Wie Spingläser sich bilden
Geometrische Grundlagen des Phasenübergangs in ungeordneten Magneten untersucht.
Magnetische Systeme sind aus dem Alltag und vielen technischen Anwendungsfeldern nicht mehr wegzudenken. Die bekannte Anziehungskraft ist ein Resultat der gleichförmigen, geordneten magnetischen Ausrichtung der enthaltenen Atome. Solche Ordnungen sind jedoch nur unterhalb einer materialspezifischen Übergangstemperatur vorhanden, ähnlich wie flüssiges Wasser erst bei einer Temperatur unter null Grad zu Wasserkristallen gefriert. Wie aber läuft dieser Ordnungsprozess ab? In einer aktuellen Studie bringen Martin Weigel, Inhaber der Professur Simulation naturwissenschaftlicher Prozesse an der Technischen Universität Chemnitz, und sein Doktorand Lambert Münster nun Licht ins Dunkel, indem sie das Verhalten für frustrierte Magnete mit Verunreinigungen, Spingläser, erklären. Der Artikel wurde von der Zeitschrift für seine besondere Bedeutung für das Verständnis der Physik der Spingläser gewürdigt und mit der Empfehlung der Herausgeber ausgezeichnet.
Wie breitet sich Ordnung in einem verunreinigten Magneten aus? Indem ein dünnes Netzwerk von zusammenhängenden magnetischen Momenten das gesamte Gitter überspannt. In einfachen magnetischen Systemen ohne Verunreinigungen, wie dem Kühlschrankmagneten, ist schon lange bekannt, dass das Einsetzen von langreichweitiger Ordnung beim Phasenübergang, also die regelmäßige Ausrichtung der magnetischen Momente beim Herunterkühlen des Systems, mit einem Perkolationsphänomen zusammenhängt. Sobald das Netzwerk von gleich ausgerichteten winzigen Magneten zum ersten Mal das gesamte Gitter durchdringt, ist der geordnete Zustand erreicht.
Wie die Chemnitzer Forscher berichten, zeigt sich für Spingläser ein anderes Verhalten: Hier bilden sich zunächst zwei etwa gleichgroße solche Netzwerke, die parallel existieren und das Gitter überspannen. Dieser Prozess reicht aber noch nicht aus, um die Spinglasordnung zu erzeugen. Erst bei niedrigeren Temperaturen beginnt eines der beiden Netzwerke zu wachsen und das andere zu schrumpfen. Den Prozess kann man sich wie beim Verschmelzen von Seifenblasen vorstellen, bei denen sich die großen Blasen die kleinen gewissermaßen „einverleiben“. Diese Dichteungleichheit markiert dann das Einsetzen der Spinglasordnung.
Durch ausgedehnte Computersimulationen untersuchten die beiden Chemnitzer Forscher das Verhalten einer ganzen Reihe möglicher Netzwerkdefinitionen beim Herunterkühlen eines Spinglassystems in einer dünnen Schicht. Dabei rücken die Temperaturen, an denen die Netzwerke das System zuerst überspannen („perkolieren“) mit zunehmender Systemgröße immer weiter nach unten – ein Anzeichen für das Eintreten in die Spinglasphase, die für dieses System erst bei verschwindender Temperatur auftritt.
In geplanten Folgestudien wollen Weigel und sein Team analoge Untersuchungen an Systemen in drei Dimensionen durchführen und die Nutzbarkeit der Erkenntnisse für die Konstruktion besonders effizienter Algorithmen für die Simulation von Spingläsern eruieren. Die Bedeutung dieser Arbeit ergibt sich auch aus der Vielzahl von Anwendungen von Spinglasmodellen, die von magnetischen Systemen über Modelle sozialer Interaktion bis zur Theorie neuronaler Netze in Anwendungen der künstlichen Intelligenz reichen.
TU Chemnitz / DE