11.10.2010

Wir sind mit Augenmaß vorgegangen

Interview mit dem Generaldirektor des CERN, Rolf-Dieter Heuer, über Budgetkürzungen und deren Auswirkungen auf das Forschungsprogramm.

Angesichts der Wirtschaftskrise, insbesondere in südeuropäischen Ländern, bleibt auch die Großforschung nicht vor Finanzschwierigkeiten verschont. So muss das europäische Kernforschungszentrum CERN in Genf in den nächsten fünf Jahren mit rund 260 Millionen Euro weniger für die Forschung auskommen. Mit dem Generaldirektor des CERN, Rolf-Dieter Heuer, sprach Alexander Pawlak vom Physik Journal über die nötigen Weichenstellungen, insbesondere für den Large Hadron Collider (LHC).

Rolf-Dieter Heuer blickt trotz der finanziellen Herausforderungen für das CERN optimistisch in die Zukunft.
(Bild: M. Brice/CERN)

Wie kommt es zu den hohen Sparvorgaben bei der CERN-Finanzierung?

Zum einen haben wir mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der europäischen Länder zu kämpfen. Um das aufzufangen, werden die Beiträge der CERN-Staaten für die nächsten fünf Jahre um insgesamt 104 Millionen Euro verringert. Gleichzeitig müssen wir insgesamt 225 Millionen Euro in die Pensionskasse stecken, die 2008 heftig gelitten hat. Das können wir jedoch vorübergehend über Bankkredite auffangen, die natürlich mittelfristig durch Einsparung getilgt werden müssen.

Das bedeutet?

Eigentlich lässt sich ein Projekt wie der LHC nicht mit einem konstanten Budget verwirklichen, denn in bestimmten Phasen übersteigen die Ausgaben die Einnahmen. Um das auszugleichen, muss man Liquidität bei Banken borgen. Die Mitgliedsländer haben nun zugestimmt, dass wir die noch existierenden Restschulden langsamer zurückführen als ursprünglich geplant. Auf diese Weise schaffen wir die finanziellen Spielräume, um das Loch im Pensionsfonds zu stopfen. Insgesamt kommt man dann auf die Summe von 260 Millionen Euro, die uns in den nächsten fünf Jahren fehlen wird. Wenn man bedenkt, dass wir trotz dieser finanziellen Belastung die Finanzierung des wissenschaftlichen Programms sicherstellen, ist uns fast die Quadratur des Kreises gelungen. Die Budgetkürzung wirkt sich somit nur gedämpft auf den wissenschaftlichen Betrieb aus.

Heißt das, dass alle Programme im Wesentlichen zeitlich gestreckt werden?

Ja, der Shutdown im Jahr 2012 ist allerdings davon unabhängig, denn der war schon immer geplant, um den LHC von 7 TeV auf die volle Energie zu bringen. So wie die Maschine jetzt da steht, lässt sie sich nicht bei 14 TeV betreiben. Für die nötigen Verbesserungen brauchen wir rund 15 Monate. Wir hatten allerdings angedacht, alle Vorbeschleuniger wie PS oder SPS in dieser Zeit weiter laufen zu lassen, da an ihnen überall „Fixed Target-Experimente“ messen. Um auch hier Mittel einzusparen, haben wir jetzt beschlossen, im Jahr 2012 alle Beschleuniger stillzulegen.

Was heißt das für die beteiligten Wissenschaftler?

Zum Glück ist das keine Sache von heute auf morgen. Da die Experimentatoren rund anderthalb Jahre im Voraus Bescheid wissen, können sie ihr Programm entsprechend anpassen. In dieser Zeit können sie etwa Daten auswerten oder Verbesserungen an den Detektoren vornehmen. Am stärksten wird es das Opera-Experiment in Gran Sasso treffen, wo wir die Neutrinos hinliefern. Daher versuchen wir in nächster Zeit verstärkt Protonen auf das Target zu schießen, um mehr Neutrinos zu erzeugen.

Müssen Sie auch an der Infrastruktur sparen?

Das wurde schon immer am CERN gemacht. Deswegen sehen manche Gebäude auch so aus, wie sie aussehen. Bei meinem Amts-antritt habe ich gesagt, dass wir aggressiv konsolidieren müssen, und das werden wir auch weiter tun. Für die großen Kollaborationen des LHC wäre beispielsweise ein Hörsaal nötig, der mehr als nur 400 Leute fasst. Daher war ein Mehrzweckgebäude geplant, das auch für öffentliche Veranstaltungen hätte dienen können. Das haben wir nun erst einmal ad acta gelegt. Aber ich habe immer noch die Hoffnung auf Sponsoring von außen.

Betreffen die Kürzungen auch Nachfolgeprojekte?

Damit wir das alles schaffen können, müssen wir auch das Programm für den Linear Collider zeitlich strecken. Aber das ist eine internationale Kollaboration, sodass ich auf mehr Geldmittel von außen hoffen kann, um das Programm wieder zu stärken. Wir kürzen jedoch nicht das Budget, sondern nur seinen Anstieg.

Wie sind die Doktoranden am CERN betroffen?

Das kommt darauf an, wo die jungen Leute experimentieren. Wenn sie am LHC sind, dann ändert sich für sie nichts. Am Flaggschiff wird wenig gestreckt. Den Shutdown brauchen wir, Budgetkrise hin oder her. Immerhin haben wir schon jetzt hervorragende Daten vorzuweisen, die zum Teil bei der ICHEP-Konferenz Ende Juli in Paris präsentiert worden sind. Seither haben wir die integrierte Luminosität um den Faktor 10 gesteigert und damit auch die Daten-menge. Wir haben das Standardmodell bei 7 TeV bestätigt, und es gibt genügend Top-Quark-Kandidaten. Das sind gewissermaßen die ersten „europäischen“, alle anderen waren bisher „amerikanisch“. Das ist alles wunderbar, und damit können die ersten Leute promovieren. Für die Doktoranden an den Fixed-Target-Experimenten ändert sich natürlich mehr, weil man dort ein Jahr nicht zur Datennahme nutzen kann. Aber man kann natürlich das jeweilige Arbeitsthema entsprechend anpassen.

Also gibt es Grund für Optimismus?

Ich denke, dass wir hier mit Augenmaß vorgegangen sind, indem wir gleich mit den Leuten an den entsprechenden Experimenten geredet haben. Ich hoffe wie alle auf eine Erholung der Konjunktur. Wenn der LHC Entdeckungen bringt, wird sicher wieder alles freundlicher aussehen. In der Council-Sitzung haben die Delegierten aus den 20 Mitgliedsländern jedenfalls den Fortschritt am LHC sehr positiv aufgenommen. Das hilft natürlich auch dem Verhandlungsklima zum Budget.

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