30.06.2017

Wie weite, massearme Doppelsterne entstehen

ALMA-Beobachtungen deuten auf turbulente Fragmentatíon als entscheidenden Prozess.

Die Entstehung von Doppelsternen, deren Komponenten lediglich Massen von einem Zehntel oder weniger Sonnenmassen besitzen und weiter als 500 Astronomische Einheiten voneinander entfernt sind, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Astronomen diskutieren zwei Haupt­szenarien für die Doppelstern­entstehung: Bei der turbulenten Fragmentation lösen Turbulenzen im Kernbereich einer Molekül­wolke den Kollaps einzelner Bereiche aus. Aus jedem dieser Fragmente bildet sich dann ein einzelner Sterne. Sind die Fragmente nicht zu weit voneinander entfernt, so können die entstehenden Sterne ein gravitativ gebundenes Doppel- oder Mehrfach­system bilden. Im zweiten Szenario, der Scheiben-Fragmentation, bilden sich in der rotierenden Materie­scheibe um einen entstehenden Stern Verdichtungen, und diese Scheiben­fragmente kollabieren zu einem oder mehreren weiteren Sternen.

Abb.: Künstlerische Darstellung eines jungen Doppelsterns. Beide Sterne sind von Akkretionsscheiben umgeben, die jedoch unterschiedlich orientiert sind – für Lee und ihre Kollegen ein Indiz für die Entstehung der Sterne durch turbulente Fragmentation. (Bild: R. Hurt, NASA)

Im vergangenen Jahr zeigte eine Durchmusterung der Perseus-Molekülwolke eine bimodale Verteilung der Abstände junger Doppelsterne, wobei die maximalen Häufigkeiten bei 75 und 3000 Astronomischen Einheiten liegen. Die naheliegende Interpretation: Beide Szenarien tragen zur Entstehung von Doppel­sternen bei, wobei die turbulente Fragmentation weite Paare, die Scheiben-Fragmentation enge Doppelsterne produziert. Doch dynamische Prozesse, etwa Begegnungen zwischen drei Sternen, radiale Migrationen durch Wechsel­wirkung mit der Gas- und Staubscheibe, sowie Gezeiten­kräfte des lokalen Stern­haufens können ursprünglich enge Paare in weite Doppel­sterne verwandeln.

Insbesondere für massearme Sterne könnten solche Einflüsse von signifikanter Bedeutung sein – und damit gab es auf die Frage nach der Entstehung weiter, masse­armer Doppelsterne bislang keine endgültige Antwort. Um zwischen den beiden Szenarien zu unterscheiden, müsste man ein solches Sternenpaar noch in seiner Entstehungs­phase aufspüren, sagten sich Jeong-Eun Lee von der Kyung-Hee-Universität in Korea und ihre Kollegen. Als geeigneten Kandidaten identifizierte das Team den 460 Lichtjahre entfernten weiten Doppelstern IRAS 04191+1523 in einer Stern­entstehungs­region im Sternbild Stier. Und als geeignetes Instrument, um dieses Paar unter die Lupe zu nehmen, bewährte sich die aus 66 Antennen bestehende Radio-Teleskop­anlage ALMA in Chile: Das Atacama Large Milli­meter/Submilli­meter Array beobachtet Strahlung in einem Wellenlängenbereich, die den Staub in Stern­entstehungs­regionen durchdringt und somit insbesondere für die Untersuchung der Entstehung von Sternen und Planeten geeignet ist.

Die im Januar 2015 und im September 2016 durchgeführten ALMA-Beobachtungen zeigen, dass beide Sterne noch von einer rotierenden Scheibe aus Gas und Staub umgeben sind. Aus der Rotation der Scheiben konnten die Forscher die Massen der Sterne zu 0,14 und 0,12 Sonnenmassen bestimmen. Das Alter der Sterne schätzen Lee und ihre Kollegen auf lediglich etwa 100.000 Jahre. Bei einer Umlaufzeit des Doppelsterns von 50.000 Jahren ist das System damit zu jung, um durch dynamische Effekte so weit auseinander gewandert zu sein. Zudem weisen die beiden Akkretions­scheiben der Sterne in ganz unterschiedliche Richtungen – auch das, so Lee und seine Kollegen, sei ein sicheres Indiz dafür, dass die beiden Sterne durch die turbulente Fragmentation bereits als weites Paar entstanden sind. Nun gilt es, weitere Doppel­sterne dieses Typs in der Entstehungs­phase aufzuspüren – nur so können die Forscher sichergehen, dass die turbulente Fragmentation tatsächlich der Hauptkanal für die Produktion weiter, massearmer Doppel­sterne ist.

Rainer Kayser

DE

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