Windkraft stellt Regelleistung
Forschungsprojekt „GridLoads“ zeigt, wie Windräder mechanischen Belastungen standhalten.
Mit dem Abschalten konventioneller Kraftwerke geht die Massenträgheit der Synchrongeneratoren verloren, die das Stromnetz stabilisieren. Hier könnten Windenergieanlagen einspringen. Doch halten sie den dadurch entstehenden mechanischen Belastungen stand? Das erfolgreich abgeschlossene Forschungsprojekt „GridLoads“ vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE und des Unternehmens Mesh Engineering zeigt jetzt deutlich: Die Anlagen kommen damit grundsätzlich gut zurecht – vorausgesetzt, die Regelungsmodule der Anlagen werden zuvor für die neue Aufgabe gerüstet. Um die auftretenden elektromechanischen Schwingungsmoden zu analysieren, haben die Forscher komplexe Simulationen durchgeführt.
„Weniger konventionelle Kraftwerke im Netz bedeuten weniger Trägheit im System – die Versorgungssicherheit ist gefährdet, wenn dem nicht begegnet wird“, sagt Projektleiter Boris Fischer. „Auf dem Papier eignet sich kinetische Energie in den Rotoren von Windenergieanlagen hervorragend, den Verlust an Massenträgheit auszugleichen. Unser Forschungsprojekt zeigt ganz deutlich, dass dies auch in der Praxis möglich ist – selbst Momentanreserve können die Anlagen bereitstellen. Damit haben wir Pionierarbeit für die künftige Sicherung der Netzstabilität geleistet“, sagt Fischer.
Mit der Bereitstellung von Systemdienstleistungen wie der Momentanreserve ist ein Paradigmenwechsel bei der Betriebsweise der Windenergieanlagen verbunden: Sind Netzzustand und Anlagenbetrieb bislang weitgehend entkoppelt, kommt es hierbei zu beständiger Interaktion. Dabei treten komplexe Wechselwirkungen zwischen Netz und Anlage auf. In der Folge verändern sich auch die Anforderungen an die Generatorregelung der Anlagen. Um zum Beispiel bei Bedarf kurzfristig die Frequenz zu stützen, muss die Wirkleistung der Windenergieanlagen mit hohen Gradienten verändert werden. „Dabei können Schwingungen entstehen, die zu erhöhten mechanischen Belastungen führen“, erläutert Fischer. Der Triebstrang mit Rotorblättern, Wellen, Getriebe und Generator ist davon genauso betroffen wie der Turm.
Zusammen mit dem Partner Mesh Engineering aus Stuttgart hat das Fraunhofer IEE aus Kassel im Forschungsprojekt „GridLoads“ untersucht, wie sich netzstützende Regelungsverfahren auf Triebstränge und Türme von Windenergieanlagen auswirken. Die Wissenschaftler haben sich dabei auf die Momentanreserve konzentriert, weil deren Bereitstellung die mechanische Struktur der Anlagen in besonderem Maße belasten kann. Um die Auswirkungen der mit dem Abruf von Momentanreserve entstehenden neuartigen Schwingungsphänomene zu ermitteln, haben die Experten komplexe Simulationsverfahren angewandt. Die besondere Herausforderung lag hier darin, zwei verschiedene Welten – die Anlagen- und die Netzseite – zusammen zu bringen. So haben die Forscher auf mechanischer Seite hochauflösende Mehrkörpermodelle konfiguriert und diese mit transienten Netzwerk-Simulationen auf elektrischer Seite gekoppelt. Auf diese Weise konnten sie die elektromechanischen Schwingungsmoden einer Referenzanlage exakt identifizieren.
„Unsere Untersuchung zeigt, dass moderate Abrufe netzstabilisierender Leistungen grundsätzlich keine kritische Belastung der mechanischen Komponenten darstellen“, fasst Fischer zusammen. Auch mit Netzpendelungen oder der Umschaltung von Stufentrafos kommen die Anlagen problemlos zurecht. Die dadurch verursachten Schwingungen sind so gering, dass die Komponenten keinen Schaden nehmen. „Die Minderung der Netzträgheit durch die vermehrte Einspeisung von Windenergieanlagen lässt sich also in den allermeisten Situationen durch die Anlagen selbst ohne Probleme ausgleichen“, betont Fischer. Dies gilt allerdings nur, wenn die Anlagenhersteller ihre Regelungsmodule für die Leistungselektronik zuvor an die neuen Aufgaben angepasst haben. Wie das möglich wird, zeigen die Forscher ebenfalls im Gridloads-Projekt.
„Unsere Regler bieten einen optimalen Kompromiss zwischen den mechanischen Anforderungen auf der Anlagen- und den elektrischen Anforderungen auf der Netzseite“, sagt Fischer. Die Forscher konnten hier von ihrer umfassenden Erfahrung auf dem Feld der Generator- und Umrichterregelung profitieren. Lediglich bei einigen seltenen, speziellen Netzfehlern kann es zu einer übermäßigen mechanischen Belastung von Triebstrang und Turm kommen, zeigt das Forschungsprojekt. Dazu zählen das Auftreten von großen Leistungsdefiziten oder -überschüssen etwa durch den Ausfall eines Kraftwerks oder durch die fehlerbedingte, spontane Bildung eines Inselnetzes. In diesen Fällen müssen Windenergieanlagen schlagartig ausreichend Kompensationsleistung bereitstellen. Das tun sie, indem sie sehr schnell das Generatormoment erhöhen, was einen Stoß auf den Triebstrang zur Folge hat – eine potenziell kritische Situation, wenn die Anlage in Volllast betrieben wird. „Solchen Extremsituationen kann man auch mit der intelligentesten Regelung nicht beikommen“, sagt Fischer.
Doch es gibt mehrere andere Wege, dieser außergewöhnlichen Belastung zu begegnen. So wäre es zum Beispiel möglich, mit einer Überdimensionierung der elektrischen Komponenten sowie des mechanischen Triebstrangs die Überlastfähigkeit zu erweitern. Ebenso könnte man zusätzliche Komponenten wie Batterien oder auch Superkondensatoren als Kurzzeitspeicher installieren. Sie sind in der Lage, die benötigten hohen Leistungen innerhalb kürzester Zeit bereit zu stellen. Eine andere Alternative ist, die Leistungsreserven der Anlagen zu nutzen – schließlich laufen sie nur zehn bis zwanzig Prozent ihrer Lebensdauer mit voller Nennleistung. Hinzu kommt, dass in Starkwindzeiten viele Anlagen gedrosselt werden. „Welche Vor- und Nachteile diese Optionen in wirtschaftlicher Hinsicht haben, ist noch zu diskutieren“, sagt Fischer.
Fh.-IEE / JOL