15.12.2003

Wirtschaft ohne Emissionen?

Europäische Klimaforscher fordern langfristige Vorgaben für den Übergang zu einer globalen Wirtschaft ohne Emissionen.

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Europäische Klimaforscher fordern langfristige Vorgaben für den Übergang zu einer globalen Wirtschaft ohne Emissionen.

Das Kyoto-Protokoll und die kurzfristigen Ziele zur Reduktion von Emissionen sind wichtige erste Schritte zur Minderung der Klimaerwärmung. Diese müssen jedoch mit einer langfristigen Klimapolitik Hand in Hand gehen. Modellrechnungen bis zum Jahre 3000 zeigen, dass ein allmählicher Übergang in eine emissionsfreie globale Wirtschaft zu einem akzeptablen Preis in den nächsten 50 bis 100 Jahren möglich ist. Diese Ergebnisse haben mehrere Mitglieder des Europäischen Klimaforums (ECF) in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Um eine dramatische Klimaerwärmung zu vermeiden, müssen die globalen Pro-Kopf-Emissionen in den nächsten hundert Jahren auf einen Bruchteil der derzeitigen Werte in den Industrieländern reduziert werden. Bei Nutzung sämtlicher geschätzter fossiler Ressourcen (Öl, Gas, Kohle sowie Ölschiefer, Teersände und Methanklathrate) würden nach Modellrechnungen der mittlere Meeresspiegel um bis zu 8 Meter und die globale Mitteltemperatur um bis zu 9 Grad Celcius innerhalb unseres Jahrtausends ansteigen.

Wegen der mehr als hundertjährigen Verweildauer des CO 2 in der Atmosphäre wird der Klimawandel weniger durch die aktuellen als durch die aufsummierten CO 2-Emissionen bestimmt. Wichtig für den Erhalt des Klimas sind daher nicht die Details des Emissionspfads, also wie sich die Emissionen kurzfristig entwickeln, sondern die Erzielung einer langfristigen Reduktion der Emissionen über einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren. Die im Rahmen des Kyoto-Protokolls festgelegten einzelnen Reduktionsquoten sind weniger entscheidend als ein gelungener Einstieg in einen langfristigen Pfad ständig reduzierter Emissionen. Dieses erfordert politische Zielsetzungen, die deutlich über den Zeithorizont des Kyoto-Protokolls hinausreichen. Nach verschiedenen Schätzungen würde dabei eine effektive langfristige Klimaschutzpolitik zu einer Verzögerung des globalen Wachstums von lediglich ein bis zwei Jahren über einen Zeitraum von 50 Jahren führen - ein wohl erschwinglicher Preis, wenn damit die unberechenbaren Risiken einer gravierenden späteren globalen Klimaänderung vermieden werden können.

Abb.: Kohlendioxid-Emissionen und -Konzentrationen, globale Mitteltemperatur in Bodennähe, und globaler Meeresspiegelanstieg für Business-as-Usual (BAU) Emissionsszenarien (links) und kostenoptimale (C/B) Trajektorien (rechts, bitte Skalenänderung beachten). In den BAU-Szenarien werden alle verfügbaren fossilen Brennstoffe - in einer Spannbreite von 4.000 Gigatonnen Kohlenstoff (GtC) (konventionelle Ressourcen, C) bis 15.000 GtC (konventionelle plus unkonventionelle Ressourcen, E) benutzt. Der Anstieg des Meeresspiegels ergibt sich aus der Summe der thermischen Expansion der sich erwärmenden Ozeane, dem Schmelzen kleinerer Gletscher im Inland und dem langsamen Abschmelzen des Grönland-Eises (1). Die Berücksichtigung anderer Klimagase könnte die Spitzenwerte um 10 bis 20 Prozent erhöhen. Die kostenoptimalen Pfade schließen die Trägheit des ökonomischen Systems entweder ein (Variante a) oder aus (Variante b). Ausgeprägte Unterschiede zwischen diesen Fällen in der Kurzfristbetrachtung haben wenig Einfluss auf das langfristige Klima. Der Einfluss der Kyoto-Periode (k) ist auf diesen Zeitskalen von Jahrhunderten nicht erkennbar. (Quelle: Max-Planck-Institut für Meteorologie)

Im Energiebereich hat der Kapitalstock eine lange Lebensdauer. Daher sind klar formulierte langfristige politische Zielsetzungen, verbunden mit konkreten Förderungsmaßnahmen, schon heute erforderlich, um das Investitionsverhalten der Wirtschaft zu beeinflussen. Auch für die Öffentlichkeit, die die Politik verstehen und unterstützen muss, sind klare Zielvorstellungen wichtig. Schließlich sind diese auch für Entwicklungsländer entscheidend, die die gleiche Lebensqualität wie die der Industrieländer anstreben.

Ein Nachahmen der auf fossilen Energieträgern basierten Evolution der Industrieländer durch die Entwicklungsländer würde einen enormen Anstieg der globalen CO 2-Emissionen zur Folge haben. Eine Reihe von technologischen Optionen zur Emissionreduktion existiert bereits. Einige von ihnen, wie zum Beispiel die Windkraft, sind schon jetzt wettbewerbsfähig. Um jedoch die künftig erforderlichen, deutlich höheren Reduktionen von Emissionen zu erreichen, müssen weitere Technologien wie die Solarkraft eingesetzt werden, die heute im Markt noch nicht konkurrenzfähig sind. Diese werden sich langfristig nur durchsetzen können, wenn sie von der Politik frühzeitig unterstützt werden. Alternative klimaneutrale Emissionspfade sind sowohl für Industrieländer als auch für Entwicklungsländer in Sicht, sie brauchen jedoch schon heute die Unterstützung durch belastbare langfristige politische Zielvorgaben.

Verbindliche Ziele zur kurzfristigen Emissionsreduktion müssen daher Hand in Hand gehen mit klar formulierten Strategien zur Erreichung deutlich stringenterer Ziele der Emissionsreduktion auf längerer Sicht. Eine stärkere Ausrichtung auf langfristige Ziele könnte hierbei zur Überwindung der derzeitigen Schwierigkeiten beim Kyoto-Prozess und zur Reduktion des - die bisherigen Klimaverhandlungen ebenfalls erschwerenden - Nord-Süd-Gefälles beitragen.

Quelle: MPG

Weitere Infos:

  • Originalveröffentlichung:
    K. Hasselmann, M. Latif, G. Hooss, C. Azar, O. Edenhofer, C. C. Jaeger, O. M. Johannessen, C. Kemfert, M. Welp und A. Wokaun, The Challenge of Long-term Climate Change, Science 302, 1923 (2003).  
  • Europäisches Klimaforum (ECF):
    http://www.european-climate-forum.net 
  • Weitere Forschungsartikel auf pro-physik.de finden Sie in der Rubrik Forschung.  
  • Spezielle Publikationen zum Thema Klimawechsel finden Sie ganz einfach mit der Findemaschine, z. B. mit Hilfe der Kategorieverknüpfung Geophysik+Publikationen.

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