20.08.2024

Wie Strömungen Mikroplastik verteilen

Mikroskopische Details beeinflussen die komplexe Dynamik.

Mikroplastik ist ein weltweites Problem: Es gelangt in Flüsse und Meere, es reichert sich in Lebewesen an und stört ganze Ökosysteme. Wie sich winzige Partikel in einer Strömung verhalten, ist wissen­schaftlich schwer zu beschreiben – besonders bei dünnen Fasern, die mehr als die Hälfte der Mikro­plastik-Konta­mination in marinen Lebewesen ausmachen. In turbu­lenten Strömungen lässt sich ihre Bewegung kaum vorher­sagen. An der TU Wien gelang es nun in Experimenten in einem Strömungskanal mit Hilfe von High-Speed-Kameras, das Verhalten solcher Mikro­plastik-Fasern genau zu charak­terisieren. Das soll nun die Grundlage für neue Modelle werden, mit denen man die Ausbreitung von Mikro­plastik global vorhersagen möchte.


Abb.: Vlad Giurgiu und Alfredo Soldati untersuchen an der TU Wien die Dynamik...
Abb.: Vlad Giurgiu und Alfredo Soldati untersuchen an der TU Wien die Dynamik von Mikroplastik-Partikeln.
Quelle: D. Rognean

„Wie sich Mikroplastik-Teilchen bewegen, verteilen und ablagern, hängt von ihrer Rotations­dynamik ab“, erklärt Vlad Giurgiu, Doktorand im Team von Alfredo Soldati an der TU Wien. „Bei annährend kugelförmigen Teilchen ist das leicht zu analysieren. Aber oft hat man es mit lang­gezogenen, gekrümmten Mikrofasern zu tun.“ In diesem Fall kommt es zu komplizierten Effekten: Die Fasern können in allen drei Raum­richtungen rotieren, diese Rotation beeinflusst auch ihre Wechsel­wirkung mit der umgebenden Strömung.

„In einer perfekt gleichmäßigen, laminaren Strömung könnten wir das Verhalten von einfachen Objekten, zum Beispiel von Kugeln oder Ellipsoiden, theoretisch vorher­sagen“, sagt Marco De Paoli. „Aber in der echten Welt hat man es weder mit perfekt laminaren Strömungen zu tun, noch mit perfekt symme­trischen Partikeln. Stattdessen treten Turbu­lenzen auf, und die Teilchen haben komplexe geometrische Formen, die den Transport maßgeblich beeinflussen und eine theoretische Vorhersage unmöglich machen.“ 

Was dabei genau passiert, ist schwer zu berechnen. „Es gab dazu schon verschiedene Computer­simulationen, aber sie beruhen auf verein­fachten Modellen, um das Verhalten der Fasern zu beschreiben“, sagt Vlad Giurgiu. „Man braucht daher experi­mentelle Daten, mit denen man die theoretischen Modelle vergleichen und verbessern kann.“ Genau diese Daten lassen sich am Strömungskanal der TU Wien messen. Auf einer Weglänge von achteinhalb Metern können dort kontrollierte Strömungen erzeugt werden. Kleine, gekrümmte Mikro­plastik-Fasern mit einer Länge von rund 1,2 Millimetern wurden in das Wasser eingebracht und einer turbulenten Strömung ausgesetzt.

Knapp über der Wasser­oberfläche installierte das Team sechs Spezialkameras: Mit einer Frequenz von 2000 Bildern pro Sekunde wurden hochauflösende Aufnahmen der Mikro­plastik-Teilchen in der Strömung gesammelt. Aus den Bildern lässt sich dann die drei­dimensionale Position und Ausrichtung jedes einzelnen Mikro­plastik-Teilchens errechnen. „Theoretisch würde das auch mit nur zwei Kameras funktionieren, aber mit sechs Kameras werden die Daten noch verlässlicher und genauer, besonders wenn die Konzen­tration der Teilchen hoch ist“, erklärt Giuseppe Carlo Alp Caridi vom Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung.

Auf diese Weise kann man eine große Datenmenge über das Bewegungs­verhalten hundert­tausender Mikroplastik-Teilchen extrahieren und anschließen statistisch untersuchen. „So zeigte sich zum Beispiel, dass die Fasern in der Nähe einer Wand ein ganz anderes Verhalten zeigen als in der Mitte des Flüssigkeits­stroms, weit entfernt von den Wänden“, erklärt Vlad Giurgiu. Damit steht nun erstmals zuverlässiges Datenmaterial zur Verfügung, um theoretische Rechen­modelle über das Verhalten solcher Teilchen zu validieren. Damit soll sich in Zukunft auch die Ausbreitung von Mikro­plastik-Fasern auf großer Skala vorhersehen lassen.

„Stellen Sie sich vor, sie haben ein Schiff, das Mikroplastik aus dem Meerwasser filtern kann“, sagt Marco De Paoli. „Dann müssen Sie wissen, wo sie dieses Schiff am besten hinschicken – denn der Ozean ist groß. Wenn man das Verhalten der Partikel genau versteht, dann lässt sich die Antwort mit großer Zuver­lässigkeit berechnen.“

TU Wien / JOL

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