allgemeine Methode angeben, den Polarisationszustand von Licht vollständig zu rekonstruieren. Wohlgemerkt ist dies aber keine Widerlegung der Unschärferelation nach Heisenberg und Ozawa, da die Forscher nur über große Ensembles gleich präparierter Quantenzustände Aussagen machen können. Die Forscher halten es aber für möglich, ihre Experimente statt mit einem intensiven Laserstrahl auch mit einzelnen Photonen durchführen zu können. Damit wäre man der Charakterisierung einzelner Quantenbits deutlich näher gekommen. Denn interessanterweise erlaubt bereits die schwache Messung einer einzigen Observablen die Bestimmung beider komplexer Koeffizienten eines Quantenbits.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
Weitere Beiträge
DE